Kapitel 1

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 „Warum sollte ich ausgerechnet Ihnen diesen Job geben, Frau Laursen? Wie ich schon erwähnt habe, ist Arbeit sehr anspruchsvoll und ich muss von Ihnen Pünktlichkeit erwarten. Ich meine damit Pünktlichkeit Ihrer Berichte. Unser Verlag unterliegt einem strengen Zeitplan, der jeder unserer Mitarbeiter einzuhalten hat." Er sieht mich skeptisch an. Komm schon, das ist deine Chance. Bemühe dich um eine gute Antwort!

„Um ehrlich zu sein, das weiss ich nicht, Herr Moen. Doch wenn ich es richtig verstanden habe, suchen Sie jemanden, der seine Arbeit gewissenhaft und effizient ausführt. Ich versichere Ihnen, das würde ich tun." Was war das denn gerade? Innerlich ohrfeige ich mich. Was für eine schwache Antwort. Es scheint so, als hätte die nette Stimme in meinem Kopf mich für nichts zu ermuntern versucht.

„Okay. Möchten Sie noch etwas ergänzen? Ansonsten ist das Gespräch hiermit beendet." Er legt seine Stirn in Falten und mustert mich mit seinen dunkelbraunen Augen.

 „Ja, also, ähm... nein, eigentlich nicht."  Mist. Du kannst den Job vergessen, Amaliya. Meine Beine fühlen sich an wie Pudding. Das unbehagliche Gefühl von Nervosität scheint sich in meinem Bauch wohl zu fühlen. 

„Wissen Sie was? Sie haben den Job, Frau Laursen." Er lehnt sich zurück und zupft an seiner Krawatte. Sie liegt wahrscheinlich zu eng an seinem muskulösen Hals.

Mit aufgerissenen Augen starre ich meinen anscheinend neuen Arbeitgeber an. Wie bitte? Ich habe den Job? Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus. Na, endlich! Ich dachte schon, das würde nie mehr klappen.

„Oh, vielen Dank, Herr Moen, das freut mich sehr!"

"Nennen Sie mich doch Ketil." Er erhebt sich von seinem für meinen Geschmack viel zu grossen Bürostuhl und schliesst sogleich seinen Anzug. „Wir werden noch viele gemeinsame Stunden verbringen, wenn Sie verstehen was ich meine." Gekonnt lässt er sein linkes Auge zwinkern.

Auch ich erhebe mich auf meine vor Nervosität zitternden Beine und ergreife seine ausgestreckte Hand.

„Amaliya, sehr erfreut, Ketil. Ich kann es kaum erwarten Sie wieder zu sehen." Ketil grinst. Oh verdammt!

„Ich meine... dich wieder zu sehen, also eigentlich auf die Arbeit. Ich kann es kaum erwarten hier zu arbeiten." Ketil lacht. Ein verdammt schönes Lachen.. Stop Amaliya! Er ist jetzt dein Boss. Verlegen blicke ich in seine braunen Augen. Ja. Ich freue mich wirklich.

Lächelnd trete ich durch die Tür, die mir Ketil kurz vorher aufgemacht hat.

"Kann ich etwas für Sie tun, Herr Moen?", folgt sogleich die Stimme seiner Assistentin. Es scheint als hätte sie bereits vor der Türe auf ihren Moment gewartet. Ihr hoffnungsvoller Blick folgt Ketil, der bereits an ihr vorbei gegangen ist. Warum siezt sie ihn?  Ich schenke ihr ein zögerliches Lächeln.

Einige Sekunden später folgt ein leises "Nein, danke" aus Ketils Richtung.

Glücklich trete ich aus dem grossen Gebäude, zücke mein Smartphone und wähle die Nummer meiner Schwester, Lexi.

„Und? Hast du den Job?" Ein 'Hallo' wäre für sie um diese frühe Uhrzeit zu viel gewesen.

„Nein, Süsse. Ich musste mich über den Bürotisch übergeben, weil du mich gestern Abend abgefüllt hast." Jemanden rein zu legen ist absolut nicht meine Stärke und bestimmt man hört mein Grinsen in der Stimme Meilenweit. Wir gingen gestern Abend noch in eine Bar und wie immer wurde es viel zu spät. Oder zu früh, wie man es auch nennen möchte.

„Du verarschst mich, Amaliya." Das war ja klar.

„Ja, ich verarsche dich." Lachend warte ich auf ihre Antwort. Ich höre sie tief Luft holen.

„Oh mein Gott, ich dachte schon, ich müsste mich aus dem Bett schlagen, um dich trösten zu kommen. Gratuliere, kleine Schwester!"

Nachdem ich ihr alles erzählt habe, setze ich mich auf eine Bank unter einen Baum und geniesse die Morgensonne. Ein Gefühl des totalen Glücks überfällt mich. Automatisch ziehen sich meine Mundwinkel nach oben. Es ist ein Gefühl, als würde man schweben oder die Welt umarmen zu können. Ich bin eine dieser glücklichen Menschen, die grosse Freude an Kleinigkeiten haben. Eine Frau, die mit beiden Füssen im Leben steht und das Beste aus jedem Tag macht.

Bis jetzt konnte mich nichts so schnell aus der Bahn werfen.

Bis zu diesem Tag, der alles verändern wird.

Das Dorf der GigantenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt