Vierter Brief: Nichts

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Freude ist

vielleicht auch

zartbitterbraun.


Lieber Jonathan,


Ich esse eine Zartbitterschokoladentafel – wenn du aufwachst, gebe ich dir ein Stück ab. Du kannst auch den kompletten Rest haben. Wenn du nur endlich aufwachst. Ohne dich schmeckt sie ohnehin nur noch wie ein Echo. Wie dein Geburtstag, der dieses Jahr ohne dich vonstattengegangen ist – der war auch ein Echo.
Ich wollte ihn nicht einmal feiern, denn du warst nicht da, um mit mir zur Tischtennisplatte zu gehen, zu reden und Schokolade zu essen, bis uns die Bäuche platzen und sie sich vom vielen Lachen anfühlen, als hätten die Schmetterlinge – und die Motten, natürlich – mit ihren kleinen Flügeln ein Wettrennen veranstaltet.
Stattdessen saß ich hier. Habe den Tag mit dir verbracht. Ich habe dir vorgelesen, hast du das gehört? Ein Gedicht von mir.
Aber meine Worte klingen so schrecklich ohne dich. Als wären sie Kinder, deren Vater verschwunden ist. Und deren Mutter kaum spricht ohne ihn. Weil sie sich unsichtbar fühlt.
Denn du hast mich gesehen. Du hast alles in mir gesehen, und mich trotzdem nicht verabscheut. Was könnte ich mehr von dir verlangen?
Ohne dich ist da niemand, der mich sieht. Ich bin ein Nichts ohne dich. Blind und taub, denn ich höre nur deine Stille. Deine schreiende Stille.
Ich schreie auch. Aber mich hört niemand. Nicht mal die Stille.
Wie kann es sein, dass es in dieser Welt voller Menschen keinen einzigen außer dir gibt, der versteht, dass meine Stille nur heißt, dass ich schreie?


Weißt du, alles ist ein Echo, viele Echos.

Es gibt millionenundachthunderttausendneunhundertdreizehn Echos und wahrscheinlich noch viele mehr – und alle, wirklich jedes einzelne von ihnen, erinnert mich an dich.

Und trotzdem.

Jonathan, einemillionenachthunderttausendneunhundertdreizehn Echos. Und dich gibt es trotzdem nur ein Mal.

Ich habe solche Angst, dass du auch zu einem Echo wirst.

Bitte tu es nicht. Bitte komm einfach zurück. Du musst auch nie wieder mit mir sprechen. Bitte mach einfach deine wunderschönen zartbitterbraunen Augen auf und zeig mir, dass du lebst.

Denn weißt du, ohne dich kriege ich das irgendwie nicht mehr hin.

Leben, meine ich. Ich hab's verlernt.

Komm zurück und bring es mir wieder bei. Bitte. Ich brauche dich so sehr, ich fühle so viel und gleichzeitig bin ich so leer ohne dich.

Und ich weiß nicht einmal mehr, was schlimmer ist.

Den ganzen Schmerz zu fühlen und ihn nicht ertragen zu können, oder überhaupt nichts mehr zu fühlen.

Ich weiß nur noch eins:

Ich kann nicht ohne dich.


Alles Liebe,

Evelyn

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Omg Leute, Wahnsinn, danke für die Reads! :)

All the love,

C

Zartbitterschokolade | BeendetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt