65 - überarbeitet

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Zu meiner eigenen Überraschung schlief ich in dieser Nacht gut. Ich hätte damit rechnen müssen, dass jemand eine dieser geheimen Türen nutzte, um mich im Schlaf zu ersticken, aber nichts geschah, wie die Ruhe vorm Sturm. Es war Ismael der mich weckte. Die dunklen Ringe unter seinen Augen hatten sich nicht weg schminken lassen und seine Haare waren strähnig. Es war der finale Tag. Ich schob mich ohne Widerworte aus dem Bett. Den Stuhl vor der Tür hatte man bereits entfernt.

„Du hast den König gestern ganz schön wütend gemacht." Ich zuckte mit den Schultern, weil mir keine bessere Antwort einfiel. „Das war leichtsinnig." Ismael reichte mir eine Tasse Kaffee und sah mich mit zusammengezogenen Brauen an. „Du hast Glück, dass du so viel Glück hast." Er lächelte sanft und ich grinste über meine Tasse hinweg. Uns war beiden nicht nach streiten oder lachen. Beides würde zu sehr an unseren ohnehin schon angespannten Nerven zerren. „Er hat dir Hausarrest erteilt, bis eure gemeinsamen Termine anfangen." Ismael sah zu mir herüber, aber ich trank in Ruhe meinen Kaffee.

„Vielleicht ist das ganz gut so." Ismael legte den Kopf schief. Zum ersten Mal sah ich ihn wirklich angespannt. Er hatte keine zittrigen Finger oder Schweißperlen auf der Stirn, aber er atmete seltsam langsam und gepresst. Seine Nasenflügel hoben und senkten sich und er gestikulierte so gut wie gar nicht mehr. Er legte nur seine Finger ans Kinn und sah mich mit emotionslosem Gesicht an.

„Vielleicht hast du Recht. Frühstücken wir erst mal."

Das Frühstück war sehr viel üppiger, als ich nach diesem Streit erwartet hatte. Rührei und Toast und eine große Auswahl an Obst. Aber ich merkte schnell, wie stressig so ein Frühstück sein konnte. Im Gegensatz zu Ismaels, waren meine Hände sehr unruhig. Das durchgängige Klappern meines Bestecks trieb mich soweit in den Wahnsinn, dass ich schnell beschloss, mit den Händen zu essen. Ich nahm mir eine Scheibe Brot und schob mir damit das Ei in den Mund. Essen war besser als denken. Der Tag zog sich endlos in die Länge und als schließlich das Mittagessen kam, fühlte es sich an, als müsse bereits späte Nacht sein. Ich konnte nichts mehr anrühren und Ismael zwang mich nicht. Stattdessen holte er das Kleid hervor, das ich während der entscheidenden Pressekonferenz tragen würde. Es war schlicht, warme, frühlingshafte Farben, fast so, als hätten die zarten Frühlingsblumen den Schneesturm der letzten Tage besiegt. Ismael feigste.

„Bei dem Stoff sieht man garantiert keine Schweißflecken." Spielerisch boxte ich ihn, aber insgeheim war ich ihm sehr dankbar, denn meine Hände waren wieder schweißnass. Ich ließ mich in den leichten Stoff gleiten und sofort fühlte ich mich besser. So musste eine Königin aussehen, nicht wie ein ausgestopftes Sofakissen. Elegant, aber nach mehr, als nur einem Vorzeigeobjekt. Ich versuchte zu lächeln, sah aber mehr gequält aus. Ismael schüttelte fast ein bisschen enttäuscht den Kopf.

„Das bist nicht du, das warst nie du. Du musst nicht lächeln, damit das Volk dir zuhört. Sei einfach so, wie du dich fühlst. Ernst steht dir genauso gut." Als ich mich wieder zum Spiegel drehte, ließ ich einfach den Gesichtsausdruck entstehen, den mein Gesicht sich suchte. Es stimmte. Ich war keine zart lächelnde Prinzessin. Ich war die Ruhe vor dem Sturm.

Die Stimmung zwischen Javier und mir war mehr als angespannt. Ich wollte nicht einmal meine Hand auf seinen Arm legen, so sehr stand ich unter Strom. Er übernahm die meisten Gespräche mit den Reportern und ich ließ ihn in dem Glauben, dass ich keine sonderliche Lust hatte, mich zu integrieren. Bis wir endlich zu der großen Übertragung kamen. Immer wieder schielte Javier aus dem Augenwinkel zu mir herüber, als er mit dem Gesprächsleiter den Ablauf besprach, denn ich stahl mich Schritt für Schritt zum Kameramann herüber. Woher genau ich es wusste, konnte ich nicht sagen, aber ich hatte vom ersten Moment ein gutes Gefühl mit ihm gehabt. Natürlich erklärte ich ihm nicht, was ich vor hatte, aber ich fragte ihn, ob er bereit wäre, mir einen Gefallen zu tun. Man sah das Glänzen eines Journalisten in seinen Augen. Eine gute Geschichte machte jeden in dieser Branche heiß. Egal ob es der Mann vor oder der hinter der Kamera war. Alles, worum ich ihn bat war, die Übertragung unter keinen Umständen zu unterbrechen. Komme was wolle. Er nickte willig.

