Schuldfrage

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Habe ich eigentlich schon mal gesagt, dass ich Daven und Vincent hasse? Wenn nicht, dann sage ich es eben jetzt: Ich hasse die beiden! Ich hasse sie, ihre Fürsorge und ihre verdammt guten Argumente, gegen die ich nicht ankomme. Ich hasse es, wenn ich eine Diskussion gegen meine Mom verliere, was eigentlich recht selten vorkommt, aber ich hasse es umso mehr, wenn es mein Psychologe und mein bester Freund sind, gegen die ich nicht mehr weiter weiß. Warum müssen die beiden ein so eingespieltes Team sein?

Ich habe natürlich eine Standpauke von Vincent gehalten bekommen. Von wegen, dass ich vor allem jetzt mit dieser Art der Frustbewältigung aufhören und, dass ich weiterkämpfen sollte. Eine ganze Stunde ging das so, wobei das meiste in das eine Ohr rein und beim anderen wieder hinaus ging. Er redete, ich hörte mehr oder weniger zu und Daven versorgte uns mit Tee und Keksen, wobei ich lediglich Tee trank, da mein Magen wieder rebellierte. Ziel Nummer Eins: Verhindere eine weitere Kotzattacke.

Daven an sich hat nicht wirklich mit mir geschimpft. Ihm war einfach nur die tiefe Enttäuschung über mein Handeln anzusehen. Er hat sich erhofft, mir helfen, mich vom Ritzen abhalten und mir das Gefühl einer Familie geben zu können, und dann dieser Rückfall meinerseits. Ihm schien das Ganze mehr an die Nieren zu gehen als mir selbst.

Mir geht es übrigens wieder bestens. Zwar bin ich im Badezimmer nicht sonderlich weit gegangen, aber allein die paar Bluttropfen haben es geschafft, dass ich wieder die Ruhe selbst war. Ich war wieder so kalt wie sonst immer, ich konnte endlich alles verdrängen und in meinem Inneren einschließen. Ich konnte wieder rational denken und den schlimmsten Neuigkeiten entgegen treten.

Wie zum Beispiel, dass sich meine Eltern wirklich einen Anwalt genommen haben. Vincent erzählte mir, als er endlich mit der Predigt fertig war, dass Mom nun wirklich vor Gericht gehen und um das Sorgerecht kämpfen würde. Und auch mein Vater würde nicht davor zurückschrecken, rechtliche Wege einzuleiten.

Es stand also fest, dass der Fall von einem Richter entschieden werden würde. Eigentlich sollte mich das ein wenig schocken, vor allem nach dem Gesehenen und meiner labilen Psyche. Vor einigen Stunden habe ich noch in Davens Armen geweint und bin eingeschlafen und nun bin ich wieder so ein eiskalter Kotzbrocken wie eh und je. Ich bin wieder still, was mich zum einen überraschte und zum anderen auch glücklich stimmte. Es ist ein Anzeichen dafür, dass ich mich meiner Familie stellen kann. Ich kann mich sowohl meiner Mutter als auch meinem Vater stellen. Ich kann endlich mein Leben in die Hand nehmen und mit klarem Kopf überlegen, wo ich denn nun eigentlich leben möchte. Immerhin würde mich das der Richter fragen. Das Wohl des Kindes steht immer an erster Stelle. Meine Meinung würde also am meisten zum tragen kommen.

Jedoch gibt es ein Problem, das mich nicht in Ruhe lässt. Ein Problem, das nicht so leicht zu lösen ist.

Ich will nicht zurück.

Weder zu meiner Mom noch zu meinem Erzeuger. Ich will nicht schon wieder in einem Haus leben, wo ich fast immer auf mich allein gestellt bin, wo ich mich von alter Pizza und Resten ernähren muss und wo ich nie erfahren werde, was es bedeutet, eine Familie zu haben. Ich will nicht zu einer Frau zurück, die mich wegen jeder Kleinigkeit anschreit, die mir aus dem Weg geht, weil ich unter einer Psychose leide und die sogar in der Lage ist, einen Tisch zu zerschlagen, wenn sie darauf Lust hat.

Aber ich will auch nicht in ein Haus ziehen, wo ein Mann lebt, der mich so stark geprägt hat, dass ich diese Psychose habe. Ich will nicht zu einem Mann zurück, der mich in meiner Kindheit ignoriert und beschimpft hat, der in meiner Vergangenheit gewalttätig war und seinen Frust, oder was auch immer, in Alkohol zu ertränken versucht hatte. Ich will nicht zu jemandem ziehen, von dem ich nicht weiß, ob er sich nun geändert hat oder nicht, obwohl das eigentlich unwichtig ist, da mir unsere Vergangenheit mehr als nur reicht. Aber vor allem will ich nicht zu jemandem, den ich nicht mal mit Stolz meinen Vater nennen kann.

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