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Auf der Fahrt zu Erin herrscht unangenehmes Schweigen zwischen Jace und mir.
Schließlich hält er in Brooklyn vor dem schlichten Reihenhaus in dem Erin wohnt.
Meine Hand liegt schon auf dem Türgriff, als ich Jaces Finger auf meinem anderen Arm spüre. Ich hebe den Blick und sehe ihn an.
„Warte noch gerade", sagt er bestimmt.
„Hm?"
Er scheint etwas sagen zu wollen, aber schüttelt dann den Kopf.
„Vergiss es."
„Jetzt sag schon", verlange ich.
„Nein. Ist nicht so wichtig. Hast du Erin gesagt, dass du kommst?", lenkt er ab und sieht an mir vorbei zum Haus.
„Ja, ich habe sie vorhin angerufen."
„Gut."
Es herrscht wieder Schweigen. Ich beiße mir auf die Lippe und fahre dann unentschlossen mit der Zunge darüber.
„Danke, dass du mich gefahren hast", sage ich noch, bevor ich schließlich aussteige.
„Immer wieder gerne, Miss Prime." In seiner Stimme liegt wieder das Spielerische und ich muss grinsen.
Solange wir uns auf dieser scherzhaften Ebene befinden, kommen wir gut miteinander klar.

Jaces Auto steht noch immer da, als Erin mir kurz darauf die Tür öffnet und ich bemerke den neugierigen Blick meiner Freundin über meine Schulter hinweg zu dem schicken Wagen.
„Komm rein, Süße. Ich habe schon Eis aus dem Keller geholt", sie zwinkert mir zu und ich muss unwillkürlich lachen.
Was habe ich für ein Glück, eine Freundin wie sie zu haben!

Die ganze folgende Woche schlafe ich bei Erin, aber ich weiß, dass das langfristig keine Lösung ist.
Aber jetzt steht erst einmal der Geburtstag meines Vaters an. Das ist etwas was ich völlig in den Hintergrund geschoben habe.
Im Laufe der Woche habe ich von Jace nichts gehört, außer ein paar unpersönlichen Emails.
Macht er das mit Absicht? Seine wechselndes Interesse und seine schwankenden Launen sind anstrengend.
Stattdessen arbeite ich viel mit Noah zusammen. Seit ich ihm das mit meinem Bruder erzählt habe, scheint er viel offener mir gegenüber. Er bringt mich zum Lachen und lenkt mich mit seinen Problemen von meinen eigenen Sorgen ab.
„Gehst du eigentlich gerne shoppen?", frage ich ihn, als wir gerade Mittagspause habe und uns mit einem Kaffee an einen der Stehtische in der Cafeteria stellen.
Er fängt an zu lachen. „Warum? Weil das ein Klischee ist?"
„Irgendwie schon! Also gehst du?"
„Irgendwie schon", benutzt er meine Worte, „aber verrat es nicht meinen Brüdern!" Er zwinkert mir zu und ich lache auf.

Erin hat leider keine Zeit, um mit zu dem Geburtstag meines Vaters zu fahren. Also fahre ich allein.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl. In den letzten beiden Jahren ist Adam immer mit mir gefahren. Netterweise hat Erin mir ihr Auto geliehen.
Ich komme mir wieder vor, wie nach der Schule. Abhängig von allen. Keine Wohnung, kein Auto und nur wenig Geld. Langsam wird es Zeit, dass ich mein Leben mal auf die Reihe bekomme.

Wieder im Umkreis meiner Familie zu sein, macht mich traurig. Mein Bruder ist nicht da und ich frage mich, ob er wohl je wieder mit uns allen zusammen am Tisch sitzen wird.
Jedes Thema das ihn irgendwie betrifft wird gekonnt umgangen.

Zusammen mit meiner Mutter, eine eher fülligere Frau mit bereits grauen Haaren und einem meistens leicht verkrampften, aber ehrlichen Lächeln, stehe ich in der Küche und koche.
„Warum ist Adam nicht mitgekommen?", fragt sie, während sie die Möhren in kleine Stückchen schneidet.
Meine Mutter mag Adam. Sie findet ihn perfekt, auch wenn er nicht immer ganz zuverlässig ist. Er kommt aus einer geordneten, normalen Familie. Insbesondere das Wort normal scheint für meine Mutter wichtig zu sein. Hauptsache die Nachbarn wissen nichts merkwürdiges über einen zu erzählen.
„Wir haben uns getrennt", antworte ich vorsichtig, während ich einen Topf mit Nudelwasser auf den Herd stelle.
„Wie bitte? Warum das denn?", fragt Mum entsetzt.
Zwanghaft unterdrücke ich ein Seufzen.
Ich weiß genau, warum sie so entsetzt ist. Sie wünscht sich nichts mehr, als ihre Kinder heiraten zu sehen. Da meine kleine Schwester noch ein bisschen zu jung ist und mein Bruder praktisch verstoßen ist, muss ich herhalten
„Weil er mich betrogen hat", erkläre ich, bedacht darauf nichts Falsches zu sagen, aber das habe ich wohl bereits.
„Das kann ich mir nicht vorstellen!", empört sie sich.
Ich seufze. Mum sucht nie die Fehler bei anderen, sondern ist immer der festen Überzeugung ihre eigenen Kinder haben den Fehler begannen. Dabei sollte sie als Mutter doch eigentlich immer auf der Seite ihrer Kinder stehen.
„So ist es aber", bestätige ich und drehe die Temperatur der Herdplatte hoch.
Nach dieser Information ist der Abend gelaufen. Zumindest was jede Kommunikation mit meiner Mutter betrifft.
Die meiste Zeit versuche ich ihr aus dem Weg zu gehen, was bei unserem kleinen Haus nicht gerade leicht ist. Mein Dad feiert nicht gerne groß. Erst recht nicht, seid er seit drei Jahren im Rollstuhl sitzt. Abgesehen von mir sind nur Dads engsten Freunde da, die Bier trinkend mit ihm im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzen. Eine Weile setze ich mich dazu, aber Baseball habe ich noch nie interessant gefunden.
Der Abend verstreicht und ich nutze die erst beste Gelegenheit um mich unauffällig zu verziehen.
Auf dem Weg nach oben komme ich an dem Zimmer meiner Schwester vorbei. Seit ich hier bin habe ich sie noch nicht gesehen. Sie war nach Angaben meiner Mutter mit Freunden unterwegs.
Ihre Tür steht einen Spalt offen und ich höre sie auf dem Balkon telefonieren.
„Nein, Brad. Vergiss es."
Ich öffne die Tür ein Stück weiter.
Sie bemerkt mich nicht, sondern redet sich in Rage.
„Du hast gesagt, dass du mich liebst. Du hast es gesagt. Bist du eigentlich verrückt. Zu so etwas bin ich nicht zu gebrauchen. Sucht dir jemand anderes der deine Schlampe spielt. Aber mich kannst du vergessen. Du bist so ein Arschloch."
Dann legt sie auf und fährt sich aufgewühlt durch die schwarzen, blaugesträhnten Haare.
„Hey", sage ich vorsichtig und trete an die Balkontür.
Erschrocken zuckt sie zusammen. „Sophia!"
Erst jetzt sehe ich die Tränenspuren auf ihren Wangen.
„Oh je, was ist passiert?", frage ich und gehe auf sie zu.
„Nichts so wichtiges", wiegelt sie ab und wendet sich dem Geländer zu, um mich nicht ansehen zu müssen.
Ich lache trocken auf. „Was auch immer meine sonst so taffe Schwester zum Weinen gebracht hat und was sie vergessen lässt, dass sie mich mehrere Monate nicht gesehen und dass sie mich umarmen müsste, muss etwas wichtiges sein."
Zu meinem Entsetzten fängt sie an zu Schluchzen und ich nehme sie direkt in den Arm.
Verzweifelt schlingt sie die dünnen Arme um mich. „Typen sind Arschlöcher", sagt sie.
Ich drücke sie fester. „Soll ich dir mal etwas erzählen, Clary? Ich habe mich von Adam getrennt, weil er mich betrogen hat. Also ja, Typen sind Arschlöcher."
„Im Ernst?" Clary starrt mich ungläubig an und vergisst dabei glatt zu weinen.
„Im Ernst! Und welcher Typ hat deinem Herzchen weh getan?"
Ich wische ihr die Tränen weg.
„Brad. Er geht auf meine Schule und ist schon Senior. Aber er hat mich wie Dreck behandelt. Immer wenn andere dabei waren hat er einen auf tollen Freund gemacht und dann wenn er mit mir alleine war, hing er die ganze Zeit an seinem Handy oder wollte nur rummachen."
Wir reden eine ganze Weile über unsere Exfreunde.
„Weißt du was? Ich habe eine Idee. Warte kurz."
Ich schleiche nach unten, wo meine Eltern noch immer mit ein paar von Dads Freunden inzwischen bei einem Glas Wein sitzen.
Unbemerkt verschwinde ich in der Küche und stibitze den Gin Tonic aus dem Kühlschrank.
Ich weiß, dass meine Schwester noch kein Alkohol trinken darf, aber sie tut es mit ihren Freunden sowieso. Da ist es mir lieber, sie betrinkt sich in meiner Gegenwart, als auf irgendeiner Party. Außerdem ist dies schließlich ein Notfall und wir brauchen das jetzt.

SophiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt