11 - Evelyn: Hoffnungsschimmer

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Ich lächle Anna sanft an.

Eine Sekunde lang bin ich am Überlegen, ob ich es ihr und Jayden wirklich sagen soll – denn eigentlich ist es so etwas wie ein Geheimnis zwischen mir und Jonathan.

Aber es ist nur ein Dichter, nicht das Wissen um die bevorstehende Zombie Apokalypse. Und die beiden sind meine Freunde.

Ich räuspere mich.

„Gryphius", antworte ich dann. „Andreas Gryphius."

Anna muss grinsen.

„Von dem habe ich ja noch nie gehört", gibt sie von sich, aber Jayden zieht die Stirn in Falten.

„Ich glaube, der Name sagt mir irgendwas, aber ich weiß nicht, was", erklärt er.

„Was itzund Atem holt, fällt unversehens dahin; was nach uns kommt, wird auch der Tod ins Grab hinziehen - so werden wir verjagt gleich wie ein Rauch von Winden", zitiere ich.

Ich habe die Worte schon so oft gesprochen – zu Jonathan, immer zu Jonathan, wenn wir auf unserer Autobahnbrücke saßen oder auf dem Sofa oder auf dem Bett, egal wo. Wenn wir uns Gedichte vorgelesen haben. Meistens Gryphius.

Ich habe die Worte schon so oft gesprochen, dass sie sich vertraut anfühlen, und meine Stimme klingt sicher, als ich sie spreche.

Anna hebt die Brauen, und an Jaydens Gesichtsausdruck kann ich erkennen, dass er dieses Sonett auf jeden Fall schon einmal gehört hat und ihm die Verse bekannt vorkommen.

„Es heißt Menschliches Elende. Gryphius ist aus dem Barock", erkläre ich. „Das bekannteste Gedicht ist wahrscheinlich Es ist alles eitel."

„Es ist alles eitel?", Anna klingt verständnislos. Ich muss grinsen und fühle mich in der Zeit zurück gedreht, zu dem Zeitpunkt, an dem ich Jonathan erklären wollte, was eitel in diesem Zusammenhang bedeutet.

Aber bevor ich es tun kann, öffnet Jayden schon den Mund.

Eitel heißt vergänglich. Es ist alles vergänglich. Das ist so was wie das Motto des Barock – zusammen mit Memento Mori; gedenke, dass du sterben musst", sagt er, und etwas in seinen Worten wirkt dunkel und traurig. Er sieht kurz auf den Boden, räuspert sich. „Wir haben das mal in Deutsch gemacht. Gryphius ist tatsächlich nicht schlecht."

Anna schweigt und ich kann ihr Gesicht im schwachen Licht des Raumes kaum erkennen. Also entschließe ich mich dazu, die Stimmung etwas aufzulockern.

„Nicht schlecht?", rufe ich also mit übertriebener Empörung. „Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehen ist nur nicht schlecht?!"

Mit meinen Worten entlocke ich sowohl Anna als auch Jayden ein leichtes Lächeln, also mache ich einfach weiter.

Ich seufze theatralisch auf.

Was ist alles dies, was wir für köstlich achten, als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind; als eine Wiesenblum', die man nicht wiederfind't. Noch will was ewig ist kein einzig Mensch betrachten!"

In einer gespielten Geste der Verzweiflung reiße ich die Arme hoch und Jayden und Anna müssen lachen.

Also gehen auch meine Mundwinkel in ein Grinsen über und wir lachen ein paar Sekunden, bevor Anna schlagartig ernst wird, als sei ihr etwas wichtiges gerade wieder eingefallen.

„Ich mag Rilke", sagt sie leise.

Ich und Jayden sehen sie an, schweigen, warten darauf, dass sie fortfährt. Als sie es tut, sieht sie uns nicht an.

Zartbitterschokolade | BeendetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt