Kapitel 8

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Ich saß auf dem weichen Plüschteppich vor der kleinen Fensterwand meiner Wohnung und ließ meine Finger sanft über das kühle Silber meines Ringes gleiten. Ich hatte sozusagen Urlaub über die Weihnachtszeit bekommen, so wie unsere ganze Einheit. Also verbrachte ich eigentlich die meiste Zeit damit, auf dem Boden zu sitzen und aus dem Fenster, auf das künstlich angelegte Stück Natur zu blicken, was sich vor meiner Wohnung ausbreitete.

Jeder andere würde praktisch alles für einen solchen Ausblick auf den Central Park geben. Oft genug wurde ich schon auf einen Verkauf meines kleinen Heimes angesprochen. Praktisch angebettelt. Ich hatte einen Luxus, den sich andere wünschten, auch wenn Sarah immer sagte, ich wüsste das alles nicht richtig zu schätzen. Sie wusste ja gar nicht wie sehr sie sich da irrte.

Jede Minute, in der ich hier, in meinen geliebten vier Wänden sitzen konnte und etwas Zeit für mich alleine hatte, waren wie ein Geschenk. Das ich nach New York gekommen war, war nun schon etwas mehr als ein Jahr her und langsam hatte ich mich in mein neues Leben eingelebt, dass praktisch jeden Tag zur Genüge ausfüllte. Da wären einmal die frühen Morgen, in denen ich meine Runden durch den Central Park joggte, wie es Julian (einer unser Trainer) mir immer wieder ans Herz legte. Das eigentlich Gruselige daran war, dass er immer wusste, wenn ich einmal nicht Laufen war. Die Konsequenzen waren zu grausam, als dass dies oft vorkam. Nach dem Joggen ging es dann ab in meinen silbernen Volvo zum Hauptquartier und von da an waren entweder irgendwelche ätzenden Lehrgänge angesagt oder eben Training.  

Abends war dann immer die beste Zeit des Tages. Denn da konnte ich flott unter die Dusche hüpfen, den Stress des Tages abwaschen und mich dann mit der hübschen Blondine, die in dem Jahr meine beste Freundin geworden war, irgendwo absetzen. Ob in unserer Stammkneipe nicht weit von unseren beiden Wohnungen entfernt oder eben bei ihr oder mir zuhause.

Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich an Sarah dachte und ihr Talent, jemanden in jeglicher Gefühlslage zum Lachen zu bringen. Ja, sie war innerhalb eines Jahres – quatsch, was redete ich da – innerhalb einer Woche, Stammgast in meinem Herzen geworden. Wo es nicht gerade überfüllt war.

Es war irgendwie eine derbe Angewohnheit von mir, mich in meinem Zimmer zu verkriechen und aus dem Fenster zu spähen, die ich nie wirklich los geworden bin. Damals, als ich noch klein war und Dad mit meinen Brüdern aus unserem Leben verschwunden war, hatte ich damit angefangen. Ich saß auf der Fensterbank und wartete Stunden darauf, dass sein roter Jeap in die Auffahrt fuhr und er samt meiner Brüder herauskam und wir alle zusammen zu Abend aßen. Später wusste ich, dass dies  nie der Fall sein würde. Und doch saß ich auf der Fensterbank und vertrieb mir die Zeit indem ich Tagebuch schrieb oder mir die Fußnägel lackierte.

Als ich dann später bei einem Typen gewohnt hatte, den ich auf der Straße kennen gelernt hatte, verbrachte ich meine Schlaflosen Nächte vor dem Fenster, voller Angst meine Mutter, mein Vater oder die Polizei würden mich finden.

Und jetzt, jetzt saß ich hier, zwei Tage nach dem Fest, dass ich mehr hasste als alles andere auf der Welt und hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht öfter an meine Vergangenheit gedacht hatte. Welch eine Ironie!

Ich zuckte zusammen, als plötzlich mein Handy klingelte und wollte auch zuerst nicht ran gehen. Ich kannte den Klingelton, der mich mindestens zwei Mal am Tag belästigte. Und doch raffte ich mich auf und stolperte zum Tisch und drückte auf den grünen Hörer.

„Hay Sarah.“, begrüßte ich sie.

„Lanie!“, rief mir meine Freundin durch den Hörer zu. Ich erschrak vor ihrem lauten Organ schon lange nicht mehr. „Komm mal raus.“

„Warum? Draußen ist es kalt.“ Ich wusste nicht genau, was sie schon wieder ausheckte, aber mich in der grausigen Kälte nach draußen zu quälen stand nicht auf meiner To-Do-Liste.

Bootcamp (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt