59 - überarbeitet

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Ich hatte mich nach exakt drei Tagen annähernd zu Tode gelangweilt und beschloss, dass es nun an der Zeit war, mich aus meinem Kokon zu wagen. Ich empfahl mich der apathischen Königin und Lucinda und marschierte so schnell es die Etikette zuließ zu Lena und Rosalie an den Tisch. Mit ihnen konnte ich mich wenigstens unterhalten, ohne befürchten zu müssen, dass eine von beiden plötzlich leer vor sich hinstarrte, bis ich wieder über den Tee oder Kleider sprach.
Lena legte mir mit einem stummen Lachen die Hand auf den Arm. „Du bist sehr tapfer gewesen", flüsterte sie und ich atmete schwer aus - Seufzen war ja verpönt.
Rosalie steckte eine meiner Locken zurück an ihren Platz. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und ich befürchtete schon das Schlimmste, als sie endlich mit der Sprache herausrückte. „Sag mal. Hast du eigentlich die Vorbereitung für deine Hochzeit mitbekommen?"
Erstaunt schüttelte ich den Kopf. Nichts von alle dem hatte für mich eine Rolle gespielt, es war ja nur eine Scheinehe, aber jetzt, da sie es sagte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ein normales Mädchen würde sich so kurz vor ihrer Hochzeit mit nichts anderem beschäftigen! Rosalie winkte einen Diener herbei und bat ihn, uns doch die aktuellen Mappen bringen zu lassen. Mit besagten Mappen kamen natürlich auch gleich Ismael und eine Frau zu uns, die ebenfalls für die Planung des Events eingeteilt worden war.

Die nächsten Stunden begruben wir unter Listen und Skizzen, die abwechselnd die Frau oder Ismael machten, um uns ihre Ideen besser visualisieren zu können. Lena und Rosalie gingen völlig darin auf und ich verstand es so langsam. Es hatte auch seine angenehmen Seiten, zur obersten Gesellschaftsschicht zu gehören. Unbegrenzter Zugriff auf Törtchen und Sandwiches. Ich hatte die meiste Zeit damit verbracht, die kleinen Häppchen, die man uns gebracht hatte, zu verdrücken. Bis Ismael mir eine Skizze hinlegte und zu spät meine verschmierten Finger sah. Panisch ergriff er mein Handgelenk, damit ich das feine Papier nicht berühren konnte.
„Du verdirbst dir den Appetit. Und die Hochzeitstorten wirst du in den nächsten Tagen auch noch probieren müssen!" Wir lachten ausgelassen. Endlich hatten wir eine fröhliche Stimmung schaffen können. In all dem Gewirr hatte ich meine Sorge um Diana komplett vergessen und als wir abschließend zusammen räumten und den Tag damit beendeten, hatte ich sie vollkommen aus den Augen verloren. Wir hatten sogar das Abendessen verpasst, aber das machte niemandem von uns groß etwas aus, denn Javier persönlich hatte uns einen Snack bringen lassen. Ich fragte mich, ob er die Grüße auf der beiliegenden Karte mit meinem Füller unterschrieben hatte?

Die anderen verabschiedeten sich in ihre Zimmer und ich machte mich alleine auf den Weg. Mein Zimmer lag so nah bei Javiers. Sollte ich ihm einen Besuch abstatten und mich bedanken? Ich hatte mich noch nicht so recht für eine Antwort entscheiden können, als ich es im Augenwinkel sah, einen Schatten, eine Bewegung. Zuerst alarmierte es mich nicht, doch dann hörte ich dieses Rascheln. Ruckartig fuhr ich herum und erwischte gerade noch Dianas Arm mitten in der Luft. Das Messer glänzte kalt und bedrohlich in ihrer Hand. Sie war sehr viel stärker als ich erwartet hatte und lehnte nun mit ihrem ganzen Gewicht gegen mich.
„Diana!", keuchte ich entsetzt. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einem so direkten Versuch, mir die Kehle aufzuschlitzen. Ihre Augen brannten. Sie legte ihre freie Hand ebenfalls an das Messer, um noch mehr Kraft aufbringen zu können.
„Gib ihn zurück." Ihre Stimme war nicht mehr als ein kehliges Knurren. Sie meinte das hier Ernst und wenn ich nicht gerade noch so reagiert hätte, hätte sie mich ohne Reue niedergestochen
„Was ist in dich gefahren?", fauchte ich zurück. Noch immer Rangen wir um das Messer, aber die Spitze kam meinem Gesicht gefährlich näher. „Diana!" Wenn sie nicht bald wieder zu Verstand kam, würde einer von uns verletzt werden und ich würde das hoffentlich nicht sein. Andererseits wäre es der perfekte Skandal, wenn ich hier im Schloss eines der anderen Mädchen ernsthaft verletzen würde. Für einen Moment gab ich ein wenig nach und Diana lehnte sich wie erwartet hinein, in der Annahme ich würde Schwäche zeigen. Dann riss ich uns beide herum. Dianas Handgelenk knackte ohrenbetäubend, als ich es ihr verdrehte. Das Messer fiel zu Boden und ich stieß Diana so weit davon weg, wie ich konnte. Bevor sie sich von dem Schock erholen konnte, hatte ich das Messer bereits aufgehoben und stand bedrohlich über ihr.
„Für was?", schrie ich sie an. „Für was willst du dein Leben so wegwerfen? Dafür ein Leben lang nur nett auszusehen und sonst nichts? Sieh dir unsere Königin doch einmal an! Ich kenne nichtmal ihren Vornamen, so unbedeutend ist sie!" Jedes meiner Worte war wie ein Peitschenhieb und Diana zuckte zusammen. Tränen rannen ihr unkontrolliert über die schneeweißen Wangen und sie begann zu hyperventilieren. Meine Stimme war laut genug gewesen, um alle in Reichweite zu alarmieren, neben einigen Wachmännern kam auch Javier zu uns gerannt. Schnell ließ ich das Messer in den Falten meines üppigen Rockes verschwinden.
„Was ist hier geschehen?" Javier war sofort an meiner Seite und legte mir eine Hand auf den Rücken. Die Wachleute hoben Diana wieder auf die Beine „Ich denke, Fräulein Diana gedenkt abzureisen." Panisch riss sie die Augen auf und schüttelte den Kopf so heftig, dass ich befürchtete, sie würde schon wieder umfallen. „Nicht? Nun. Dann war das alles wohl ein Missverständnis?" Schluchzend und schniefend nickte Diana. Rotz tropfte ihr aus der Nase und kleine Schaumbläschen klebten in ihrem Mundwinkel. Was für eine bemitleidenswerte Gestalt sie plötzlich abgab. Sie gluckste und hickste noch immer und Javier bedeute den Wachen, sie fort zu bringen.

Als wir schließlich alleine waren, zog er meinen Arm mit dem Messer hervor, das ich so sehr versucht hatte zu verstecken. Langsam löste er meine Finger von dem Griff und ich ließ es ihn an sich nehmen. Hätte jemand mitbekommen, dass Diana so weit gegangen war, mich mit einem Messer anzugreifen, hätten sie und ihre Familie alles verloren.
„Vielleicht solltest du dir in Zukunft besser überlegen, wem deine Gnade gebührt?" Ich sah in seine meeresblauen Augen und augenblicklich beruhigte sich alles in mir.
„Ich denke, sie hätte meinen Zorn nicht verdient gehabt."
Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Was für eine gütige Herrscherin du wirst." Er begleitete mich den restlichen Weg zu meinem Zimmer und öffnete mir die Tür. Jedoch versperrte er mir den Weg. Als ich zu ihm hoch sah, beugte er sich vor und hauchte mir einen unschuldigen Kuss auf die Wange. „Such mir eine Schokoladentorte aus, ja?" Er verließ mich, noch immer das glänzende Messer in der Hand.

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