Kapitel 12

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Ich rannte so schnell ich konnte. Meine Lunge brannte schmerzhaft. Ich rannte an Kili vorbei. Tauriel hatte sich über ihn gebeugt und weinte. Ich eilte eine Treppe nach oben, bog um eine Ecke und jagte weiter. Mein einziger Gedanke galt Thorin. Vor mir erkannte ich den vereisten Wasserfall, den Legolas beschrieben hatte. Vorsichtig, damit ich nicht ausrutschte, betrat ich das Eis. Augenblicklich sah ich Azogs Leiche, die von Orcrist durchbohrte war. Aber wo war Thorin? Ich entdeckte ihn am Rand des Wasserfalls. Er blickte auf den Erebor. "Thorin!" Ich ging langsam näher. Der Zwerg drehte sich um und sah zu mir. In seinen Augen spiegelten sich so viele Gefühle, ich konnte sie nicht alle beschreiben. Ich lächelte ihm zu, er versuchte es zu erwidern. Dann brach er zusammen. "Thorin!", schrie ich verzweifelt. Ich fiel neben ihm auf die Knie. "Thorin!" Seine Brust hob und senkte sich schnell. Ich legte meine Hand auf seinen Bauch. Er war voller Blut. "Nein", wisperte ich und meine Stimme brach. "Es tut mir so leid, Nelda. Alles was ich gesagt und getan habe. Ich habe dich verletzt und jetzt will ich mich noch einmal entschuldigen, bevor es zu spät ist." Er hustete. "Nein, nein. Thorin, nichts ist zu spät. Hilfe wird kommen, du wirst gerettet werden." "Es beruhigt mich, dass du weiterleben kannst. Es macht mich glücklich, dass nicht alles umsonst war. Aber es macht mich traurig, dass ich mich nicht bei Bilbo entschuldigen konnte." "Thorin, sei still." Mir liefen Tränen über die Wangen, die langsam auf sein Gesicht tropften. Ich sah ihm in seinen wunderschönen Augen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. "Du sollst nicht weinen. Nicht meinetwegen." "Wie kannst du so etwas sagen! Ich liebe dich!" "Ich weiß..." Er hustete wieder und spuckte Blut. "Ich liebe dich auch", röchelte er. Plötzlich ließ sich Bilbo neben mich fallen. Der Hobbit war vollkommen außer Atem. "Hast du noch den Schlüssel?", fragte mich Thorin. Ich nickte. "Behalte ihn. Als eine Erinnerung." "Ich brauche keine Erinnerungen, weil du mit mir kommst." Thorin lächelte schwach, dann bemerkte er Bilbo. "Es ist gut, dass du da bist. Ich wollte mich entschuldigen, für dass, was ich auf dem Wall gesagt habe. Du hast getan...", wieder hustete er schwach. "...was wahre Freunde tun würden. Verzeih mir." In Bilbos Augen sammelten sich Tränen. "Lebewohl, Meisterdieb. Kehre zurück zu deinen Büchern und deinem Sessel. Pflanze deine Bäume. Sieh zu, wie sie wachsen. Gäbe es mehr, die ihr Zuhause höher erachten, als Gold, diese Welt wäre ein viel glücklicherer Ort." Bilbo hatte sich über Thorin gebeugt, auch er weinte jetzt. Thorin holte noch einmal röchelnd Luft. Irgendetwas in meinem Kopf setzte aus. Unter Tränen schrie ich: "Thorin, du hast es mir versprochen! Du hast gesagt, wir werden zusammen ein glückliches Leben führen!" "Ich habe bei meinem Leben geschworen. Wenigstens du kannst jetzt in Frieden leben." Zitternd hob er seine Hand und strich mir eine Träne aus dem Gesicht. "Du bist mir wert, als alles Gold dieser Erde. Mehr wert, als der Arkenstein. Mehr wert, als mein Leben." Ich schluchzte: "Ich will, dass du bei mir bleibst." "Wir sehen uns wieder." "Ich warte auf dich. Sechzig Jahre! Wenn du dann nicht wieder bei mir bist, komme ich zu dir!" Er lächelte liebevoll. "Du bist so ein Dickkopf!" "Das sagt ja der Richtige." Er schmunzelte und sah mich lange an. Dann atmete er noch ein weiteres Mal ein und aus. Ich wartete, dass seine Brust sich weiter bewegte, doch nichts geschah. "THORIN!" Sein Blick war gebrochen. Bilbo schluchzte laut auf. Ich warf mich auf Thorins leblosen Körper und weinte bitterlich. Wieso er? Wieso musste er sterben? Ich erhob mich nicht, als nach und nach die anderen Zwerge zu uns stießen. Sie weinten leise, knieten sich nieder und umarmten sich. Mein Gesicht war verschmiert von Thorins Blut und meinen Tränen, als mich jemand sanft aufhob und in den Arm nahm. Es war Legolas, der sich zu mir gekniet hatte und in dessen Armen ich weiter weinte. "Malrín! Legolas!" Mein Bruder hob den Kopf, doch ich war zu entkräftet, um mich zu bewegen. Ich streckte meine Hand nach Thorin aus, aber ich konnte ihn nicht erreichen. "Malrín, oh nein!" Mein Vater ließ sich neben uns fallen. "Sag doch etwas! Legolas, wieso sagt sie nichts? Sie ist voller Blut! Ist sie tot?" Vater war völlig außer sich. "Sie darf nicht tot sein!" "Ada", flüsterte ich. "Bei den Valar!" Thranduil seufzte erleichtert, doch dann viel sein Blick auf Thorins Leiche. Langsam nährte er sich ihm. Er streckte seine Arm aus und berührte die Stirn des Zwerges. Ich konnte seinen Blick nicht deuten. Legolas hielt mich eng an sich gedrückt, wiegte mich wie ein kleines Kind, als ich noch heftiger schluchzte. Dann tat Thranduil etwas Unerwartetes. Er nahm Legolas und mich in die Arme und drückte uns an sich. "Ich bin so froh, dass ihr lebt", murmelte er. Legolas hatte die Umarmung etwas perplex erwidert und auch ich hatte meinen Vater mit meinen Armen umschlossen. "Es wird alles wieder gut", nuschelte er in mein Haar. Ich wusste, dass er log. Es würde nie wieder alles gut werden. So eine Wunde verheilt niemals, doch an diesem schrecklichsten Tag meines Lebens, war dennoch etwas gutes geschehen. Meine zerbrochene Familie hatte sich endlich wiedergefunden.

Das Mädchen ohne VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt