Ich schüttelte verständnislos den Kopf und betrachtete das vollkommen gesunde Tier. Gerade als ich mich wieder aufrichten wollte, um zum Hauptpfad zurückzukehren, machte der Hund einen plötzlichen Satz nach vorne auf mich zu und verbiss sich in meinem Top. Ich wollte zurückspringen und Abstand zu ihm aufbauen, doch so schnell er angegriffen hatte, ließ er auch schon wieder los. Erschrocken fiel ich auf meinen Hintern und konnte gerade noch sehen, wie das Tier sich samt meiner Dienstmarke umdrehte und sich davon machen wollte.
Entsetzt fasste ich mir an die linke Brust und ertastete nur den schwarzen Sport-BH. Die verdammte Töle hatte mir tatsächlich meine Dienstmarke samt meiner Brusttasche gestohlen.
„Scheiße!“, fluchte ich und rappelte mich binnen Sekunden wieder auf und rannte dem braunen Hund hinterher. Das Tier eilte durch dichtes Gestrüpp und lockte mich immer tiefer in den Wald und dessen Dunkelheit. Unter meinen schweren Schritten knackten die Äste und Wurzeln und immer wenn ich gerade dachte, ich hätte den Hund eingeholt, machte er eine gezielte Biegung und brachte wieder genügend Abstand zwischen uns.
Ich konnte es kaum glauben, dass ich einen einfachen, dummen Hund nicht gefangen bekam. Meine Kammeraden würden von dieser Geschichte hoffentlich niemals etwas erfahren, sonst hätten sie noch einen Grund mehr, mich wegen meines Geschlechtes niederzumachen. Das konnte ich mir wirklich nicht erlauben.
Ich hetzte dem Tier noch einige Minuten weiter hinterher und befasste mich langsam in meinem Kopf mit dem Problem, wie ich wohl wieder zurück finden würde. Doch auch diese Sorge war bei dem Anblick, der mir nur wenige Augenblicke später geboten wurde, völlig ausgelöscht.
Mir stockte der Atem und die Welt schien für einen kurzen Moment stehen zu bleiben. Ich konnte das harte Pochen meines Herzens durch meinen ganzen Körper vibrieren spüren und ich hatte einen schalen Geschmack im Mund.
Was, um alles in der Welt, ist da passiert?!
Ich schluckte gegen den starken Würgereiz an und versuchte die Tränen wegzublinzeln. Doch egal wie sehr ich mich bemühte, das Zittern in meinen Gliedern hörte nicht auf. Ich konnte einfach nicht begreifen, was sich mir dort bot. Mein Verstand, der immer astrein funktionierte, schien einen Schalter umgelegt zu haben und ich konnte nicht mehr klar einen Gedanken an den anderen reihen. Das war noch nie vorgekommen. Immer konnte ich mich wenigstens auf meinen Verstand verlassen, doch es war genauso wie vor zwei Jahren. Alles setzte aus.
Ich schaute zu dem leise winselnden Hund an meiner Seite, der sich auf den Boden hinter ein Gebüsch gekauert hatte und mit herausragender Zunge auf den Leichnamen keine zwanzig Meter von uns entfernt starrte. Langsam glitt ich zu ihm auf den Boden und umklammerte meine beiden Oberarme und versuchte mich zu konzentrieren.
Dort lag Jim Preston. Er war knappe dreißig Jahre und hatte eine Frau, die in der Medizinabteilung arbeitete. Er selbst war zwei Einheiten über mir. Jedes Mal wenn ich mich nach dem Training auf den Weg in die Mensa machte, begegnete ich ihm und er grüßte mich immer auf dieselbe Art. Mit einem kurzen Tippen auf die linke Brust und dem Führen der Hand an die Lippen. Der Gruß der Kammeraden.
Er sah gut aus, auch wenn er oft einen ausdruckslosen Gesichtsausdruck hatte. Ich hatte ihn zwar nicht gut gekannt, aber er war ein guter Mann. Ja, er war ein guter Mann. Jetzt war er nur noch ein Etwas mit einem bleichen Gesicht und herausgerissenen Innereien.
Erneut sammelten sich Tränen in meinen Augenwinkeln und diesmal beugte ich mich vorne über und übergab mich. Ich würgte so lange, bis nicht einmal mehr Galle aus mir hervorkam und selbst dann konnte ich noch nicht aufhören. Ich traute mich kaum den Blick erneut zu heben, aus Angst vor den Empfindungen, die dies in mir auslösen würde und vergrub daher mein Gesicht im dunklen Fell des winselnden Bündels neben mir. Auch er schien nicht wahr haben zu wollen, was er da sah.
Du schaffst das, war da plötzlich eine bekannte Stimme in meinem Kopf zu hören. Du brauchst nur wieder aufzustehen, Lanie. Sonst schaffst du schließlich auch alles.
Ich kniff die Augen fester zusammen. Vergrub meine Nase tiefer im warmen Fell des Hundes und merkte erst nach wenigen Augenblicken, dass ich mich immer mehr dem ruhigen Atem des Tieres anpasste. Ich sammelte all meinen Mut, denn ich wusste, dass ich Jim nicht so liegen lassen konnte. Ganz vorsichtig stand ich auf, mit zitternden Beinen, und kam hinterm Gebüsch hervor. Mit strammen Schritten ging ich auf das rote Kleiderbündel zu. Dessen Gesicht ein ganz anderes in meinen Gedanken annahm, als das meines Kammeradens.
Ich blickte von oben auf seinen zerstörten Körper und war plötzlich gar nicht mehr fähig etwas anderes in meiner Umgebung war zu nehmen. Ich sah nur dieses sanfte Gesicht, das ich so gut gekannt hatte und das mir so viel bedeutete.
Ich weiß nicht wie lange ich so dastand und wann ich genau auf die Knie gefallen war und angefangen hatte zu weinen. Schluchzten tat ich nicht, an sich blieb ich völlig still und streichelte bloß seine blonden Locken. Ich dachte seine grobe Stimme hören zu können und stellte mir im Geiste vor, wie sich seine weißen Lippen zu einem Grinsen verzogen und ich den abgebrochenen Schneidezahn vorne sehen konnte. Zwei Jahre hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Und ich wusste, dass noch unendlich viele darauf folgen würden.
Mitten in meinen Gedanken nahm ich plötzlich eine Randinformation war, die ich völlig ausgeblendet hatte, bis diese so permanent wurde, dass mir nichts anderes übrig blieb, als aus meiner Trance zu erwachen. Verwirrt starrte ich den Hund an, der am Saum meines Tops zerrte und wild knurrte. Ich wollte die Hand ausstrecken, um das Tier zu beruhigen, doch es schüttelte sie wütend ab und schaute ruckartig in alle Richtungen.
Ich erstarrte in meiner nächsten Bewegung, als ich verstand, was mir der Hund mitteilen wollte. Hob den Kopf und realisierte eindeutig zu spät, dass ich eingekreist worden war.

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Bootcamp (Arbeitstitel)
AventureLanie führte ein ganz anderes Leben als so viel Mädchen in ihrem Alter. Schon seid ihrer Geburt nimmt sie die Welt anders war und gerät schnell auf die schiefe Bahn. Doch all die Fehler, die sie eben gemacht oder nicht gemacht hat führen sie in das...