Kapitel 5

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Nachdem Oin meine Kopfwunde rasch versorgt hatte, machten wir uns langsam an den Abstieg. Es war sehr rutschig und einmal wäre ich ausgerutscht, wenn mich Dwalin nicht aufgefangen hätte. Trotzdem trieb uns Gandalf zur Eile an. Die Orks saßen uns immer noch im Nacken. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als wir auf dem Boden ankamen. Wir legten eine kleine Verschnaufpause ein und schickten Bilbo los, um sich umzusehen. Nach einiger Zeit kam er nervös zurück. "Sie sind immer noch hinter uns her", keuchte er. Sofort redeten alle durcheinander. Bilbo wollte offensichtlich noch etwas sagen, aber keiner hörte zu. Gandalf lobte lautstark die Qualitäten eines Hobbits, während Thorin finster dreinblickte. Dwalin und ein paar andere Zwerge überlegten lautstark, wie man die Orks töten könne. Balin besprach mit Oin einen Fluchtweg, Dori und Ori stritten sich. Bilbo versuchte vergeblich zu Wort zu kommen. "Hey! Seid mal leise!" Niemand hörte mir zu. Ich griff nach meinem Schwert und fuhr mit den Fingernägel darüber. Ein hässliches Quitschgeräusch entstand und alle schwiegen sofort. "Bilbo will etwas sagen." Dankbar nickte der Hobbit:" Ich versuche euch zu sagen, dass da oben noch etwas anderes ist." Gandalfs Augen weiteten sich erschrocken. "Etwas anders? Welche Gestalt hatte es? Die eines Bären?" "Ja." Bilbo stockte. "Woher weißt du das?" Gandalf ignorierte ihn: "Hier in der Nähe gibt es ein Haus. Dort sind wir heute Nacht sicher." Thorin wurde misstrauisch: "Wer wohnt dort? Freund oder Feind?" "Weder noch. Er wird uns helfen oder uns töten." "Haben wir eine Wahl?" "Nein." Damit war die Sache beschlossen. Rasch packten wir unsere Sachen zusammen und begannen zu rennen. Der Wald war schrecklich steil und es war ein Wunder, dass alle unverletzt blieben. Gerade sprang ich über eine Wurzel, als der Wald sich lichtete. Die Zwerge stürmten an mir vorbei und ich wartete auf Bilbo. Als auch er den Wald verlassen hatte, lief ich ihnen als Schlusslicht nach. Ich hatte die Bäume kaum hinter mir gelassen, als ein riesiger, schwarzer Bär mit einem gewaltigen Sprung uns hinterher sprang. Ich beeilte mich wieder zu der Gruppe aufzuschließen. Wir rannten geradewegs in einen kleinen Hof. Die Zwerge rannten gegen ein Tor und versuchten es aufzudrücken. Es klappte nicht. Mir war auch klar, weshalb. Ein Riegel versperrte es. "Thorin! Über deinem Kopf!" Der Zwergenkönig schaltete zum Glück schnell und das Tor sprang auf. Wir stürzten in das Haus und im letzten Moment gelang es uns, dass große Tor wieder zu verschließen. Nach Luft ringend ließ ich mich auf den Boden fallen. "Gandalf, was ist das?" "Das ist unser Gastgeber." "Was?" "Er ist ein Gestaltenwandler."  "Verstehe." "Ruht euch aus! Hier sind wir diese Nacht sicher", bestimmte Gandalf. Wir teilten uns auf das Zimmer auf und ich sah mich etwas um. Anscheinend waren wir in einer Art Scheune, denn überall lag Heu und große Insekten flogen herum. Ich ging durch eine Tür und betrat eine große Küche. Und wenn ich groß sagte, meinte ich auch groß. Ich konnte nur über den Tisch blicken, wenn ich mich streckte und die Bänke zu beiden Seiten waren so hoch über dem Boden, dass meine Beine nicht mehr den Boden berührten. Jemand betrat die Küche. Es war Gandalf. "Du solltest dich etwas ausruhen." "Gandalf, wer wohnt hier?" "Ich sagte doch bereits, ein Gestaltenwandler." "Und wie heißt er?" "Beorn." Irgendwas sagte mir der Name, aber ich kam nicht drauf. "Nelda? Wisst ihr etwas über Beorn?" "Ich weiß nicht, dass kommt mir alles so bekannt vor." Gandalf nickte. "Ruhe dich aus." "Gleich, ich will noch wissen, wo diese Tür hinführt." "Nein!" "Wie bitte?" "Ich sagte: Nein! Die Tür führt nach draußen und der Bär ist dort noch irgendwo. Es wäre zu gefährlich." "In Ordnung." "Komm jetzt. Leg dich hin." Ich folgte dem Zauberer und richtete mir ein Lager ein. Die meisten Zwerge hatten sich bereits hingelegt. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand und ließ meinen Blick durch den Raum wandern. Ich fing Thorins Blick auf. Er lächelte mir zu und mir wurde warm ums Herz. Ich lächelte zurück. Der Zwerg lag auf dem Rücken und sah zu mir. Ich konnte nicht wegschauen. Seinen hübschen Augen schienen mich anzuziehen. Gerade wollte ich aufstehen und zu ihm gehen, als er den Blick abwandte und die Decke anstarrte. Ich beobachtete ihn weiter. Seinen Gesichtszüge waren für einen Zwerg fein und königlich. Man konnte ihm seine Abstammung quasi ansehen. Doch da war auch etwas Wildes. Ein erfahrener Krieger, der keine Angst hatte über Leichen zu gehen. Dazu kam etwas Schweres, etwas was ihn schon lange belastete. Ich fragte mich, wie viel er durchmachen musste. Er wirkte so stark, aber in seinem Inneren war er zerbrochen. Ich bemerkte, dass er wieder zu mir sah und ich hatte ihn die ganze Zeit angestarrt! Schnell blickte ich zur Seite. Dieser Zwerg machte mich wirklich fertig.

