Neuling

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6:45 Uhr
Unsanft reißt mich mein Wecker aus meinem traumlosen Schlaf. Ich stöhne gequält und rolle mich seufzend auf die Seite. " Noch fünf Minuten..." nuschle ich in mein Kissen.

Wenig später, es müssen ungefähr dreißig Minuten vergangen sein, öffne ich wider Willen meine Augen als die Stimme meiner Mom ertönt.
"Lucien, wach auf oder willst schon am ersten Schultag zu spät kommen?!"
Murrend und ohne jegliche Motivation schäle ich mich aus dem warmen Bett.

Schnell schnappe ich mir eine schwarze Jeans und einen Hoodie welchen ich gestern schon getragen habe. Anschließend nehme ich meine Schultasche und lege einen Zwischenstopp im Bad ein um mich zu waschen.
Lustlos schlendere ich die Treppe hinunter. Unten angekommen werde ich gleich von meiner Mom in die Küche geschoben, wo sie mir einen Teller mit Toast auf den Tisch knallt. Butter und Marmelade folgen.
"Du solltest dich beeilen wenn du nicht zu spät kommen willst." , tadelte sie mich. "Vor allem am ersten Tag." Ich verdrehe die Augen. "Wo ist Dad?" , frage ich um das Thema zu wechseln. "Er ist noch nicht zurück gekommen. Schön langsam frage ich mich wo er steckt."
Ich antworte mit einem knappen "Aha" weil ich keineswegs von der Antwort überrascht bin.
"Jetzt hab doch mal bessere Laune Lucien immerhin..."
"Ist heute mein erster Schultag, ich weiß." Genervt beende ich ihren Satz.
"Ich bin immer noch in der selben Schule, mit den selben Leuten und den gleichen Lehrern. Mach nicht so einen Wind um die ganze Sache." Gereizt kaue ich auf meinem Toast herum, während ich mir die Schultasche über die Schulter schwinge. "Bis später." , sage ich monoton und lasse die Tür ins Schloss fallen ohne auf eine Antwort zu warten.

Draußen empfängt mich eine für September ungewöhnliche Sommerhitze.

Vielleicht sollte ich mich mal vorstellen. Mein Name ist Lucien Carr, bin 17 Jahre alt und besuche eines der vielen Gymnasien in Wien. Wie ich meiner Mom bereits eingeschärft habe, muss ich mich noch in die gleichen Klassenräume zwängen und mit den gleichen Leuten auskommen.
Freunde habe ich nicht. Ich hatte eigentlich auch nie welche. In der Klassengemeinschaft bin ich der Typ der sich in der Letzten Reihe versteckt und sowieso nicht wahrgenommen wird.

Meine Eltern heißen Marion und Russel Carr. Beide sehr konservative oder wie ich es nenne, primitive Menschen. Für sie schmoren Homosexuelle im Fegefeuer,  sind Leute die Metal hören bärtige Biker und Menschen mit einer Vorliebe für die Farbe Schwarz sind kurz vor dem Abgrund stehende, emotionale Wracks die nichts auf die Reihe bekommen.

Was habe ich denn für ein Glück, dass all jene Beispiele auf mich zutreffen nicht wahr? Natürlich zeige ich meine "Schattenseite" nicht um die Familie nicht in komplettes Chaos zu stürzen.

Mein Dad arbeitet in einem Büro und kommt manchmal tagelang nicht nach Hause mit der Ausrede Überstunden machen zu müssen. Meine Mom arbeitet als Sekretärin in einer Kanzlei. Sie leidet unter dem Verhalten meines Vaters und verfällt oftmals in wahnartige Zustände in denen sie jeden meiner Schritte verfolgt und ich jede Stunde mit mindestens einem Anruf zu rechnen habe, da sie wenigstens über mich die Kontrolle behalten will.

Ich versuche die letzten paar Jahre hinter mich zu bringen, damit ich mich so schnell wie möglich aus dem Staub machen kann. Aber um das zu erreichen muss ich mich in die Schule schleppen um meinen Abschluss zu bekommen, denn ohne Abschluss keine Arbeit, ohne Arbeit kein Geld und ohne Geld keine eigene Wohnung und somit auch keine Freiheit von meinen Eltern.

Nach 15 Minuten Fußweg stehe ich schon vor dem großen Gefängnis welches man Schule nennt. Unbemerkt von den anderen Schülern, husche ich durch die Gänge der Schule Richtung Klassenzimmer. Wie vorhin schon erwähnt, bin ich der unscheinbare Typ ohne Freunde. Nicht existent für andere.
Den Lehren ist es nicht entgangen, dass ich mich nicht im Geringsten für die Klassengemeinschaft interssiere. Mir war egal was diese Freizeitpädagogen zu sagen hatten, nur habe ich die Rechnung ohne meine Mom gemacht.
Das Thema wurde ewig besprochen. Immer und immer wieder. Seit dem habe ich die Ehre einen Psychologen zu besuchen, welcher klären soll was mit dem armen Sohnemann schief gelaufen ist. Um auf das Thema Homosexuell zurück zu kommen: Meiner Meinung nach, sind Mädchen einfach nur zickig und engstirnig. Das beste Beispiel ist Cori Ernestine, das beliebteste Mädchen meines Jahrgangs. Extrem begehrenswert. Wenn ich eines über sie weiß, dann dass, sie arrogant und egoistisch ist. Anscheinend stehen Jungs auf so etwas.

Das Läuten der Schulglocke lässt meine Schritte schneller werden. Stunden- und Raumpläne hatten wir mitsamt der Zeugnisse bekommen, sodass ich meine Klasse schnell gefunden habe. Als ich die Klasse betrete fallen mir einige neue Gesichter auf. Dem konnte ich aber nicht lange Beachtung schenken, weil bereits ein Lehrer in das Klassenzimmer kommt. Ich setze mich in die letzte Reihe an den Fensterplatz, ohne Sitznachbarn.

"Herzlich willkommen im neuen Schuljahr! Ich bin Mr. Anderson euer Lehrer für Englisch, Informatik und..."
Den Rest des Gelabers blende ich aus und blicke aus dem Fenster. Draußen dampft der Asphalt des Schulhofes. Ich mag den Sommer nicht. Jede Jahreszeit ist besser als der unerträglich heiße Sommer der den Schweiß aus sämtlichen Poren treibt. Ekelhaft.

"Die nächste Stunde habt ihr frei. Stellt also keinen Unfug an während wir eine Konferenz haben."
Dann verlässt der Lehrer den Raum und Ruhe kehrt ein. Welche aber schnell unterbrochen wird.

"Hört mal zu!" , es war Aaron der das Wort ergriffen hat. Er war mit Abstand der Lauteste und Vulgärste Typ den ich kenne. Aaron ist einer von vielen der wie eine Klette an Cori klebt, welche ich in der ersten Reihe ausfindig mache. "Wie ihr alle wisst" , fuhr er fort , " hat unsere Cori bald Geburtstag, weshalb wir eine Party im Turnsaal organisieren! Sie wird 18 Jahre alt also nehmt 'ne Menge Alkohol mit! Die Party findet dieses Wochenende um 20 Uhr statt also seit pünktlich!"
Die Klasse bricht in Jubel aus. Nur ich bin wenig angetan von der Ankündigung. Ich stöhne gequält und bette mein Gesicht in meinen Händen. Wenn meine Mom davon Wind bekommt werde ich bestimmt dazu gezwungen hin zu gehen. Wenn ich nur daran denke wird mir ganz anders. Ich hasse Partys. Jeglicher Art.
Mom meint sowieso, dass ich mal mit Cori ausgehen soll. Sie sei so ein hübsches und intelligentes Mädchen. Nur schade, dass ich kein Interesse an einer Person habe deren IQ nicht höher als die Raumtemperatur ist.

Plötzlich öffnet sich die Tür und ein etwas verwirrter Junge tritt ein.
Sofort rucken alle Köpfe in die Richtung des Fremden. Ich werfe auch einen kurzen Blick zu ihm. Er ist einen guten Kopf größer als ich. Er hat flachsfarbenes Haar, welches in der Mitte des Kopfes länger als an den Seiten ist. Sein Klamottengeschmack ähnelt meinem, zumindest was die Farben angeht. Sicher einer dieser Vorzeigefamilien mit viel Geld. Die Marke seiner Kleidung lässt darauf schließen, dass er nicht unbedingt sparsam mit Geld umgeht. Er macht einen irritierten Eindruck wie er so durch die Klasse schaut.

"Ähm... ist das die Klasse von Mr. Anderson?" , fragt er schließlich. Ich wende den Blick ab und hänge wieder meinen Gedanken nach. Wesentlich interessanter als der Grund weshalb er hier ist. Ich interessiere mich nicht für meine Mitmenschen. Es bringt mir nichts. "Du bist in der richtigen Klasse, aber der Lehrer ist gerade nicht hier. Was willst du?" , fragt einer der Mitschüler prompt. "Ich gehöre dann wohl in eure Klasse." , meinte der Unbekannte und schob lässig seine Hände in die Hosentaschen.

Dafür, dass er vorhin so verpeilt war, ist er jetzt ganz schön gelassen. Er passt nicht in die Schublade des nervösen, ängstlichen Neulings. Ich weiß nicht wie ich ihn einschätzen soll. Meine Beobachtungsgabe lässt nach.
"Cool! Mein Name ist Aaron Pirker."
"Danke. Ich bin Daven Evans."

Evans. Der Name lässt auch mich wieder aufsehen.
"Bist du etwa mit den Evans verwandt?" , fragte jetzt auch Cori.
"Wenn du mit den Evans das Immobilienholding meinst dann ja. Der Inhaber ist mein Dad."

Da kann selbst ich den Anflug von Überraschung nicht verbergen. Die Evans' haben eine Menge Geld und müssen keinem einzigen Schein nachtrauern. Was macht jemand wie er hier? Ein Raunen und Gemurmel geht durch die Reihen.
Sofort geht Cori auf den Neuling zu.
"Hi! Ich bin Cori Ernestine. Vielleicht können wir was gemeinsam machen, ich zeige dir auch gerne die Schule."
War klar. Kaum wittert sie die Chance sich einen reichen Typen zu angeln, fällt sie ihm um den Hals und wackelt mit ihren Brüsten um an sein Geld zu kommen. Dem Toaster ist wohl nicht bewusst, dass so lange er die Firma nicht übernimmt er keinen einzigen Cent hat. Aber soll sie es ruhig versuchen.

"Und was macht jemand wie du hier?" , fragt Aaron.
"Wir sind hergezogen, damit ich in einem normalen Umfeld aufwachsen kann. Ständig steht die Presse auf der Matte deswegen ist meine Familie untergetaucht und hier her gekommen."
Simple Antwort. Privatsphäre ist immer gut, der Meinung bin ich auch. Entspannt stütze ich meinen Kof auf meiner Hand ab und blicke nach draußen um zu beobachten, wie der Wind die ersten vertrockneten Blätter über den Schulhof treibt.

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