(K)ein Fehler?

31 3 1
                                    


Alle in der Schule starren mich mit weit aufgerissenen Augen an und beginnen sofort zu tuscheln. Fast schon, als wäre meine Haut lila oder grün, als hätte ich einen zweiten Kopf bekommen oder als wäre mir ein drittes Auge, ein drittes Bein oder ein dritter Arm gewachsen. Naja, das mit dem dritten Arm könnte sogar stimmen, weil mich Daven mit schnellen Schritten in Richtung Klassenzimmer zieht.

Als er mich heute morgen abgeholt hatte, ich weiß nicht mal woher er meine Adresse hat, ist meine Mom fast aus ihren Latschen gekippt, hat ihn herein gebeten und zum Frühstück eingeladen. Ich kam gerade in die Küche, als ich meinen neuen Freund am Küchentisch sitzen sah, während er ein Brötchen belegte. Meine Mom hat mich angegerinst wie ein Honigkuchenpferd und ich schwöre, dass ich ihre Gedanken fast lesen konnte!
Mein Sohn hat einen Freund gefunden! Die Therapie hilft, also bin ich doch eine gute Mutter. Warte nur bis Russel davon erfährt!

Da meine Mom den armen Evans nach unendlich vielen Kleinigkeiten ausgequetscht hat, sind wir viel zu spät aus dem Haus gekommen. Seitdem werde ich wie eine Puppe durch die Gegend geschleift, ohne auch nur einen einzigen Schritt ohne Davens Hand an meinem Unterarm zu machen. Ehrlich, es war ein Fehler sich mit ihm anzufreunden. Ein großer Fehler! Jetzt bin ich das Gesprächsthema an der Schule. Und wenn die Presse kommt, auch derjenige der am meisten ausgefragt wird. Ich Glücklicher. Wo steht der Oskar für den größten Glückspilz der Welt, den hätte ich gerade gern.

Daven will gerade die Tür zu unserer Klasse öffnen, als ich ihn aufhalte und mich seinem Griff entziehe. Natürlich sieht mich Daven nur stumm und fragend an, doch ich wende meinen Blick ab und blicke zu der großen Schuluhr. Wir können nicht gemeinsam in die Klasse gehen, denn dann werden mich alle ausfragen und es reizt mich nicht sonderlich zum Gesprächsthema Nummer eins zu werden.

"Nicht jeder muss gleich mitkriegen, dass wir Freunde sind.", gebe ich klar und deutlich zu verstehen. Der Evans akzeptiert meine Entscheidung nur mit einem Nicken.

"Ich gehe noch kurz aufs Klo und komme dann nach."
Ich verschwinde schnell hinter der nächsten Ecke und steuere die Tür der Jungentoilette an. Hinter mir lasse ich einen mit den Schultern zuckenden Evans zurück, welcher gelassen den Klassenraum betritt.

Die Jungentoilette ist leer und ich stütze mich schwer Atmend an einer der verdreckten, aber doch weißen Waschbecken ab und mustere mein Ebenbild in dem mit getrockneten Wassertropfen überzogenen Spiegel.
"Lucien, worauf hast du dich bloß eingelassen?" , frage ich den Spiegel, obwohl ich weiß, dass er mir keine Antwort geben wird. Ich seufze laut auf.

Fassen wir doch mal zusammen. Ich habe erfahren, dass ich eine Psychose habe, was Vincent meiner Mom eher erzählt hat als mir. Meine Mom hält sich seitdem für die beste Mutter der Welt, wenn sie mir an den Hacken hängt und mich wie ein Kleinkind behandelt. Und der Evans ist nun mein bester Freund, welcher beginnt sich in mein Leben einzumischen, mich mit unangenehmen Fragen überhäuft und mein Schulleben mir nichts dir nichts auf den Kopf stellt. Ich habe doch bereits genug Probleme... Die letzten Tage waren für mich Horror genug, kann ich nicht mal auf die
Pause-Taste drücken um mein Leben zu ordnen? Oder einge Sachen löschen und rückgängig machen? Das würde mir gerade sehr helfen. Vor allem ist die Freundschaft mit dem Evans die Krönung. Auf der einen Seite kann ich mir vorstellen, dass eine Freundschaft ganz schön sein kann, aber auf der anderen werde ich das Gefühl nicht los, dass ich es bereuen werde.
"Das wird alles ruinieren."

Schnell wasche ich mein Gesicht mit klarem Wasser und atme tief durch, um meine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Ich muss meine Fassade wieder Aufbauen. Sie hatte in den Sommerferien ganz schön zu leiden, da ich sie nicht gebraucht und somit abgelegt habe. Es ist wirklich schwer nach sechs Wochen einen Menschen zu spielen, der man gar nicht ist. Schon garnicht wenn man eine überfürsorgliche Mutter und einen besorgten, neuen Freund hat. Wenn ich mich nicht zusammenreiße, dann mache ich bestimmt einen dummen Fehler und alle wissen, dass etwas mit mir nicht stimmt.

Vitae TeadetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt