"Ein Hoch auf die beste Familie"

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Als Marie wieder hereinkam hörte sie bereits eine Diskussion aus der Küche, bei der versucht wurde leise zu sein. Ohne zu lauschen ging sie also zurück ins Wohnzimmer wo alle saßen und sich anschwiegen.
Neben ihrer kleinen Schwester rutschte sie auf die Couch.
"Na Kleine, wie geht's dir? Was macht die Schule?" Fragte sie und die Jüngere blickte auf. Sie hätte ihre ältere Schwester gebraucht, mitten in der Pubertät mit ihren 16 Jahren waren Mama und Papa die nie Zeit hatten und zwei ältere Brüder nicht unbedingt die beste Betreuung.

"Ganz gut" druckste sie rum und obwohl sich die beiden bereits schon über ein Jahr nicht mehr gesehen hatten sah Marie, dass etwas nicht stimmte, aber das würde sie sicher nicht vor versammelter Mannschaft besprechen.
"Und wie läuft es auf der Arbeit?" Fragte ihr Vater in ihre Richtung und Marie lächelte.
"Ich kann mich nicht beschweren. Und bei euch?" Das war ein richtig gezwungenes Gespräch, verdammt traurig, wenn man bedachte, dass hier ihr eigenes Fleisch und Blut saß, ihre engsten Verwandten.
"Momentan gibt es viele Aufträge, deine Mutter und ich reisen oft, nach Amerika, Shanghai, Dubai. Aber es ist schön, wenn es läuft" erzählte er. Arbeit war das einzige Thema, was ihr Vater kannte. Manchmal war sie wirklich froh, dass sie ihre Familie in der Pubertät nicht um sich hatte.
"Das ist schön! Und euer Studium?" Wand sie sich an ihre Brüder. Jonas war gerade einmal anderthalb Jahre älter als sie, aber niemandem hier fühlte sie sich so fremd wie ihm. Das war schon immer so, die beiden hatten grundverschiedene Charakter und Meinungen. Während Jonas es vollkommen in Ordnung fand sich von Papi durchs Leben bringen zu lassen, wollte Marie selber etwas erreichen.
Justus hingegen studierte... ja was studierte der eigentlich? Er hatte noch keinen einzigen Abschluss und das obwohl er der älteste der vier war.
"Ja es macht Spaß, noch zwei Semester und ich habe meinen Bachelor in Regelstudienzeit" erzählte Jonas stolz. Justus hingegen schwieg. Ob er schon wieder etwas abgebrochen hatte?
Irgendwann trafen auch Maries Cousins und ihre Tante ein, sodass die ganze Familie beisammen war. Sie ging jedoch zu Oma in die Küche und versuchte irgendwas auf den Tisch zu zaubern, weil ja niemand mit dem Auftauchen der Familie aus München gerechnet hatte.
"Mit deiner Schwester stimmt aber irgendwas nicht oder?" Meinte Oma, als Marie vertieft Tomaten schnitt.
"Ich hab es auch schon bemerkt, wollte sie gleich mal mit hoch nehmen und mit ihr reden."

"Willst du mal wieder meine Anziehsachen durchschauen?" Fragte Marie ihre jüngere Schwester und die grinste bereits, schon früher hatte Marie etwa die Hälfte ihrer Sachen immer dort bei ihrer kleinen Schwester im Kleiderschrank gefunden - damals eher unfreiwillig und meist auch noch ihre Lieblingsteile.
Sie liefen nach oben und standen in Maries Zimmer.
"Was ist los Kleine?" Fragte sie sofort und klopfte neben sich auf die Couch.
"Nichts, alles gut" lächelte Lena ihre ältere Schwester unschuldig an. Doch Marie wusste ganz genau, dass irgendwas nicht stimmte.
"Und jetzt mal unter Schwestern. Bei mir läuft auch nicht alles Regenbogen Einhorn Super. Und mit 16 war das schon mal gar nicht so. Also raus mal der Sprache" versuchte Marie sie zu beruhigen.
"Aber ich schaff das schon. Auch das mit der Schule bekomme ich wieder in den Griff" rutschte Lena hin und her und sah auf den Boden. Ein ernster Blick brachte sie dann doch langsam zum Reden.
"Ich hab nur ein bisschen Stress mit den Leuten. Und etwas schlechtere Noten..." druckste Lena herum und Marie sah es.
"Und jetzt ernsthaft? Lena bitte, du kannst mit mir reden! Ich rede nicht mit Mama und Papa, wie du vielleicht mitbekommen haben könntest..." schmunzelte Marie, sie verstand nicht, warum Lena so Angst hatte es ihr zu erzählen.
"Du schaffst das immer alles. Aber ich habe fünf blaue Briefe für die Zeugnisse die jetzt kommen. Und die Mädels reden nicht mehr mit mir" liefen die ersten beiden Tränen über ihre Wange.
"Die erzählen rum ich hätte was mit Tim. Aber wir sind doch wirklich nur befreundet. Und alle glauben ihnen, dabei hat er doch Julia" und Marie begann zu verstehen. Das waren die typischen Pubertätsprobleme.
"Willst du die Schule wechseln?" Fragte Marie vorsichtig und drückte die Kleine in ihre Arme.
"Mama und Papa hören mir ja nicht zu. Die wissen nicht einmal von den Fünfen" weinte Lena bitterlich. Als sie sich beruhigt hatte setzte Marie sie an den Schminktisch um sich wieder fertig zu machen, während sie selber runterging.
"Mama, Papa, könnten wir kurz reden?" Fragte sie zuckersüß und ihr Cousin warf ihr direkt einen besorgten Blick zu, den sie nur schnell abwinkte.
"Klar Schätzchen. Lass uns in die Küche gehen" zwitscherte ihre Mutter.
"Ihr könnt euch das ganze heile Welt Spiel hier sparen. Ich hab das längst durchschaut. So wie alle anderen wohl auch. Aber ihr habt ein gottverdammtes Kind zu erziehen!" Keifte sie und versuchte wirklich ruhig zu bleiben. Wie lange sie das schaffte konnte sie aber nicht garantieren.
"Ach Schätzchen, die paar Tage, die Lena allein ist" spielte ihr Vater es runter wie schon immer.
"Ich bin alleine klargekommen. Aber Lena schafft das nicht. Die braucht verdammt nochmal Eltern! Könnt ihr euch vorstellen was die durchmacht? Wie schwierig Schule in dem Alter für Mädels ist? Nein könnt ihr nicht. Aber ihr versucht es noch nicht einmal. Ihr seid so erbärmlich. Na, wie viele Millionen türmen sich auf dem Konto? Und wie viele Häuser habt ihr neu gekauft?" Schrie Marie wütend. Sie hatte alles hinbekommen, sie hatte Oma und Opa, aber Lena war allein.
"Marie. Wir sind immer noch deine Eltern" mahnte ihr Vater, während ihre Mutter nur den Mund Aufriss.
"Ja leiblich. Aber zu meiner Erziehung habt ihr nichts beigetragen. Und jetzt versagt ihr bei Lena auch noch. Nur, dass die niemanden hat, der sie auffangen kann. Ich bin glücklich, und das war die beste Entscheidung meines Lebens damals. Aber Lena braucht euch verdammt noch mal!" Sie war kurz davor zu weinen. Wie konnten Menschen so kalt sein. Warum hatten die überhaupt Kinder?!

"Marie, komm wir gehen raus" kam ihr Cousin und nahm sie in den Arm.
"Dennis, ich versteh das nicht. Deine Eltern haben es auch hingekriegt. Lena tut mir so so leid." Begann sie an der Schulter ihres Cousins zu schluchzen.
"Du kannst nicht jeden retten, Marie. Pass auf, dass es dir gut geht. Mehr als ihr anbieten, dass sie hier her kommen kann, wenn etwas ist kannst du nicht. Außerdem geigen Oma und Opa denen schon die Meinung, glaub mir" Beruhigte er sie und Marie nickte zaghaft.

Kaum, dass Marie sich beruhigt hatte stürmten ihre Eltern inklusive ihrer Geschwister an ihnen vorbei zum Auto, Lena im Schlepptau.
Marie schüttelte nur den Kopf und ging wieder mit rein.
Ihre Oma und Opa standen dort mit ihrem Onkel und ihrer Tante und sahen sie mitleidig an.
"Haben wir was zum Anstoßen da?" Fragte Marie und hatte ihr Lächeln wiedergefunden. Verwirrt füllte ihre Oma Sektgläser und reichte jedem eines.
"Danke. Und ein Hoch auf die beste Familie, die ich mir vorstellen kann!" Strahlte sie und stieß mit den anderen an. Ihre Tante zog sie danach in eine Umarmung.

Als ihr Onkel und so nur noch auf der Couch saßen, sah sie mal auf ihr Handy. Eine Nachricht von Leo, was mit der Familie los war und ob Marie rüberkommen wollte.
So um neun verabschiedete sie sich dann und ging über die Straße zu Leo, die fast gegenüber wohnte.
"Was ist denn passiert Süße?" Fragte eine ihrer langjährigsten Freundinnen und Marie begann zu erzählen.
"Und was ist mit dir und Felix gewesen gestern Abend?" Grinste Marie dann, als das Thema für sie durch war und sofort hielt Leo sich die Augen zu und grinste.
"Oh mein Gott. Er war wirklich total heiß, aber du glaubst es nicht. Es war so peinlich! Ich war schon nur noch in Unterwäsche und bin eingepennt. Bei ihm. Ich hab geschlafen bis heute morgen um halb 11!" Und Marie bekam einen Lachanfall. Vor allem, nachdem die beiden sich gestern Abend schon mit ihren Blicken nahezu ausgezogen hatten.
"Oh Leo. Und dann?"
"Er hat mich einfach mit Frühstück geweckt!!! Und er war irgendwie süß... dann hat er mich nach meiner Nummer gefragt und ich bin völlig verwirrt." Erzählte Leonie ruhig und Marie quietschte kurz.
"Oh man. Vielleicht findet er ja was an dir" grinste Marie und Leonie verdrehte die Augen. Das war ja mehr als unrealistisch.
Plötzlich piepte Maries Handy.
Unbekannte Nummer.
Alles gut? Hast du deine Familie überstanden?
Leon
Maries Gesicht musste Bände gesprochen haben, so wie Leo sie ansah. Sie drehte einfach nur das Handy und ließ die braunhaarige mitlesen.

Fools {Leon Goretzka}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt