NEUNUNDZWANZIG

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Was mache ich denn jetzt? Kurzfristig den Arm brechen? Oder den Zeh? Obwohl, doch lieber einen weniger schmerzhaften Weg. Und wenn ich einfach trotzdem turnen gehe? Ich meine, was soll James schon machen? Er hat doch selbst gesagt, dass das mit uns einfach keine Zukunft hat. Also ist die Sache ja abgehakt. Alles ist wieder genauso wie vorher. Als wir noch nichts von den Gefühlen des jeweils anderen wussten. Als wir noch keine gemeinsame, intime Vergangenheit hatten. Als er einfach nur mein Lehrer war und ich seine Schülerin. Ich muss mir die letzten Tage einfach wegdenken und die Tatsache ignorieren, dass ich mit meinem Turnlehrer ein Verhältnis hatte.

Ganz einfach.

Oder?

Weil ich so tief in meinen Gedanken war, ist mir gar nicht aufgefallen, dass ich plötzlich nur noch langsam gehe. Meine Finger sind verzweifelt in meinem Haar vergraben. Irgendwie noch immer im Bann meiner Gedanken, kriege ich nicht mit, dass sich etwas von hinten nähert. Erst zu spät bemerke ich, dass dieses Etwas der Bus ist, der an mir er an mir vorbeirauscht. Die Haare werden mir ins Gesicht geblasen und ich muss zusehen, wie er mit einem Karacho einfach so weiterbraust.

Shit.

Obwohl ich weiß, dass ich es jetzt niemals schaffen werde, rechtzeitig zur Haltestelle zu kommen, renne ich los. Erst als der Bus nun ganz weg ist, gebe ich mir keine Mühe mehr. Mit hängenden Schultern schlurfe ich über den Asphalt. Ich kicke einen Stein vor mich her. Er ist gerade mal so groß, dass ich ihn meinem Fuß treffen kann. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich vergessen habe, meine Schuhe anzuziehen.

Wenn ich nicht einen Grund hätte in die Schule zu gehen, würde ich jetzt umdrehen und einfach nach Hause laufen. Aber ich muss Miguel sehen. Ich muss! Sonst überlebe ich den heutigen Tag nicht. Das Wochenende ohne ihn war schon schwer genug. Jetzt auch noch ein weiterer Tag? Nah.

Wir haben jeden Tag SMS geschrieben. Ich habe auf heißen Kohlen gesessen, als er eine Stunde lang nicht zurückgeschrieben hat. Ja, wir hätten auch telefonieren können, aber ich halte nicht viel davon. Ich habe irgendwie ein wenig Schiss, wenn ich ehrlich bin. Ich mag die Stille während dem Telefonieren nicht. Ich halte so etwas nicht aus. Darum ist mir Schreiben oder Treffen echt lieber.

Er hat gemeint, dass wir uns heute gleich beim Eingang treffen sollen. Also, vor der ersten Stunde. Ich bin so aufgeregt, dass ich fast glaube, mir wird schlecht. Ich kann an nichts Anderes mehr denken. So eine innige Liebe habe ich nicht einmal bei James gespürt. Bei Weitem nicht. Ich kann nicht mehr schlafen, ich esse nur mehr total wenig und alles fühlt sich so komisch an. Dinge, die ich angreife, werden plötzlich zu flauschigen Wölkchen. Also, so fühlt es sich jedenfalls an. Ich bin immer so glücklich und fahre meine Mum nicht mal mehr an, wenn sie mein Joghurt isst. Es ist, als würde ich mich auf dicken, rosaroten Wolken bewegen. Total schön.

Ein alter, rostiger roter Käfer fährt an mir vorbei. Rot. Rot wie die Liebe. Rot wie Miguels Lippen. Nur, ihr Rot ist viel schöner. Rot wie das Blut... das mir plötzlich in den Adern gefriert, als der Wagen wenige Meter vor mir ruckartig stehen bleibt. Irgendwie habe ich jetzt ein bisschen Schiss. Ich meine, ich weiß nicht, wer das Auto steuert. Ich weiß nicht in welchem Zustand er ist. Oder sie.

Da ich nicht glaube, dass da drin Prinz Charming sitzt und mich zu unserer Hochzeit abholen möchte, gehe ich vom Schlimmsten aus. Lieber das, als dass ich annehme, der Fahrer entpuppt sich als netter Kerl und am Ende stellt sich heraus, dass es doch ein Drogendealer ist mit einem langen Vorstrafenregister.

Ich gehe weiter und versuche das Auto auszublenden. Als ich an ihm vorbeigehen will, meint plötzlich jemand: „Hey!"

FORBIDDEN LOVEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt