Kapitel 21

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Der Gigant fliegt immer höher. Nach einem kurzen Blick nach unten wird mir mulmig zumute. Ein Sturz wäre... nein denke nicht daran. Ich schliesse meine Augen und klammere mich an den kräftigen Körper des Giganten. Die starken Muskeln über seinem Rücken spannen sich regelmässig an. Ich weiss nicht wie lange wir geflogen sind, als ich wieder das leise Zwitschern der Vögel höre. Langsam öffne ich meine Augen und sehe die grossen Baumkronen nur einige Meter unter uns. Erschrocken weiten sich meine Augen, als ich das Ziel des Giganten erkenne. Das ist unmöglich... Ein Haus, nein Owens Haus.

Sanft landet der Gigant auf dem Boden und streckt seinen linken Flügel aus. Vorsichtig rutsche ich über die weichen Federn auf den harten Boden. Wie beim ersten Mal verbeugt sich der Gigant vor mir und verharrt eine Weile, bis ich mich ebenfalls vor ihm verbeugt habe. Ich sehe mich um. Es ist noch alles so, wie ich es in Erinnerung habe. Nur Owen fehlt. Schnell renne ich zum Bach und ziehe mit dem Seil frisches Wasser zu mir. Gierig versuche ich mit grossen Schlucken meinen Durst zu stillen. Plötzlich höre ich ein Plätschern neben mir. Ich löse meine Lippen von dem Eimer und sehe, wie der Gigant sein Schnabel in das Wasser taucht. Jeder Schluck zeichnet sich auf seinem Hals ab. Er ist so wunderschön. Langsam steige ich ins Wasser. Der Schmutz löst sich von meinen Kleidern und fliesst mit der Strömung des Baches davon. Ich wünsche mir, ich könnte die Trauer um die kleinen Giganten und die Enttäuschung, die ich gegenüber Owen empfinde ebenfalls abwaschen. Ich hole tief Luft und tauche meinen Kopf in das Wasser. Nur ein kurzer Moment vergeht, bis mich etwas aus dem Wasser zieht. Der Gigant hebt mich sanft mit seinem Schnabel aus dem Wasser und setzt mich wieder auf meine Beine. Ich beginne zu lächeln. Wollte er mich gerade retten? Ich streiche sanft über seine Stirn, während er seine Augen schliesst und meine Berührung zu geniessen scheint.

Die Sonne nähert sich dem Horizont und ihr Licht scheint in einem warmen orange auf die Erde. Der Gigant hat sich neben das Haus gelegt und hat seine Augen geschlossen. Ich weiss nicht, ob er schläft, denn bei jedem kleinsten Geräusch, welches ich verursache hebt er seinen Kopf. Ich beschliesse eine Decke zu holen und mich neben ihn zu sitzen. Ich lehne mich an die Holzwand des Hauses und lasse meinen Blick über die Farbenpracht gleiten. Durch das abendliche Sonnenlicht leuchten seine Federn goldig. Der Gigant legt seinen Kopf zur Seite und scheint mich zu mustern. Vorsichtig zieht er mich mit seinem Schnabel zu sich heran. Erst als ich bequem eingebettet an ihn gelehnt liege, legt er seinen Kopf vor mir hin und schliesst seine Augen. Nach einiger Zeit werden seine Atemzüge langsamer und regelmässig. Auch ich schliesse meine Augen und falle schnell in einen unruhigen Schlaf.

Tag 128

Die Flammen lodern in die Luft und lassen kleine Funken sprühen. Endlich ist der frisch gefangene Fisch durchgebraten. Gierig beginne ich zu essen, während der Gigant etwas entfernt einen Haufen voller Fischen, die ich für ihn gefangen habe, herunterschlingt.

„Guten Appetit!", sage ich mit vollem Mund.

Tag 129

Der Himmel ist blau. Ich liege auf dem Boden und starre auf einen nichtexistierenden Punkt im Universum. Hin und wieder zieht der Gigant grosse Kreise über mir. Einige hoch oben, andere knapp über den Baumkronen.

Tag 130

Schon früh am Morgen reist mich das Geräusch des Windes aus dem Schlaf. Der Himmel ist bedeckt mit dunkeln Wolken und dicke Tropfen fallen auf den trockenen Boden. Ich schaue um mich herum, doch der Gigant ist nirgends zu sehen. Schnell gehe ich ins Haus. Den Blick aus dem Fenster gerichtet beobachte ich den Sturm, der die Bäume krümmen lässt. Während Stunden durchnässt der Regen sintflutartig die Umgebung. Als sich der Tag schon beinahe wieder dem Ende neigt, trete ich aus dem Haus.

„Wo bist du?", schreie ich durch den Wald. Doch ich weiss, dass der Gigant nicht mehr zu mir kommen wird.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 24, 2016 ⏰

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Das Dorf der GigantenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt