Stille. Wie ich sie liebte. Wenn es nach mir gehen würde, bräuchte es keine Geräusche auf der Welt zu geben. Sie stören nur meine Gedankengänge und bereiten einem Kopfschmerzen. Man glaubt es vielleicht kaum, aber ich hatte auch nie viel übrig für Musik gehabt, dabei spielte ich selber Geige und Klavier.
Ganz zu Anfang, als meine Eltern noch zusammen gelebt hatten und ich viel Zeit mit meiner Familie verbracht hatte, da habe ich es geliebt meinem Bruder beim Spielen zu lauschen. Ich glaube auch, dass ich nur wegen ihm angefangen hatte ein Instrument zu spielen, jedoch war ich niemals so gut wie er. Klar, ich hatte binnen Minuten raus auf was es beim Klavierspielen ankam und auch das Lesen der Noten war für mich eine Kleinigkeit. Doch Joe hatte dieses gewisse Etwas in seinem Spiel, das ich so lange ich auch üben mochte, niemals aus den Tasten kitzeln konnte.
Ich wüsste gerne, was wohl aus ihm geworden war. Ich kannte seine Pläne, jedenfalls die die er gehabt hatte, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Doch Pläne ändern sich, dass konnte ich nur zu gut behaupten.
Hatte er seinen kleinen Durchbruch geschafft, von dem er immer geträumt hatte? Würde ich vielleicht bald einen Zeitungsartikel über einen erfolgreichen Pianisten lesen? Ich würde es ihm so sehr wünschen.
Jedes Mal wenn wir eine unserer morgendlichen Trainingseinheiten hatten und wir mit einem strammen Lauf durchs Gelände begannen dachte ich über das Vergangene nach. Auch jetzt. Und jedes Mal frage ich mich, ob wohl zuhause auch jemand an mich denkt?
Wir joggten gerade durch ebenes Waldgelände, nur wenige Kilometer von unserer Kaserne entfernt. Ich lag weit vorne und hatte meine Kammeraden hinter mir zurück gelassen. Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie ich mich immer weiter von ihnen entfernt hatte.
Ein ungewöhnliches Geräusch ließ mich in meinem Laufrhythmus innehalten und ich geriet ins Straucheln. Mein Fuß stolperte über einen kleinen Stein und ich konnte mich noch so eben vor einen Sturz bewahren. Ich wischte mir mit der Handfläche über die nasse Stirn und beruhigte meinen raschen Atem. Erst nachdem das Rauschen in meinen Ohren aufgehört hatte, lauschte ich erneut. Und es passierte nichts. Es herrschte völlige… Stille.
Du hast dich sicher nur verhört, dachte ich kopfschüttelnd und pustete mir genervt eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich wohl aus meinem Zopf gelöst hatte. Es war ärgerlich, dass ich mich hatte ablenken lassen. Nun war ich völlig aus meinem Rhythmus raus und durfte praktisch wieder von vorne anfangen.
Gerade als ich wieder loslaufen wollte erklang dieses Geräusch erneut. Ich erschrak beinahe und drehte mich mit einem schnellen Ruck in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Meine Hände wurden binnen Sekunden schweißnass und ich konnte beinahe spüren, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich.
Ganz von selbst setzte ich mich in Bewegung und nahm gar nicht wirklich war, wie ich vom normalen Gehen zu schleichen umschaltete. Alle meine Sinne waren nun ausgestreckt und mein Körper befand sich in voller Wachsamkeit. Und da war es erneut: ein helles Klingeln, wie als würde man mit einem kleinen Glöckchen spielen.
Natürlich würde sich jetzt jeder die Frage stellen, wieso ich auf ein so banales, scheinbar ungefährliches Geräusch so ernst reagierte. Zu beantworten war das jedoch nicht ganz so einfach. Man muss versuchen zu verstehen, wie es in einem Kopf, in dem sich eine schrecklich große Menge an Wissen befindet, zugeht. Es werden keine Nebeninformationen ausgeblendet, die der Körper durch seine Sinne aufnimmt. Alles kommt bei mir glasklar an, ob es der unscheinbare Geruch nach nasser Erde ist oder eben das klingeln eines Glöckchens. Alles wird klitzeklein binnen weniger Sekunden durchdacht und verarbeitet und dann in vollem Bewusstsein entschieden, ob es nun der Mühe wert ist, sich damit mehr zu befassen.
Und für mich war es im Moment ungemein wichtig der Sache auf den Grund zu gehen, woher dieses Geräusch kam und was es damit auf sich hatte. Warum genau konnte ich nicht sagen.
Meine Füße machten beinahe kein Geräusch auf den nun tauenden Untergrund und ich wich geschickt jedem Ast aus, der sich mir in den Weg stellte. Immer wieder hielt ich inne und lauschte, konnte aber nichts mehr hören. Also musste ich mich auf mein Bauchgefühl und meine Instinkte verlassen, wobei zweites mir bald die gewünschten Informationen gab.
Jemand war hier gewesen und das war noch nicht alt zu lange her. Der Boden war aufgewühlt worden, was das Werk von hastigen Schritten war und einige der Äste waren abgebrochen. Außerdem lag ein merkwürdiger Geruch in der Luft. Ich war nicht mehr weit entfernt, das wusste ich genau.
Wieder hörte ich das Geräusch, nur diesmal war es verdächtig nahe und es hörte gar nicht mehr auf. Ganz im Gegenteil, es kam immer näher. Ich versteifte mich vollkommen, riss die Augen panisch suchend auf und bereitete mich auf das Schlimmste vor, da berührte mich etwas Feuchtes am Bein. Vor Schreck stahl sich ein schriller Schrei aus meiner Kehle und hallte durch den fast verlassenen Wald. Ich wollte schon danach schlagen, hatte die Faust bereits erhoben, da nahm ich wirklich war, um was es sich hier handelte.
Ganz perplex und noch völlig Geschockt von dem Schreck starrte ich auf das pelzige Wesen vor meine Füße und irgendwie wollte sich alles keinen Reim machen.
Es war ein Hund, da war ich mir zu neunundneunzig Prozent sicher. Wahrscheinlich ein Labrador, einer dieser freundlichen Familienhunderassen und wirklich gefährlich sah er auch nicht aus. Man könnte meinen, man hätte es mit einer ganz normalen Alltagssituation zu tun. Wäre da nicht das blutdurchtränkte Fell. Am Rücken und am Kopf.
Ich beobachtete einige Minuten lang versteinert und still das wilde Tier und konnte nach etwas Überlegen sicher sagen, dass es mir nichts tun würde und ich so auch nicht in Gefahr war. Alle Anzeichen sprachen dagegen, dass der Hund auf irgendeine Art und Weise bösartig, gereizt oder gar auf der Jagd war. Ehrlich gesagt war ich mir sogar ziemlich sicher, dass er hilfebedürftig war und am liebsten eine ordentliche Streicheleinheit bekommen hätte.
„Na, was machst du denn hier, Kleiner?“ Mein Atem bildete kleine weiße Wolken vor meinem Mund, die das Tier neugierig mit seinen traurigen Augen verfolgte. Als wie erwartet keine Antwort von ihm kam, kniete ich mir herunter und fand schnell wonach ich gesucht hatte. Ein verrostetes Glöckchen an seinem Halsband. Hundemarke war jedoch nicht auffindbar.
Mit bedachten Bewegungen hielt ich dem Hund meine Hand vor die Nase und ließ ich daran schnüffeln, damit er sich mit meinen Geruch vertraut machen konnte. Erst dann berührte ich den u befleckten Teil des Fells und kraulte ihn hinter den Ohren. Genüsslich legte er den Kopf zur Seite und ich konnte nicht anders, als kurz zu lächeln. Dann besann ich mich jedoch und machte mich an die eigentliche Arbeit.
Mit gekonnten Griffen tastete ich den Hund ab und untersuchte ich nach sowohl äußeren als auch inneren Verletzungen, wovon ich jedoch keins von beiden fand. Aber woher kam dann das ganze Blut?

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Bootcamp (Arbeitstitel)
AdventureLanie führte ein ganz anderes Leben als so viel Mädchen in ihrem Alter. Schon seid ihrer Geburt nimmt sie die Welt anders war und gerät schnell auf die schiefe Bahn. Doch all die Fehler, die sie eben gemacht oder nicht gemacht hat führen sie in das...