Kapitel 6

1.6K 20 3
                                        

„Rattle? Hörst du mir überhaupt zu?“ Hunter hatte sich nach vorne gebeugt und schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich kannte diesen Ausdruck. Er machte sich Sorgen, was man ihm nicht verdenken konnte. Schließlich benahm ich mich ziemlich merkwürdig in den letzten Stunden. Starrte Löcher in die Luft, spielte an meinem Ring und hörte einfach nicht zu. Eigenschaften, die man eigentlich hier nicht von mir kannte.

„Ähm tut mir leid. Ich hab geträumt.“, entschuldigte ich mich und stand dann von der Bank vor dem Haus auf und lief ein paar Schritte auf und ab. Ich brauchte Bewegung um meinen Stoffwechsel wieder in Fahrt zu bringen. Das Gespräch mit Adam war zwar schon vier Stunden her, doch trotzdem herrschte in mir noch Verwirrung und auch eine Art Kampf. Ich hatte mich ja schließlich noch nicht entschieden. „Was hattest du gesagt?“

„Ich habe dich gefragt, wie es deinen Füßen geht.“ Hunter seufzte und schaute mich dann wieder mit diesem Blick an.

„Es geht. Sie tun weh, aber die Salbe wirkt wahre Wunder.“ Ich wusste, dass er mich eigentlich etwas ganz anderes fragen wollte. Eine Frage, die ich ihm nicht beantworten konnte. Hunter war ja nicht dumm. Natürlich hatte er bemerkt, dass mein Unbehagen mit dem Auftauchen von Adam und seinen zwei Kumpanen zu tun hatte. Und er war schlau genug eins und eins zusammen zu zählen. Warum ihm die Sorge jedoch so ins Gesicht geschrieben stand, war mir ein Rätsel. Schließlich war ich nicht so gut befreundet wie Chokolate oder gar Rowen.

„Ich sollte jetzt schlafen gehen. Es ist schon spät.“ Ich warf einen Blick in den sternenklaren Himmel über uns und strich mir die Haare hinter die Ohren. Sie waren noch ganz weich und seidig von meiner ausgiebigen Dusche und rochen leicht nach Vanille.

Geh du nur, Rattle.“, waren Hunters Worte. Er hatte den Blick abgewandt und blickte nun ebenfalls nach oben. Seine Stimme war hart auf einer Art, die ich noch nicht kannte. Ich schämte mich dafür, dass ich die Möglichkeit, sie alle im Stich zu lassen, ernsthaft in Erwägung zog. Klar, sie waren nicht meine Familie und ich kannte sie schließlich erst knappe drei Wochen und doch fühlte ich mich hier wie ein Teil von etwas Ganzem. Würde ich hierbleiben und meine Zeit absitzen, dann wäre das gewiss keine vergeudete Zeit. Ich würde sie alle hier noch besser kennen lernen und vielleicht würden sich Freundschafte entwickeln, die selbst nach dem Camp andauern würden. Eigentlich war es hier ja nicht wirklich eine Strafe, wenn man es auf diese Weise sah. Hier war ich zusammen mit Leuten, die mich mochten und akzeptierten. Praktisch das Gegenteil von dem, was mich nach dem Camp erwartete. Und schließlich würde es enden. Früher oder später. Und dann war ich wieder da, wo ich aufgehört hatte. Wo auch immer das gewesen sein mag.

Adam hatte mir jedoch einen zweiten Weg gezeigt. Hielt mir praktisch einen Notausgang offen und nun war es mir überlassen, ob ich ihn nehmen würde oder eben nicht. Ich konnte aus dem Teufelskreis raus, wenn ich jetzt die Chance ergriff. Doch das würde ich Hunter und all den anderen nicht erklären können. Genauso wie Rowen würde ich ohne weitere Worte gehen und sie ungewiss zurück lassen.

Mutlos setzte ich mich trotz meines angekündigten Abgangs wieder auf die Bank und legte meinen Kopf in den Nacken. Meine schwarzen Haare wehten mir ins Gesicht, als der Wind durch sie hindurch glitt. Doch ich machte mir nicht die Mühe, sie zu einem Knoten hochzustecken.

„Komisch, oder?“, fragte plötzlich Hunter neben mir. Jegliche Abneigung in seiner Stimme war verschwunden.

Ich blickte ihn von der Seite her an. „Was meinst du?“

„Das hier.“ Er schloss die Augen. „Catcher hatte sich genauso verhalten. Du brauchst mir also nichts vormachen. Ich werde schon keine Fragen stellen.“

Ich schaute betreten auf den Boden. Was sollte ich darauf sagen?

„Ist das hier der Abschied, Rattle?“

Bootcamp (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt