Träume

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Meine Mom kam nach Hause, warf mir einen flüchtigen Blick zu und verschwand wieder sonst wo hin. Wahrscheinlich ein Notfall in der Kanzlei oder sie muss einem Kollegen aushelfen, was in letzter Zeit häufig der Fall ist. Seit ihrem Verschwinden sitze ich hier in meinem Zimmer, habe die Hausaufgaben erledigt und sogar ein wenig aufgeräumt. Nun starre ich meinen alten Teddy an, der Einzige, der der Entsorgung entgangen war.

Mit dem Bauch auf dem Bett liegend, begutachte ich die Schnitte und Einstichstellen auf der Brust des Bären. Es ist ungefähr ein Jahr her, dass ich ihn mit einem Küchenmesser bearbeitet habe, als Mom auf dem Elternsprechtag war und wütend zurück kam, da ich laut Schulpsychologin apathisch in der Ecke hocken würde. Völliger Schwachsinn, wenn man mich fragt. Ich habe damals nur nachgedacht, aber sie muss ja aus einer Mücke einen Elefanten machen. Seit diesem Vorfall ist diese Frau ein rotes Tuch für mich. Bis heute hatte sich daran nichts geändert.

Ich drehe den Teddy um und betrachte die beiden Wörter, welche ich in ihn gestochen hatte. Sie fühlen sich unter meinen warmen Fingerkuppen wie Eis an, ein wenig spröde, was wahrscheinlich an der alten, herausquellenden Füllung liegt. Doch nicht die vergilbte Füllung erregt meine Aufmerksamkeit, sondern der Sinn hinter den Wörtern, welche im Stoff verewigt sind.

Ritz dich

Ich seufze nachgebend und verstaue das Plüschtier dort, wo ich es her hatte. In einem Karton in meinem Kleiderschrank. Meine Mom betrat das Zimmer schon lange nicht mehr, ganz zu schweigen von Dad, also musste ich kein ausgefallenes Versteck suchen. Der Kleiderschrank war da das erstbeste Versteck, das mir in den Sinn kam.

Was soll ich jetzt machen? Ich bin allein zu Hause, niemand ist hier, der mir Vorwürfe machen oder mich belehren würde. Egal, was ich täte. Ich könnte die Bude abfackeln, wenn ich wollte, aber das war nicht mein Plan. Zum einen würde es mich zwar auf eine gewisse Art und Weise beruhigen, da ich es liebe dem Feuer zuzuschauen, wie es sich durch die Stützbalken frisst und zu einem unkontrollierbaren Monstrum heranwächst, aber es würde mir nicht weiterhelfen. Stattdessen würde Mom mir die Hölle heiß machen, man würde mich verhaften und mein ganzes Hab und Gut verlieren. Alles in allem wäre es eine schöne Methode, aber im Nachhinein einfach nur dumm und folgenreich.

Mir machen auch eher die Worte von Vincent zu schaffen, welche er mir mit auf den Weg gegeben hat. Sie hallen in mir wieder, wie ein Echo in einer Höhle.
Keinen Unsinn anstellen, klar?
Was war Unsinn? Etwa zu vergessen, das Essen nicht lange genug aufzuwärmen oder das Wasser aus Versehen laufen zu lassen, das war Unsinn. Etwas, das man unbewusst vergisst. Oder meine Idee mit dem Feuer. Aber ist es dumm, wenn man sich selbst helfen will? Immerhin meinte Vincent, dass wir uns nächste Woche wiedersehen würden. Von daher werde ich doch mit meinen alten Methoden arbeiten dürfen, oder? Mit meinem Körper darf ich doch machen was ich will! Es ist ja, als würde ich mir ein Tattoo stechen lassen. Mein Leben, mein Körper, meine Entscheidung.

Mein Blick huscht zur Schublade der Kommode, die einen recht normalen Eindruck macht. Aber nur ich weiß, was sich in ihr verbirgt. Es war so ein lausiges Versteck, wie das des Teddybären im Schrank, doch niemand würde in diese Schublade sehen.

Ich gebe nach, sehe keinen Nachteil, welcher mich von meiner folgenden Tat abhalten kann. Unsinn hin oder her, ich musste mich beruhigen. Mühselig rolle ich mich vom Bett und krame in der Schublade, bis ich das gewünschte Objekt gefunden habe. Dann verschwinde ich kurzerhand ins Badezimmer und schließe ab.

Das Badezimmer ist relativ groß, was für einen kleinen Haushalt wie unseren mehr als ausreichend ist. Das Bad ist, bis auf einige hölzerne Akzente, komplett in weiß gehalten. Die Wandkacheln sind ein wenig heller als die Bodenfliesen. Neben einem großen Waschbecken und einer Toilette , findet man noch einen Wäschekorb und eine große Dusche mit flacher Duschtasse, welche mit einer Wand von der freistehenden Badewanne getrennt ist. Verschwenderisch groß für nur drei Personen.
Schnell sind die restlichen Utensilien gefunden, darunter ein großer Verband und einige Kompressen, die ich in alten Medikamentenschachteln versteckt habe. Dann pelle ich mich aus meinen Klamotten und stelle mich unter die Dusche. Das Wasser drehe ich jedoch nicht auf.

Vitae TeadetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt