Bootcamp (Arbeitstitel)

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Mit meinen Fingern spielte ich an dem schlichten, silbernen Ring herum. Zog ihn über meinen Zeigefinger, zog ihn wieder ab und ließ die kühle Oberfläche über meine Haut gleiten.

Die Sonne brannte ungehindert auf mein Gesicht und meine nackten Arme und Beine. Da konnte ich mich so oft eincremen wie ich wollte. Ein schrecklicher Sonnenbrand blieb mir nicht erspart. Genauso wenig wie den zwanzig anderen Leuten, die ebenfalls hier in der Hitze ausharren mussten, wie ich.

„Du hast es echt gut, Chokolate.“, hörte ich einen Jungen direkt neben mir sagen. Jake, soweit ich mich erinnerte.  Er klang etwas erschöpft, konnte sich jedoch nicht um den kleinen Spaß bringen lassen. Er war mir schon am ersten Tag aufgefallen. Mit seinem großspurigem Geschwätz und der Respektlosigkeit, die er an den Tag gelegt hatte. Wir hatten also was gemeinsam.

Wir saßen wie die Hühner aufgereiht auf verschiedenen Felsbrocken und durften uns nicht rühren. So wie jeden Morgen. Wir mussten ausharren, bis einer der Erzieher oder auch Trainer kam, die uns zu unserer nächsten Trainingseinheit abholten. Um ehrlich zu sein, war diese Zeit des Tages, am wenigsten zu ertragen.

Ich war nun schon zwei Wochen in diesem Dreckscamp. Es lag am Arsch der Welt irgendwo in Ohio, mitten im Sommer. Es war wirklich die Hölle hier. Jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen und erst ein paar Runden joggen, dann dieses sinnlose herumsitzen mit den anderen. Und dann kamen immer wieder andere Übungen. Ich hasste jede Sekunde hier eingesperrt zu sein, doch es war immerhin besser, als ins Gefängnis zu gehen. Und genau das hätte ich gemusst, wenn ich mich nicht hierfür entschieden hätte.

„Tja. Wärst wohl auch gerne so braun wie ich.“, lachte der dunkelhäutige Typ, den Jake aufgezogen hatte. Ihn schien es nicht zu stören, dass man sich etwas über seine Hautfarbe lustig machte. Jeder hatte hier schließlich einen Spitznamen. Vornamen waren im Bootcamp nichts wert.

Jake zum Beispiel hieß bei allen, selbst bei den Betreuern nur Hunter. Warum, wusste ich nicht. Er war schon länger hier gewesen als ich und daher musste ich mich noch mit den anderen etwas vertraut machen.

Mein Name hatte mich etwas verdutzt. Irgendein Mädchen hatte mich an meinem ersten Tag damit angesprochen. Das hatte sich wohl herumgesprochen und nun war es schon Wochen her, dass mich jemand Lanie genannt hatte.

„Und Rattle? Immer noch so großschnäutzig wie vorher? Oder hat dich das Campfieber bereits geholt und deinen Willen versengt?!“ Das war Hunter gewesen, der sich mit einem wölfischen Grinsen zu mir umgedreht hatte. Er war es auch, der mich darüber aufgeklärt hatte, dass einzig und allein mein T-Shirt daran schuld war, dass ich diesen unschönen Namen bekam. Ich hatte es mir von meinem Bruder geborgt und nur wenig darauf geachtet, dass eine Klapperschlange vorne aufgedruckt war. Da hatte man dann den Salat.

Ich zog lächelnd eine Augenbraue hoch und versuchte meine Erschöpfung beiseite zu schieben. „An mir könne  sie lange nagen. Ich bin zäh wie Gummi.“ Das war mein Ernst. Ich würde nicht so schnell aufgeben, wie die meisten anderen hier. Sie saßen nur noch da und starrten Löcher in die Luft oder fingen an zu weinen, bei jeder kleinen Gelegenheit. So endete man hier, wenn man nicht aufpasste und zuließ, dass sie einem den Willen brachen.

Die Leute von uns, die das sogenannte Campfieber gepackt hatte, verloren bei den anderen jegliche Bedeutung. Sie hatten aufgegeben. Nicht nur sich, sondern das ganze Team und die Strafe dafür war, dass sie den Rest ihrer Zeit hier, auf sich gestellt waren.

Das Camp bestand insgesamt aus um die vierzig Sträflinge. Diese waren noch einmal in zwei Einheiten eingeteilt und die verschiedenen Einheiten bekamen sich nur sehr selten zu Gesicht. Sprechen, tat man mit ihnen nie. Denn dazu gab es keine Gelegenheit. In unserer Einheit gab es nur noch wenige, die ihren Willen noch hatten. Darunter waren unter anderem Hunter, Chokolate, Scar und ich.

„Du solltest deine Zunge hüten, sonst wird sie dir noch abgeschnitten.“, witzelte Chokolate mit seinem dunklen Humor. Ich konnte nur lachend den Kopf schütteln und ihn meine noch vorhandene Zunge herausstrecken.

Alle verfielen wieder in Schweigen, weil das Reden bei diesen Temperaturen zu anstrengend war. Meine schwarzen Haare klebten mir schon nass an meinem Gesicht und Rücken.

Ich ließ meinen Blick weiter durch die Runde wandern. Vorbei an einigen Aussetzigen, die mit trüben Blicken meinem Beispiel folgten. Einige weinten auch, so wie die meiste Zeit. Ich selber hatte noch keine einzige Träne verdrückt.

Dunkle Augen zogen die meinen wie Magnete an, und als sich das bekannte Grinsen auf ihren Lippen ausbreitete, konnte ich nicht anders, als es zu erwidern. Scar, meine beste Freundin. Vielleicht nicht seit Lebzeiten, doch seit ich hier ins Camp kam, hat sie sich an mich gehängt und wir hatten jede der wenigen freien Minuten zusammen verbracht, die man hier hatte. Ich hatte sie in weniger als einem Tag bereits ins Herz geschlossen.

Ihre blonden, kurzen Haare, standen ihr wie immer wild vom Kopf ab und verliehen ihr eine chaotisch, süße Ausstrahlung. Dazu die Sommersprossen, die wie kleine Käfer auf ihrer Nase saßen und diese dunkelbraunen Augen. Sie war auf eine ganz andere Art und Weise hübsch. Der einzige Makel war die unschöne Narbe auf der linken Seite ihres Gesichts. Sie war Handgroß und zog sich von Stirn, über die Schläfe, bis zum Kinn. Daher auch ihr Name.

Ein schriller Ton riss mich aus meinen Gedanken und ich wäre beinahe vom Stein gekippt. Doch ich konnte mich noch rechtzeitig packen.

Es war so weit. Unser Training würde beginnen. Ich konnte sehen, wie alle die Daumen drückten, dass heute nicht eine ganz so anstrengende Aufgabe dran kam.

„Aufstehen, Rekruten!“, brüllte Cheef, einer der Betreuer.

Auf sein Kommando hin, erhoben wir uns und drehen uns zu ihm um. „Heute wird gelaufen. Und wenn ich sagen laufen, dann lauft ihr!“

Ich fluchte im Kopf und warf Cheef derbe Verwünschungen an den Kopf, die er ja doch nicht hören konnte. Auch den anderen schien es nicht anders zu gehen. Ich hatte mich gerade zu Scar gesellt, da schallte schon Cheefs tiefe Stimme über den Platz und wir spurteten alle los.

„Laufen!“

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