47 - überarbeitet

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Wie ein Schlag in die Magengegend trafen seine Worte mich. Ich sackte halb in mich zusammen. Ich musste halluzinieren, diese Worte waren blanker Wahnsinn, er konnte sie nicht gesprochen haben.
Wie in Trance ließ ich mich von einem Wachmann in mein Zimmer bringen.
Er sprach mit Namia und sie war verwirrt, aber taktvoll genug, nichts zu sagen. Sie entkleidete mich, kämmte meine Haare, entfernte die Tonnen an Make-up, die unser Kampf überall verschmiert hatte. Irgendwann lagen wir beide im Bett und Namia löschte gerade das letzte Licht, als ich endlich zurück in meinen Körper fand.
„Was geschieht hier, Namia?" Ich drehte meinen Kopf zu ihr und sah gerade noch, wie sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Es war wohl endlich die Zeit gekommen, um zu erfahren, was Namia wusste. Sie setzte sich wieder zu mir und zog die Knie zur Brust.
„Ich dachte, es sei eine freudige Nachricht für Euch", flüsterte sie leise um ihre Scham zu verstecken. „Seit Eurem Verschwinden war Prinz Javier außer sich." Sie schlang die Arme um ihre Beine und legte ihren Kopf auf die Knie. Ich musste näher an sie heran rücken, um noch verstehen zu können, was sie sagte. „Er war launisch und oft jähzornig, er hat die meisten seiner Kandidatinnen nach Hause geschickt." Sie hickste. Sie versuchte so krampfhaft nicht zu weinen, dass sie nun Schluckauf hatte. „Ich dachte noch, wie romantisch das alles sei. Er hätte alles getan, um Euch zurück zu bekommen." Entgegen dem, was ich eigentlich wollte, legte ich ihr sanft meine Hand auf den Arm.
„Schon gut", versuchte ich sie zu beruhigen.
„Und jetzt werdet Ihr Königin, Ellie, aber Ihr freut Euch nicht, ganz im Gegenteil." Letztendlich schluchzte sie doch. „Und ich dachte noch, dass das der einzige, winzige Lichtblick in diesen schrecklichen Zeiten ist. Aber Ihr freut Euch nicht." Seufzend zog ich sie an mich und sie warf sich schluchzend in meine Arme. „Es tut mir Leid. So leid", jammerte sie. Minutenlang konnte ich sie nicht beruhigen, aber irgendwann war nur noch Schluckauf geblieben.

„Namia." Ich schob sie wieder von mir, um ihr ins Gesicht sehen zu können. „Du weißt aber schon, dass ich nie her kam um Königin zu werden?" Sie schluckte, endlich wieder um Haltung bemüht.
„Aber... Aber habt Ihr nie etwas für Javier empfunden?" Erstaunt riss ich die Augen auf.
„Ich bin eine Rebellin, Namia. Ich habe versucht, die Monarchie zu stürzen und ich war am Tod des Königs beteiligt." Sie konnte nicht so blind für ihre Umgebung sein, dachte ich noch, bis ich ihren verständnislosen Blick bemerkte.
„Das Herz will, was es will", murmelte sie und senkte den Kopf. Ich entließ sie endgültig auf ihre Seite des Bettes und rollte mich auf meiner Seite zusammen. Gefühle. Ja. Ich hatte diesen Gedanken gehabt. Hatte mich gefragt, ob er ein berechnender Soziopath war oder nicht. Und jetzt lag ich hier und sollte seine Frau werden. Namia lugte unter der Decke hervor. „Habt Ihr jemals etwas für ihn empfunden?" Lange starrte ich wortlos an die Decke, bevor ich mich ihr zuwandte.
„Ja, vielleicht habe ich das mal. Eine seltsame, verdrehte Art der Zuneigung. Aber damals hielt ich ihn für jemand anderen."
Wie ein Hund, der sich ein Leckerli versprach, rückte sie ein winziges Stück näher. „Ist es dann nicht möglich, dass der Prinz das auch hat?"
Ich drehte mich wieder zur Decke. „Er hat den Tod von Menschen in Kauf genommen."
Wieder rückte sie ein Stück näher. „Wisst Ihr, manche verlieren den Verstand vor Liebe."
„Weißt du", äffte ich sie nach. „Liebe hilft nicht, wenn deine Kinder verhungern." Und damit drehte ich ihr schlagartig den Rücken zu. Sie erschrak so sehr, dass sie beinahe auf ihre Seite zurück sprang. Ich kochte innerlich vor Wut und ein Teil von mir vermisste die kraftlose Stille, in die sich mein Verstand so lange begeben hatte, aber es waren meine eigenen Worte, die mir die Augen öffneten. Niemand würde gegen den irren Kronprinzen aufstehen, wenn ich es nicht tat. Alle Augen da draußen waren auf mich hier drinnen gerichtet. Ein Plan entfaltete sich in mir. Manchmal hatte man keine Wahl, aber man konnte immer noch das Beste daraus machen.

Am nächsten Tag war ich angespannter, als mir lieb war. Ich konnte kaum stillsitzen und trieb den armen Gerald durchs halbe Schloss mit mir – einige Gänge und Flure waren mir bei Tage dann doch verboten, warum auch immer. Namia war derweil in meinem Zimmer geblieben und bemühte sich, meine Vorschläge so gut es ging umzusetzen. Die Zeit bis zum Abend schien nicht vergehen zu wollen. Als ich Gerald endlich entließ und zurück in mein Zimmer stürmte, war Namia bereits völlig neben sich.
„Ich bin nicht Ismael!", halb fluchend, halb jammernd.
Mitfühlend legte ich den Kopf zur Seite.„Ich weiß, aber es wird schon gehen." Das Kleid war smaragdgrün. Eigentlich eine Farbe, die ich nicht besonders schätzte, aber sie gefiel Javier, wie Namia mir erzählt hatte. Das Kleid war enganliegend und floss zu meinen Füßen auseinander. Feine Goldornamente, die Namia den ganzen Tag angenäht hatte, schmückten meine Arme und eine goldene Ranke schlang sich um den Ausschnitt, der zwar züchtig, aber zu den Schultern hin weit geschnitten war. Es war eine Qual hinein zu kommen und mich darin zu bewegen. Wir hatten noch etwas Zeit bis zum Abendessen, aber ich hatte Namia gedrängt, früher fertig zu werden, damit ich noch die Gelegenheit hatte, mich mit den Kleid ‚bekannt zu machen'.
„Seid Ihr sicher, dass Ihr..." Namia wedelte mit den Armen in der Luft, als könne sie das richtige Wort fangen. „Dazu bereit seid?"
In gespielter Bestürzung schürzte ich die Lippen. „Zu was?"
Meine Zofe schlug die Hände wie zum Gebet zusammen. „Er wird Euch ... begehren", versuchte sie mir auf die Sprünge zu helfen.
Länger konnte ich nicht mit ihr spielen und ich brach in Lachen aus. „Namia. Genau das ist die Absicht. Nur wenn er mich um jeden Preis will, habe ich vielleicht eine Verhandlungsbasis." Sie schien entsetzt und holte mehrmals stockend Luft; um all ihre Worte beraubt. „Sieh mich nicht so an. Ich habe das niemals zuvor getan. Ich weiß nicht einmal, ob ich das sein kann - sexy, verführerisch."

Ich ließ den Kopf hängen und betrachtete mich im Spiegel. Es war so ein lächerlicher Plan. Ich sah aus wie ein wildes Tier im Tutu. Völlig fremd und deplatziert. Die Zofe, die eben noch so ablehnend reagiert hatte, sah meine Unsicherheit, spürte meinen Kampf. Sie trat an mich heran, legte mir eine Hand zwischen die Schulterblätter, die andere unters Kinn und schob mich wieder in eine aufrechte Position.
„Na gut", schnaubte sie, als müsse sie sich ihrer größten Herausforderung stellen. „Ein wenig Zeit haben wir zum Glück ja noch." Und damit begann ihre Lehrstunde. Namia nahm ihre Rolle als meine Zofe offenbar ernster, als ich erwartet hatte. Obgleich ihr mein Plan ganz und gar nicht gefiel, war sie bereit mich dabei zu unterstützen. Und ich trieb sie hemmungslos in den Wahnsinn. Ich war es gewohnt zu kämpfen, ich konnte vielleicht die Rolle der feinen Dame eine Weile spielen, aber ich war dabei immer nur an die höfische Etikette angepasst. Noch nie in meinem Leben hatte ich begehrt werden wollen. Namia schob und schubste mich, bis ich die Posen einnahm, die sie versuchte mir zu zeigen. Sie klimperte so verzweifelt mit den Wimpern, bis mir selber ganz schwindelig davon wurde.
„Ich kann es doch nicht", wollte ich mich endlich geschlagen geben. „Nichts an mir ist zart und feminin oder gar erotisch."
Namia boxte mich unwirsch gegen den Oberarm. „Und wie Ihr das seid!", fluchte sie und stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Ich habe Euch mit Prinz Javier gesehen, ich habe gesehen, wie er seine Augen kaum von Euch lassen konnte." Hilflos warf sie die Hände in die Luft. „Ich denke, Ihr müsst nur aufhören, es um jeden Preis zu wollen." Ihr Gesicht erhellte sich, als wäre ihr endlich ein Licht aufgegangen. „Das ist es!" Sie sprang wieder an meine Seite und drehte mich dem Spiegel zu, stellte sich aber zwischen mich und mein Spiegelbild. „Seht mich an. Gut. Und jetzt erinnert Euch an Euer Ziel. Das Ziel ist nicht Javier, das Ziel ist viel größer." Langsam tropften die Worte in mein Bewusstsein und schlugen enorme Wellen. Das Haus mit dem Apfelbaum. Was ich wollte, war immer diese eine kleine Freiheit. Der eine Ort an dem Azrael und ich aufeinander hatten warten wollen und der für immer nur uns gehören sollte. „Und Ihr könnt dieses Ziel erreichen. Ihr werdet dieses Ziel erreichen!" Namia wusste nicht, was ich in mir gesehen hatte, aber sie erkannte, dass ich etwas gefunden hatte. Sie machte einen zackigen Schritt zur Seite und schlug dabei die Hacken zusammen, wie ein Soldat.
Und ich erblickte mein Spiegelbild. Gott. Ich war nicht nur begehrenswert. Dieser Glanz der mich umgab, dieses Feuer – ich war fesselnd. Mit meiner neuen Entschlossenheit öffnete ich die Tür zum Flur und blickte in die tiefblauen Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde verlor der Kronprinz seine Maske und atmete vor Fassungslosigkeit laut ein.

Mochten die Spiele beginnen.

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