34 - überarbeitet

3K 193 22
                                    


Ich fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Ich war erschöpf, der Weg hatte mich angestrengt und die ständige Anspannung gab mir den Rest, aber ich konnte nicht loslassen. Noch in meinen dreckigen Klamotten lag ich auf dem Bett und starrte an die Decke. Vor meinem Fenster, irgendwo da draußen kreischte ein Vogel und sofort saß ich aufrecht im Bett. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich mich wieder genug beruhigt hatte, um mich nochmals hinzulegen. Dann pfiff der Wind durch die kalten Flure und wieder sprang ich in die Aufrechte. An Schlaf war wirklich nicht zu denken.
Irgendwann hörte ich Stimmen und Schritte auf dem Flur, aber niemand hielt vor meiner Tür. Ich gab mir keine Mühe, leise zu sein, sondern strakste übermüdet, wie ich war, einfach zur Tür und legte mein Ohr daran. Die Stimmen waren hektisch und undeutlich. Das Muster kam mir bekannt vor – aus dem Schloss. Das waren Bedienstete, die vor dem Erwachen der feinen Herren alles vorbereiten mussten. Lustlos ließ ich mich in einen Stuhl fallen. Hier war es nicht anders als im Schloss, nur im Schloss hatte man meine Tür nicht von außen abgeschlossen.

Ich massierte meine Schläfen und meine Stirn um wenigstens etwas wacher zu werden. Rex war nicht besser als der König und genau deshalb würde ich ihn stoppen – und wenn ich ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen müsste- ich würde einen Weg finden. Genau in diesem Augenblick hörte ich, wie der Schlüssel in das Schloss geschoben wurde. Es war ein zögerliches, unsicheres Klackern, also konnte es nicht Rex sein. Ich bewegte mich nicht aus meinem Stuhl, starrte regungslos auf die Tür, wer auch immer da kam, konnte keine Bedrohung sein. Ich sollte Recht haben. Es war der junge Mann vom Abend zuvor, nur hatte er jetzt ein blaues Auge und einen dicken Bluterguss am Kinn. Er erschrak fürchterlich mich zu sehen und ich sprang auf ihn zu, damit er nicht wieder das Tablett fallen lassen würde. Nackte Angst war ihm ins Gesicht geschrieben. Kurz meinte ich, ein ersticktes Kreischen zu vernehmen, doch er hielt sofort die Luft an. Mit einem Arm unterstützend unter dem Tablett, richtete ich ihn vorsichtig wieder auf. Seine Angst schien das nicht zu mildern; wenigstens atmete er wieder.
„Wie ist dein Name, Junge?" Ich entließ ihn aus meinen helfenden Händen und er beeilte sich, mein Frühstück aufzubauen. Wenn er nicht gerade überrascht wurde, war er sehr geschickt, denn er erledigte seine Arbeit nahezu geräuschlos. „Dein Name?", wiederholte ich in der Annahme, dass er mich nicht gehört haben musste.
„Nein", stammelte er heiser. Ich zog eine Augenbraue hoch und stemmte die Hände in die Hüfte.
„Nein ist ein seltsamer Name." Er zuckte, als er mir endlich in die Augen sah.
„Wir dürfen nicht..." Der Rest seines Satzes war so leise, dass ich mich näher zu ihm beugte und trotzdem kein Wort verstand.
„Was?", versuchte ich ihn etwas brüsk aus seinem Schneckenhaus zu holen. Er machte einen Satz von mir weg. „Du brauchst mich nicht zu fürchten." Der Junge schüttelte den Kopf.
„Ich fürchte ihn, Ellie." Er deutete eine Verbeugung an, dann verließ er den Raum, ja er rannte beinahe. Er fürchtete ihn? Mir war klar, dass er Rex meinen musste, aber Rex war nicht hier und warum sollte er mir nicht seinen Namen sagen dürfen? Es wäre nett gewesen, wenigstens eine gute Seele an diesem trostlosen Ort zu kennen.

Müde schüttelte ich erst meinen Kopf, dann schüttelte ich alle meine Muskeln aus. Geh zurück in deine Rolle, Ellie, mahnte ich mich selber. Dieses Mal war niemand da, um die Speisen für mich vorzukosten, trotzdem trank ich einen schwarzen Kaffee. Er war so stark, dass es mich fast aus den Schuhen warf, doch genau das brauchte ich jetzt. Ich untersuchte jede Speise, vom Apfel bis zum Brot auf Auffälligkeiten. Nichts. Meine paranoide Seite schrie mich an, dass ich gar nicht daran denken durfte, auch nur irgendwas davon in die Nähe meines Mundes zu bringen, doch zum Glück hatte diese Seite nicht immer die Kontrolle.
Mein Verstand wog derweil ab, ob ich es riskieren konnte und wie die Chancen standen, einen Kampf gegen Rex zu gewinnen, wenn ich nicht genug Energie hatte. Mein Verstand entschied sich für das Essen. Sollte es vergiftet sein, würde ich sterben, sollte ich es nicht essen und mich gegen Rex verteidigen müssen, würde ich wahrscheinlich qualvoller sterben.
Ich bediente mich großzügig an allem. Ich schmierte mir gerade wohl wollend Marmelade auf ein Brötchen – sie floss mir sogar schon über die Finger – als die Tür knallend aufgestoßen wurde.

RevolutionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt