„Du hast meinen Bruder in dieser Kneipe angequatscht?" Narvik hatte seine Arme wieder sinken lassen und sah mich jetzt mit naivem Entsetzen an.
„Es ist ein ordentliches Wirtshaus", korrigierte ich ihn. „Und für mich war es nicht dein Bruder. Damals war er der Mann, der tatsächlich den Namen behalten hatte, den ich ihm gegeben hatte. Er war der Mann, der mit meinem Namen hinaus in die Welt ging und die Dinge tat, die ich tun wollte."
Ich sah Narvik ernst an. Sein Gesicht folgte meinem Beispiel. Endlich verstand er, wie ernst es mir war.
„Er ließ mich bei seiner Elite am Tisch sitzen und noch in dieser Nacht wäre ich bereit gewesen, für seine – nein – für unsere Sache zu sterben."
Der jüngste Prinz ließ sich gegen die Rückenlehne fallen, schnaubte unzufrieden. Natürlich gefiel ihm nicht, was er da hörte, aber ich hatte es schlussendlich geschafft, durch seine sturen Mauern durch zu dringen.
„Und was dann? Du warst ein Kind, keine Frau."
Wieder musste ich lachen. Es war so typisch, dass Narvik sich nur auf diesen einen Punkt fokussierte. Gefühle waren für ihn ein so elementares Thema, dass er manchmal übersah, dass auch Wut und Hass und Frustration Teil der Gefühlswelt waren.
„Ich wurde nicht sofort Teil seiner Elite. Man ließ mich wie jeden anderen Rekruten trainieren – auch wenn man mir vielleicht mehr verzieh. Es dauerte wieder Monate, bis ich ihn das nächste Mal zu sehen bekam."
Raja hatte sich mittlerweile mit dem Rücken an das Seitenfenster gelehnt, um uns beide besser beobachten zu können. „Also daher deine gute Ausbildung."
Ich nickte. „Jetzt, da ich weiß, dass Azrael ein Prinz war, wird mir vieles klarer. Die Männer, die mich trainierten, müssen hier am Hof ausgebildet worden sein. Oder zumindest von jemandem, der hier eine professionelle Ausbildung erhalten hat. Das waren unter gar keinen Umständen normale Rebellen, die ein bisschen Erfahrung im Straßenkampf hatten."
Narvik schnaubte erneut. Er spielte wieder mit dem Ring zwischen seinen Fingern. „Und dann was? Du hast dich hochgearbeitet in seine Elite und dann..." Er hielt den Ring hoch und ich schnappte ihn wütend weg.
„Ich habe mich nicht einfach so hoch gearbeitet. Ich war gut. Ich bin gut." Das Knurren aus meiner Kehle hatte etwas Animalisches und Narvik zuckte zusammen. Gut, sollte er es nicht anders verstehen wollen, dann würde ich ihn nicht länger verschonen. „Denk nicht, dass ich es nur so weit geschafft habe, weil ich ein hübsches Mädchen war." Ich fauchte aufgebracht und konnte mich kaum in meinem Sitz halten. „Ja, vielleicht habe ich bis zu diesem Tag niemals jemanden umgebracht und ja, ich weiß, dass ich dir mein Leben verdanke, aber wage es nicht noch einmal so mit mir zu sprechen."
Seine Augen waren vor Schreck geweitet. Er hatte selber nicht mitbekommen, wie er sich verhalten hatte. Für ihn war es die ganze Zeit nur um eine romantische Geschichte gegangen.
Ich ballte meine Fäuste. „Willst du es nicht verstehen? Oder bist du so dämlich? Ich habe Azrael nicht aus irgendwelchen rosigen Gefühlen heraus geliebt, ich habe ihn geliebt, weil er genau das hier nicht getan hat." Ich boxte ihn gegen die Brust. „Ich war für ihn in erster Linie ein Rebell, genau wie er, ich war einer seiner Männer und er hat mich zu keinem Zeitpunkt anders behandelt." Wieder boxte ich ihn und diesmal hörte ich, wie er zischend ausatmete. „Ich habe trainiert wie jeder andere Mann und nur so konnte ich zu dem werden, was ich jetzt bin. Stark."
Ich wollte an die Trennwand zum Fahrer klopfen, aber Raja warf sich dazwischen. Offenbar war mich aufzuhalten ihr wichtiger gewesen, als jede Etikette, denn so lag sie halb auf Narvik, hatte ihm im Sprung sogar wieder ihren Ellbogen ins Gesicht gehauen. Wäre ich nicht so wütend gewesen, hätte er mir vielleicht Leid getan.
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Revolution
AdventureEleonora "Ellie" fühlt sich als geborene Rebellin. In den Slums, die ihr Zuhause sind, hat sie sich ihren Ruf als Robin Hood hart verdient. Nichts verabscheut sie mehr, als die Monarchie, die ihr Volk ignoriert und verhungern lässt. Doch dann kommt...