Zuerst verlief das Gespräch sehr trocken und langweilig. Ich bemühte mich, einigermaßen ehrlich, aber auch eher ungenau zu antworten. Was sollte ich auch darauf antworten, wie es sich als frischgebackene Ehefrau lebte? Ich teilte bereits nach der ersten Nacht schon nicht mehr das Bett mit Javier. Die meisten Fragen hätten aus diesen sinnlosen Zeitschriften stammen können, mit denen ich die Königin immer mal wieder gesehen hatte. Klatsch und Tratsch über mein Alltagsleben. Erst als ich mir am liebsten selber ins Bein gekniffen hätte, um nicht vor Langeweile abzudriften, kamen wir zu meinem Stichwort. Der Mann mit dem Mikrofon lächelte uns aufmunternd zu.

„Was wird Eure erste Amtshandlung als frisches Königspaar sein?" Er richtete das Mikrofon auf uns, obwohl wir ja selber welche angesteckt bekommen hatten. Javier holte Luft um ihm zu antworten, aber ich witterte meine Chance. Jetzt oder nie. Ich stand auf und sah geradewegs in die Kamera.

„Ich rufe mein Volk auf, in die Hauptstadt zu kommen. Jeden einzelnen von euch. Hier und jetzt dem König und mir persönlich euer Anliegen zu schildern. Kommt und sagt mir und dem König, was ihr von der Monarchie haltet. Ich verspreche euch hiermit, dass euch eure Einbußen und Verluste erstattet werden. Außerdem wird in dieser Woche jeder Zug in die Hauptstadt kostenlos sein. Ich will euch alle hier sehen. Ihr aus Mila, ihr aus Delio, ihr aus Kasga und aus allen anderen Randgebieten ebenfalls. Kommt und sagt uns, warum ihr so lange gegen diese Monarchie protestiert habt. Und ich verspreche euch, ihr werdet gehört werden." Die Aufnahme endete mit einem letzten Schnitt auf mein Gesicht. Hart und ernst.

Und damit brach die Panik aus.

„Was hast du getan?!", fuhr Javier mich an. Er war kreidebleich geworden und glänzend stand der Schweiß auf seiner Stirn. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an.

„Ich habe die Monarchie beendet." Meine Stimme war klar und kühl. Im aufgeregten Gekreische einiger Berater konnte sie leicht untergehen. Aber Javier hatte mich gehört und wenn ich gedacht hatte, dass er zuvor bleich gewesen war, so verlor er nun auch den letzten Rest an Farbe. Geistesgegenwärtig packte ich ihn am Arm und schob ihn zurück auf das Sofa. „Hol deinem König ein Glas Wasser!", fuhr ich irgendjemanden hinter mir an und die arme Seele rannte, wie vom Teufel gestochen los. Ich setzte mich neben Javier und behielt seine Hand in meiner, die Finger immer auf seinen Puls gelegt, um zu überprüfen, dass er nicht doch noch ohnmächtig wurde. „Ihr habt mich hier her geholt. Du und deine Familie, ihr habt euch den Feind ins eigene Haus geholt", redete ich mit beruhigender Stimme auf ihn ein, auch wenn meine Worte alles andere als beruhigend waren. Ich wusste nicht warum, aber ich wollte es ihm erklären. Und ich war mir nicht sicher, wieviel Zeit mir dafür noch blieb. Jede Sekunde könnten Wachen kommen und mich zurück in den Kerker werfen. „Ich hatte nie vor, hier her zu kommen, aber ihr habt mich gezwungen. Verstehst du mich?" Der Junge mit dem Wasser kam und ich half Javier, einen Schluck zu trinken. „Ihr habt es sozusagen zu meiner Aufgabe gemacht. Vom ersten Tag an, habt ihr mich dazu gezwungen, diesen Weg zu gehen und hier bin ich." Ich nahm meine Finger von seinem Puls und hielt nur noch seine Hand. „Und dann hast du mich zur letzten Königin dieses Landes gemacht und mir das Schwert direkt in die Hand gelegt." Noch immer konnte er mich nicht ansehen. Der Junge mit dem Wasser hatte gleichzeitig einen Arzt geholt, der nun mit einer großen Tasche eintraf. Ich ließ Javiers Finger durch meine gleiten. Vielleicht hatte ich ihn heute zum letzten Mal gesehen, ging es mir durch den Kopf.

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