16 - Evelyn: Kaffeeatemwolken

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Meine Finger liegen auf den Tasten. Sie zittern. Meine Lippen zittern. Ich zittere.

Ich habe Angst. Aber ich weiß nicht genau, vor was. Dabei habe ich dieses Lied schon so oft gespielt. Saß schon so oft auf einem Klavierhocker und habe auf die weißen und schwarzen Tasten gestarrt. Habe die Finger heruntergesenkt und die Töne zur Melodie werden lassen.

Wahrscheinlich, weil dieses eine Lied außer mir noch niemand gehört hat.

Weil ich es in meinem Herzen eingeschlossen habe und mich nie bereit gefühlt habe, es jemandem zu zeigen.

Vielleicht hätte ich es Jonathan gezeigt. Wenn es nicht über ihn gewesen wäre. Wenn er nicht im Koma gelegen hätte. Vielleicht würde ich es ihm jetzt zeigen. Wenn er nicht tot wäre.

Ich schüttle den Kopf. Kann den Gedanken nicht länger ertragen.

Aus dem Augenwinkel sehe ich Jayden und Anna auf ihren Stuhlen. Anna sieht mich an. Jayden blickt auf seine Hände, die er in seinem Schoß zusammengefaltet hat. Vielleicht hat er die Augen auch geschlossen. Ich kann es nicht genau sehen.

Ich mache die Augen jedenfalls kurz zu. Atme tief durch. Öffne sie wieder.

Und spiele.

Als das Intro fertig ist, muss ich noch einmal kurz innehalten, Luft holen, bevor ich mich traue, zu singen, und ich muss mich daran erinnern, dass die beiden mich schon einmal gehört haben, und dass sie es gut fanden.

Meine Stimme klingt kratzig. Ausgelaugt. Ich erschrecke fast selbst darüber. Aber ich singe trotzdem weiter.

Jetzt, wo ich angefangen habe... es fühlt sich gut an. Befreiend. Ich will weitermachen. Also tue ich es. Höre auf, nachzudenken.

Lasse meine Finger die Noten spielen und meine Stimme den Text mit Melodie erfüllen, mal leiser, mal laut.

Kiss me under the light of the stars and I'll be alright

Hug me from behind and I know I'll be alright

Tell me I'm beautiful and that you are mine

Whisper I Love You in my ear and I will be fine

Meine Finger spielen einen Schlenker, der gut klingt, aber ungeplant war. Ich genieße das hier. Sogar sehr.

Obwohl ein Teil in mir wehtut.

Read poems and stories to me at night

Say that for our happy end, we will fight

Call me and console me if I'm sad and cry

And if I'm tired of life, sing me a lullaby

Er kann nicht, sagt eine Stimme in mir, als ich diese Verse über die Lippen entfliehen lasse. Nicht mehr.

Ich muss schlucken, und verpasse fast den Einsatz zum Pre-Chorus.

Eine Note Bitterkeit mischt sich in die Töne, als ich fortfahre.

But I know that you don't miss what we had like I do

And I know it's not right I still have feelings for you

And yet I do

Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Jaydens Hand. Sie ist ganz warm, und sie liegt ruhig und fest.

Er hat die Tränen in meiner Stimme also gehört.

So come back cause you've promised me one another dance

Zartbitterschokolade | BeendetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt