Ich sitze hinten an meinem Fensterplatz und grummle Gemeinheiten vor mich hin, die ich liebend gerne meinem Psychologen, aber auch meinem Lehrer ins Gesicht schreien würde.
Eigentlich hätte ich erst nächste Woche meinen Termin, aber ich bin zu dem Entschluss gekommen ihm gleich heute meine Meinung zu geigen. Wegen ihm macht meine Mom jetzt eine auf Super Nanny Mary Poppins, hat meinen Vater nach Hause zitiert und schickt mir in jeder Pause eine SMS in der sie fragt ob es mir gut geht. Das muss ein Ende haben.Und wessen Schuld ist es? Genau! Vincents. Die Schuld von Vincent und seiner blöden Diagnose! Hätte er nicht zuerst zu mir kommen können? Nein! Er läuft lieber zu meiner Mom und versetzt sie in Panik. Was ist nur aus meinem perfekten Einzelgängerleben geworden?
Kurz schiele ich zur Seite zu meinem Sitznachbarn. Ja, ich habe einen Sitznachbarn. Gezwungenermaßen, weil kein Platz mehr frei war. Verflucht seien große Klassen! Zu allem Übel ist es dieser Evans, welcher seit dem ersten Tag von allen Mädchen umschwärmt wird. Selbst Cori hat ein Auge auf ihn geworfen, was die anderen Jungs nicht so toll zu finden scheinen. Der Evans jedoch ignoriert ihre lieblichen Blicke eiskalt, scheint gar kein Interesse an den Tag zu legen, und das macht die Jungs wiederum glücklich, da so die Chancen bei den Mädchen wieder steigen.
Dieses Auf und Ab der Gefühle geht mir schon gewaltig auf die Nerven. Die ganzen Liebeleien lösen einen dezenten Brechreiz in mir aus.Jedoch bin ich auch ein wenig sauer auf den Evans. Natürlich, er hat nicht wirklich etwas verbrochen, aber irgendwie würde ich ihm gerne die ganze Schuld in die Schuhe schieben. Seitdem er hier ist, hat sich mein Leben zwar nur minimal, aber dennoch zum Schlechteren gewendet. Seit seinem Erscheinen dreht meine Mom am Rad und mein Psychologe hintergeht mich. Das kann doch kein Zufall sein!
Jetzt ist nicht nur mein Familienleben noch chaotischer als es ohnehin schon war, sondern auch noch mein Schulleben. Ich hatte nie einen Sitznachbarn, war immer in der hintersten Ecke und dann kommt er!
Ich glaube nicht an Zufälle, Gott oder das Schicksal, aber jetzt scheint sich doch eine höhere Macht gegen mich verschworen zu haben.In Gedanken verloren kritzle ich in meinem Block herum. Spannende Sachen lernen wir in Chemie sowieso nicht. Die ersten Wochen sind eh nur Wiederholung. Welche nebenbei bemerkt jedes Kind schaffen könnte. Das Periodensystem ist doch jedem ein Begriff, oder? Können die uns nicht beibringen wie man ein Klassenzimmer in die Luft jagt? Das gleiche kann ich dann mit Vincents Büro machen, wenn ich ihm einen Besuch abstatte.
Nur meine Mom und Vincent wissen, dass ich eine Psychose habe. Meine Mitschüler finden mich einfach nur komisch. Ich wurde sogar schon als Freak bezeichnet. Ich bin einfach ein Schatten werfendes Objekt im Klassenraum. Liegt wahrscheinlich an meiner verschlossenen Art. Ich muss ihnen nicht noch auf die Nase binden, dass ich von vornherein psychisch gestört bin. Dann wäre ich das perfekte Opfer in der Klasse! Mobbing kann ich gar nicht gebrauchen. Also Klappe halten und weiter ignorieren und mir überlegen was ich mit Vincent anstelle.
"Schlagt eure Bücher auf Seite 7 auf und bearbeitet die Aufgaben. Mal sehen was noch bei euch hängen geblieben ist."
Ich schlage das Buch auf und werde sogleich von der Seite angestupst. Der Evans, na toll.
"Ich hab noch kein Buch. Könnte ich vielleicht bei dir mitschauen?"
"Klar."Ich schiebe das Buch in die Mitte des Tisches und berechne die Aufgaben, welche lächerlich einfach sind. Stoff aus der Unterstufe.
Gleichungen aufstellen und auflösen, Atommodelle zeichnen und Elektronennegativität berechnen.
"Mann du bist echt gut!" , staunt mein Nachbar, welcher auf die Aufgaben starrt. Ich lasse meinen Blick durch die Klasse schweifen, wo meinen Mitschülern wortwörtlich die Köpfe rauchen."Ist ganz einfach." , antworte ich gelassen und schaue aus dem Fenster. Mann ist der Schulhof interessant geworden. Draußen spielt der Wind mit den spätsommerlichen, fast herbstlichen Blättern, wirbelt sie durch die Luft ehe er sie wieder zu Boden fallen lässt. Ich könnte diesem Spiel die ganze Zeit zusehen.
DU LIEST GERADE
Vitae Teadet
Teen FictionMein Name ist Lucien Carr, bin 17 Jahre alt und besuche ein Gymnasium. Ich lebe ein mehr oder weniger normales und einsames Leben mit meinen Eltern. Ich habe keine Freunde und hatte auch nie welche. Wieso? Weil sie für mich so etwas wie Zeitverschwe...