30 - überarbeitet

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Mit einem Mal hatte sich der Ausdruck auf Matthes Gesicht verändert. Er war nicht freundlich oder sonst wie positiv, aber die tiefen Zornesfalten waren einem offenen Blick gewichen. Es schien ihm zuzusagen, dass ich nicht komplett beratungsresistent war. Doch diese Erkenntnisse nagten an mir. Mir wurde plötzlich klar, wie viel mehr hinter einer richtigen, einer ernstgemeinten Rebellion steckte. Anarchie war nicht die Lösung. Endlich entzog ich mich Sara und ging auf und ab.

„Dieses Land muss seine Monarchen los werden, aber wir brauchen trotz allem eine Regierung. Wir müssen diese Regierung stellen, bevor wir den entscheidenden Zug machen!" Nour hatte sich die ganze Zeit zurück gehalten, doch nun trat sie in unseren Kreis.

„Und?" Ihre Augen funkelten. „Wolltest du nicht schon immer ein Land regieren?" Nicht für eine Sekunde nahm ich ihren Vorschlag ernst. Stattdessen sah ich von ihr zu Unai und Matthes. Sie hatten diesen Plan schon sehr viel länger und sehr viel besser durchdacht.

„Könnt ihr diese Regierung stellen?" Wieder blitze es in Nours Augen auf.
„Wir können noch viel mehr als das." Ich hatte nicht mitbekommen, wo Raja plötzlich her kam. Sie hatte sich die letzten Tage viel ausruhen müssen und der behelfsmäßige Gips war immer noch nicht abgenommen worden. „Aber wir müssen bald handeln." Sie setzte sich halb auf Nours Tisch. „Unsere größte Waffe ist die Dummheit des Königs. So lange keiner seiner Söhne verheiratet ist, haben wir eine reelle Chance, der Monarchie ein Ende zu setzen." Natürlich. Sobald es keinen Erben mehr gab, konnte niemand mehr den Thron für sich beanspruchen, ohne sich gegen uns durchzusetzen.

„Wie kann ich helfen?" Für einen Moment lachte Matthes spöttisch auf, ich hoffte inständig, dass er es nur aus einem Reflex getan hatte, denn ich bemühte mich nach Leibeskräften, von einem tatsächlichen Nutzen zu sein. Er lachte wieder, als ich nicht reagierte. „Ich weiß, dass ich nur ein unbedeutendes Mädchen bin, alter Mann. Aber warum soll nicht jede Hand zählen, die helfen will?"

Raja schnaubte. „Unbedeutend?" Langsam stieß sie sich von dem Tisch ab. „Kommt von eurem hohen Ross herunter, Matthes. Ohne Ellie hätten wir jetzt kein so gutes Blatt in der Hand." Sie legte mir ihre Hand auf die Schulter und stoppte damit mein unruhiges Auf- und Ablaufen. „Ellie, mit dir können wir vielleicht den König zu einem Gespräch zwingen. Er hält dich für eine Royalistin. Möglicherweise wird er auf dich hören, wenn du ihm sagst, dass das Leben seiner Söhne auf dem Spiel steht."

Ich musste wieder Abstand zwischen Raja und mich bringen, denn mittlerweile drängte sich mir eine ganz andere Frage auf.
„Warum wollen alle mich auf ihrer Seite? Der König hat mit mir gesprochen, als wäre ich eine gute Freundin und dann diese Rebellen, die Narvik entführt haben, warum haben sie mich am Leben gelassen?" Die anderen tauschten vielsagende Blicke. Offenbar hatten sie da so ihre Theorien. Mein Blick blieb an Nour hängen. Wenn irgendwer in diesem Zelt mir die Wahrheit sagen würde, dann - da war ich sicher- würde sie es sein. Sie erwiderte meinen Blick standhaft

„Du hast gute Informationen über das Schloss", fing sie schließlich an, doch ich schüttelte den Kopf. Das alleine war zu wenig. „Und..." Plötzlich beäugte sie Sara mit einem spöttischen Lächeln. „Jeder hier draußen ahnt es. Da ist etwas, zwischen dir und den Prinzen. Wenn du dich auf die Seite der gewaltbereiten Rebellen hättest schlagen wollen," sie lachte finster, "dann hätten wir dich einfach als Gefangene behandelt. Einer der drei Prinzen wäre schon gekommen, um dich zu retten." Ihre Ehrlichkeit jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich war mir mehr als sicher, dass sie nicht übertrieben hatte.

„Aber das ist nicht der Grund, warum wir dich bei uns haben wollten." Unai machte einen Schritt näher zur Mitte. „Du bist zu einem Symbol geworden, Ellie." Er hob schnell die Arme, bevor ich ihn unterbrechen konnte. „Wir wissen, dass es nie deine Absicht war, aber es war unsere." Im Augenwinkel bemerkte ich Rajas schuldbewussten Blick. Sie hatten von Anfang an einen Plan für mich gehabt? „Ich gestehe es dir, weil ich denke, dass du bereit dafür bist."

Die anderen, sogar Matthes nickten einstimmig. „Wir haben die Medien zusätzlich von hier draußen manipuliert. Wir haben dir eine Rolle aufgezwungen und ich bitte dich jetzt, zum Wohle der Revolution dieser auch gerecht zu werden."

Wie in Zeitlupe wand ich mich ihm zu. Mein Puls raste von Sekunde zu Sekunde schneller. Eine Rolle? „Wir haben dich als Mädchen aus den Slums dargestellt, dass absichtlich die Krone herausfordert. Das Material, das landesweit ausgestrahlt wurde, zeigt eine junge Frau, die sich der royalen Show entzieht und stattdessen den Prinzen ihre Regeln aufzwingt." Entsetzt starrte ich ihn an, dann wurde das Entsetzen zu einem Stein aus Schuld und Scham, der sich schwer auf meinen Magen legte.

„Ich wünschte, es wäre so gewesen. Aber ich hatte nur Angst um mein Leben und..." Hilflos starrte ich vor mir auf den Boden. „Ich wollte da nur weg und dann - dann kam Azrael und ich wusste nicht mehr, was ich wollte."

Raja war es, die das folgende Schweigen brach. „Es spielt keine Rolle mehr, was wirklich geschehen ist." Ich hob meinen Blick. „Das war die alte Ellie. Ich dachte, die willst du nicht länger sein?" Ich zog einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln hoch. Sie hatte, wie schon zuvor, die richtigen Worte gefunden.
„In Ordnung. Ich werde tun, was immer nötig ist." Die Runde, die sich um mich gebildet hatte, löste sich mit zufriedenem Gemurmel auf, nur Unai kam zu mir.

„Ich bin sehr stolz auf dich." Sein freundliches Lächeln ließ mir die Schamesröte in die Wangen steigen. Warum freute ich mich so, über ein paar lächerliche Worte? Sara hingegen erkannte mit ihrem kindlichen Charme, was ich nicht verstehen konnte.

„Hat dein Vater dich nie gelobt?" Sie kicherte kaum merklich, als wäre der Gedanke so abwegig.

„Meine Eltern hatten wenig Grund, stolz auf mich zu sein." Wieder sah ich zu dem bärigen Mann. Das war es also. Jetzt, da Sara es ausgesprochen hatte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Unai war für viele hier eine Vaterfigur und er ging voll und ganz in dieser Rolle auf. Sara ergriff wieder meinen Arm. Doch bevor sie etwas sagen konnte, riss ein Bote den Eingang zum Zelt geräuschvoll auf.
„Wir haben Prinz Narvik gefunden!"

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