Ich schreckte hoch. Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn draußen war es komplett dunkel. Man hörte das Schnarchen und die regelmäßigen Atemzüge der Zwerge. Irgendjemand hatte mir eine Decke umgelegt, aber hier drin war es so warm. Leise stand ich auf und ging in die Küche. Hier war es etwas kühler. Ich überlegte kurz. Ich könnte mit der Decke nach draußen gehen, dort wäre es sicher angenehm. Aber Gandalf sagte, dass es zu gefährlich wäre nach draußen zu gehen. Kurzerhand beschloss ich, mich trotzdem draußen neben die Tür zu setzen. Ich konnte sie offen lassen und falls der Bär kommt, schnell nach drinnen rennen. Gesagt, getan. Keine Minute später öffnete ich, mit der Decke in der Hand, die Tür und ging nach draußen. Kühle Nachtluft schlug mir entgegen und ich atmete erleichtert tief ein. Ich fand eine kleine Bank nahe der Tür und setzte mich. Mit der Decke um den Schultern starrte ich in die Finsternis. Es war eine sternenklare Nacht. Der Mond strahlte im einem hellen Licht. Ich schloss die Augen. Die Bäume rauschte und ein leichter Windhauch strich mir durch die Haare. Das Gras raschelte, als sich mir jemand nährte. Erschrocken riss ich meine Augen und drehte mich um. "Ich wollte dich nicht erschrecken", sagte Thorin entschuldigend. "Schon gut." "Was machst du hier alleine?" "Ich brauchte frische Luft und ein bisschen Ruhe." "Dann gehe ich besser wieder." "Nein, bleib ruhig hier. Setzt dich doch." Thorin ließ sich neben mir auf der Bank nieder und schwieg. Ich blickte wieder in die Nacht und wusste nicht, was ich sagen sollte. "Es ist eine schöne Nacht", brach er schließlich das Schweigen. "Ja, und so ruhig." Wieder sagte er nichts, er sah mich bloß an. "Ist dir nicht kalt, Thorin?" Er hatte seinen Mantel im Haus gelassen und trug nur ein dünnes Hemd. "Es geht eigentlich." Trotzdem legte ich ihm ein Teil der Decke über die Schulter und rückte näher an ihn. Er lächelte mir zu. "Du bist wirklich besonders." Ich blickte auf meine Hände. "Danke", sagte ich leise. Er legte eine Hand unter mein Kinn und ich sah ihm in die Augen. "Ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal zu einer Elbin sagen würde, aber du bist wunderschön." "Thorin..." Schhh." Er legte mir einen Finger auf die Lippen. "Weißt du, wir Zwerge finden nur einmal die große Liebe. Wir verlieben uns nur ein einziges Mal. Und ich weiß, dass ich meine eine einzige Liebe bereits gefunden habe. Vielleicht fühlst du nicht gleich, aber ich möchte, dass du weißt, dass ich mich in dich verliebt habe, Nelda." Er ließ mich los und stand auf. "Ich wollte nur, das du es weißt." Er wollte wieder zurück ins Haus gehen, doch ich hielt ihn am Arm fest und zog ihn wieder neben mich. "Thorin, ich fühle genauso wie du." Ganz vorsichtig legte ich meine Lippen auf seine. Für einen Moment war er erstaunt, doch dann küsste er mich zurück. Er war sanft und liebevoll, doch als ich meine Arme um seinen Nacken legte und ihn näher zu mir zog, wurde er fordernder. Seine Arme legte er um meine Taille und zog mich auf seinen Schoss. Ich vergrub meine Hände in seinen Haaren. Seine Hände wanderten langsam zu meinem Gesicht und er löste sich von mir. Seine große Hände umrahmten mein Gesicht fast vollständig. Er sah mich an und seine Augen leuchteten. "Es ist, als würde ein Traum wahr werden", flüsterte er. "Ein wundervoller Traum", ergänzte ich. Er beugte sich noch näher, doch bevor sich unsere Lippen wieder trafen, ließ uns ein Geräusch auseinander fahren. Es war ein tiefes Schnauben, wie von einem großen Tier. "Ich glaube, wir sollten langsam reingehen", wisperte ich. Thorin nickte. Ich stand auf und lief leise auf die Tür zu. Ein weiteres Schnauben durchschnitt die Stille. Thorin folgte mir rasch und still. Wir betraten das Haus und ich schloss die Tür. "Vielleicht sollten wir uns wieder hinlegen", sagte der Zwerg. "Ich werde aber ziemlich frieren. Die Decke liegt noch draußen." Er lachte leise. "Ich denke, wir finden einen Ersatz." Wir schoben unsere Lager zusammen und ich kuschelte mich an Thorin. Er legte seine Decke über uns. "Ich glaube, ich bin zu groß. Oder du zu klein", kicherte ich. Da Thorin deutlich kleiner war als ich, schauten meine Füße noch unter der Decke hervor. "Irgendwas muss an dir nicht perfekt sein" Thorin lächelte mich liebevoll an. Ich lächelte zurück und kuschelte mich wieder an ihn. Meine Füße waren mir jetzt auch egal.


Heute mal ein kürzeres Kapitel. Und, wer weiß alles, warum Nelda bei Beorn alles so bekannt vorkommt? Außer mir natürlich.

Ich hätte niemals gedacht, dass ich nach ein paar Kapitel schon fast 90 Views habe. Vielen Dank dafür :)

Wünsche euch noch einen schönen Abend

Joki

Das Mädchen ohne VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt