63 - überarbeitet

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Die anschließende Feier war nett. Mit diesem Ring an meinem Finger empfand ich mit einem Mal das ganze Händeschütteln gar nicht mehr als so belastend. Javier hingegen war steif und unruhig. Es war ihm nicht Geheuer, was ich gesagt hatte und bei dem anschließenden Kuss, hatte ich die Kontrolle übernommen, hatte ihn zu mir herüber gezogen und ihm demonstriert, dass er kein kleines Mädchen geheiratet hatte. Es war kein schlechter Kuss gewesen – für mich zumindest nicht- aber Javier hatte nach meiner letzten Niederlage wohl nicht damit gerechnet, mich heute so siegessicher zu sehen. Uns gratulierten zwei Dutzend Paare, die ich nicht kannte und von denen ich auch noch nie gehört hatte, doch das konnte meine Laune nicht mehr trüben. Neben uns sammelte sich längst ein riesiger Berg aus Geschenken an und Javier und ich, die wir anfangs Seite an Seite gestanden hatten, trieben immer weiter auseinander in dem Strom der Gratulierenden.
Mir kam das ganz gelegen, denn endlich erreichten mich Rosalie und Lena. Die beiden sahen fabelhaft aus, in den passenden Kleidern, die garantiert ebenfalls Ismael gestaltet hatte. Sie fielen mir um den Hals und gratulierten mir. Für jeden Außenstehenden gratulierten sie mir natürlich zur Hochzeit, aber unsere verschwörerischen Blicke beinhalteten so viel mehr, als nur das Gespaße dreier unreifer Mädchen.
„Oh! Wir haben noch ein Geschenk für dich. Das wichtigste Geschenk von allen", flüsterte Lena mir zu und Rosalie zog eine Kette hervor. Es war ein großes, schweres Amulett. Amüsanter Weise passte es hervorragend zu dem Ring – und damit überhaupt nicht zu meinem Geschmack. Ich wollte es gerade öffnen, als Lena und Rosalie synchron ihre Hände auf meine pressten.
„Noch nicht!", zischte Lena und Rosalie musste mich mal wieder aufklären.
„Wir dachten, unser Geschenk für dich, ist eine ersparte Hochzeitsnacht." Mir stockte der Atem und ich schickte ein Stoßgebet, an jeden Gott, der es hören wollte. Man war ich dankbar, die beiden zu haben. „Es ist ein Schlafmittel, dass ziemlich flink wirkt, wenn du es mit etwas Wein mischt. Javier wird heute garantiert etwas trinken und gar nicht merken, dass er nicht nur erschöpft ist." Woher genau Rosalie das wusste, oder woher die beiden dieses Mittelchen hatten, wollte ich wirklich nicht wissen. Das wäre ein Thema für einen anderen Abend. Ich ließ mir die Kette umhängen und beschloss, meinen Hochzeitstag so zu feiern, wie ich das wollte. Und damit ließ ich Javier zurück und mischte mich unter die Gäste, die mich tatsächlich interessierten und die eigentlich ja gar keine Gäste waren. Draußen vor dem Zelt hatte ich durch die fehlenden Seitenwände den Tischlermeister Bernd und einige seiner Jungs gesehen. Sie trugen eifrig Tische herbei, auf denen später das Buffet aufgebaut werden würde. Wir scherzten und Bernd umarmte mich sogar für einen Moment sehr unbeholfen. Er hätte nicht damit gerechnet, mich einmal als seine Königin zu haben und ich bot an, mit Tische zu tragen, um ihn davon zu überzeugen, dass ich immer noch ich war.


Tatsächlich war der Tag angenehmer als erwartet. Ich passte zwar für die meisten adeligen Gäste nicht ins Bild einer Königin, aber die Gäste, die eher aus der politischen Richtung kamen hatten weniger Vorurteile. Sogar Lenas Vater war da und er ließ es sich nicht nehmen, mich auch um einen Tanz zu bitten. Ich wusste sofort, von wem Lena ihr ausgelassenes Gemüt hatte.
Immer wieder hatten Javier und ich einander in der Menge gefunden. Oft gar nicht mal absichtlich, aber unsere Augen hatten sich getroffen und immer wieder hatte es mich wie ein Schlag getroffen, wie er auch nach Stunden –und dem ein oder anderem Glas Wein- noch immer hin und her gerissen war, zwischen tatsächlicher Freude und Misstrauen. Wir hatten einige Male miteinander getanzt und jedes Mal war ich fast ein bisschen benommen davon zurückgeblieben. Das einzige, was mich jedes Mal beruhigt hatte war, dass es ihm augenscheinlich genauso ging.

Ich saß gerade zu einer kleinen Verschnaufpause mit Lena an einem Tisch, Rosalie war noch auf der Tanzfläche, als ein Kellner mit Kelchen voll Wein vorbei kam. Lena ergriff die Chance und nahm dem Jungen zwei ab.
„Es wird sicher bald Zeit für euch." Tatsächlich stahl sich ein leises Gähnen über meine Lippen. Die Sonne senkte sich langsam aber sicher über die angrenzenden Wälder und ein großer Teil der Gäste hatte sich bereits verabschiedet. Wahrscheinlich hatte Lena Recht. Wir achteten auf einen unbeobachteten Moment und ich öffnete das Amulett über einem der Kelche. Das weiße Pulver war so fein, dass ich nicht einmal umrühren musste, damit es sich auflöste. Ich trank hastig einen großen Schluck aus meinem Kelch. Lena sah mich entsetzt an. Ich hatte den ganzen Tag vermieden, etwas von dem Wein zu trinken, damit ich jederzeit klar im Kopf blieb, ihre Reaktion auf mein Abweichen von diesem Plan war also mehr als verständlich, aber ich kicherte nur.
„So kann ich sie auch gleich noch auseinander halten." Sie klatschte sich die Hand an die Stirn und lachte mit mir.
„Na dann los. Bring deinen Ehemann mal zu Bett." Sie grinste schalkhaft.
Ich hingegen hatte diesen Schluck Wein gebraucht, um mir Mut zu machen. Wie sicher waren Rosalie und Lena sich, dass ihr Pülverchen wirkte? Javier sah mich kommen, lange bevor ich ihn erreicht hatte. Offenbar dankbar dafür, eine Entschuldigung zu haben, verließ er sein Gespräch hastig und kam auf mich zu.
„Wird das Fest noch lange dauern?", fragte ich ehrlich müde und reichte ihm seinen Weinkelch. Und er trank. Ohne zu zögern, ohne seine übliche skeptische Art. Ich fühlte mich sehr darin bestätigt, warum ich niemals Alkohol trank. Kein Wein, kein Bier und erst recht nicht diesen schrecklichen Schnaps, denn manche von uns in ihren Hinterhöfen selber brannten. Javier lehnte sich ein wenig gegen mich, nicht mit seinem vollen Gewicht, aber er schien vor dem Schlafmittel mehr als müde zu sein. Glück für mich, hoffte ich.
„Ich werde uns mal bei allen verabschieden, warte hier." Er drückte mir seinen Kelch in die Hand, nachdem er noch einen Schluck genommen hatte, dann machte er seine Runde und als er zurück kam, musste er schon ein Gähnen unterdrücken.

Gemeinsam stolperten wir halb die Treppen zum Schloss hoch. Javier war es absolut nicht gewöhnt, so viel Wein zu trinken und nun stützte er sich mehr auf mich, als ich in diesen Schuhen ertragen konnte. Wir erreichten schwankend sein Zimmer und ich schubste ihn einfach aufs Bett. Er war sowieso zu erschöpft sich zu beschweren. Für einen Moment setzte ich mich daneben und kickte meine Schuhe von den Füßen. Genug war genug.
„Ellie." Seine Stimme war tief und rau. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter und ich drehte mich zu ihm um. Er hatte sich auf seine Ellbogen aufgestützt und sah mich aus glasigen Augen an. „Was ist es nur an dir, was mich so nervös macht?" Seine Aussprache war erstaunlich deutlich, aber seine Augenlider hingen schwer. Er streckte seine Hand nach mir und ich schloss die Augen. Statt mich zu sich zu ziehen, wie ich es erwartet hatte, strich er nur meine Haare über meine Schulter. „Was machst du nur mit mir?" Zögerlich öffnete ich die Augen und bereute es sofort. So traurig hatte ich ihn mir nicht mal vorstellen können. „Bleib doch heute Nacht, ja?" Er wurde immer langsamer und sank Stück für Stück zurück in die Kissen.
Resigniert seufzte ich. Wenn er schon nicht die Hochzeitsnacht bekam, die man wohl von uns erwartete, so musste ich ihn nicht auch noch vor den Kopf stoßen, in dem ich in dieser Nacht aus seinem Zimmer schlich, wie eine Flüchtige. Wie beim letzten Mal. Ich schaffte es tatsächlich mich aus dem Ungetüm von einem Kleid ganz alleine heraus zu kämpfen. Unschlüssig stand ich da und für einen Moment beobachtete ich ihn beim Schlafen. Wenn er so ruhig da lag, wirkte er überhaupt nicht mehr bedrohlich. Nein, mit einem Mal sah er aus, wie ein Kind. Seine markanten Züge wurden in der Entspannung ganz weich. Ich zog ihm die Schuhe aus und holte ihn aus seinem Jackett. Er wachte kurz auf, wollte helfen, aber glitt unter leisem Gemurmel zurück in den Schlaf. Ich rutschte auf die andere Seite des Bettes und zog mir die Decke bis ans Kinn. Sicher war sicher. Ich dämmerte gerade weg, da spürte ich, wie Javier sich neben mir bewegte, alarmiert riss ich die Augen auf. Aber er hatte sich nur zu mir herum gedreht und sah mich jetzt aus trüben Augen an.
„Was würdest du sagen, wenn ich dir sage, dass ich dich wirklich liebe?" Ich konnte nicht mehr atmen, die aufkommende Panik war in greifbarer Nähe. Was sollte ich darauf antworten? Doch bevor ich auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, war er schon wieder eingeschlafen.

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