Das Geräusch des gegen das Fenster schlagenden Rollos riss mich aus meinem Schlaf. Sofort bemerkte ich, dass Saja nicht mehr im Bett lag. Ich sprang auf, flitzte durch die Wohnung. Fuck, sie war weg! In der Küche stieß ich auf einen kleinen Zettel mit ihrer Handschrift. Beunruhigt suchte ich mein Handy und rief sie sofort an. Mailbox. Daraufhin schrieb ich ihr drei SMS und eine Nachricht in WhatsApp. Keine Empfangsbestätigung. Das gefiel mir nicht, überhaupt nicht.
Es war gerade einmal halb elf. Seit wann war sie weg? Warum hat sie einfach so ihre Wohnung verlassen?
Meine Gedanken liefen Amok. Ich malte mir bereits die schlimmsten Szenarien aus, als sich plötzlich die Tür öffnete. Saja betrat die Wohnung und sah mich verwundert an. Vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass ich vollkommen panisch vor ihr stehen würde, wenn sie zurückkam.
"Morgen Krü-"
"Spar' dir das! Wo zum Teufel warst du?", herrschte ich sie an.
Ihr Gesicht wirkte ausdruckslos, während sie an mir vorbei in die Küche ging. Stillschweigend legte sie eine Tüte vom Bäcker um die Ecke auf den Küchentresen und aktivierte die Kaffeemaschine. Wütend packte ich ihr Handgelenk, welches sie mir sofort wieder entriss.
"Ich war spazieren. Ich musste den Kopf frei kriegen", erklang ihre Stimme monoton.
Wollte sie mich verarschen?
"Du zerbrichst und willst nicht, dass ich es mit ansehen muss, gehst spazieren und als du wiederkommst, hast du nichts anderes im Sinn, als Kaffee?!", meine Hysterie kannte keine Grenzen.
Saja seufzte. Sie lehnte sich an den Tresen. Ihr Blick war auf einen unbestimmten Punkt an der Wand gegenüber gerichtet. Etwas stimmte nicht, das war nicht zu übersehen. Eigentlich bestand daran gar kein Zweifel, sie hatte es ja bereits zugegeben. Ich flüsterte fragend Sam's Namen, woraufhin ich ein zögerliches Nicken zur Antwort bekam. Warum konnten die beiden sich nicht einfach vertragen?
Vorsichtig ging ich einen Schritt auf Saja zu, doch sie schüttelte den Kopf. Okay, keine Nähe. Das war kein gutes Zeichen, wenn man bedachte, wie verschmust Saja eigentlich war.
Auf meine Frage, ob sie darüber reden wollte, wanderte ihre rechte Hand zu ihrem linken Arm. Sie streichelte über ihren dünnen grauen Pulli. Die darunter verborgenen Narben kannte ich in und auswendig. Erste Tränen füllten meine Augen. Ein leises Tropfen löste Saja aus ihren Gedanken. Ihr Blick wanderte zu mir, wie ich weinend mit gesenktem Kopf da stand, während mir die Tränen vom Kinn auf den Boden fielen.
Mit einem Schritt überbrückte sie die kurze Distanz zwischen uns und nahm mich zaghaft in den Arm. Stumm ließ ich mich von ihr halten, lehnte meinen Kopf auf ihre Schulter. Saja streichelte mir behutsam über den Rücken. Ihre Finger wanderten plötzlich unter mein Kinn, um meinen Kopf etwas anzuheben. Ihr Blick traf mich wie ein wärmender Sommerregen. Soviel Ruhe hatte ich schon lange nicht mehr bei ihr gesehen.
"Hör auf zu weinen. Es ist alles gut. Ich hab keine neuen Narben. Versprochen."
Ihre Stimme klang aufrichtig. Sie hielt mich noch einen Moment lang fest, ließ dann aber von mir ab.
"Wir sollten etwas essen. Möchtest du frühstücken?", fragte sie mich.
Ich nickte, auch, wenn ich keinen Hunger hatte. Aber ein bisschen Alltag konnte zur Ablenkung nicht schaden.
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Souls
Teen FictionSich seelisch an jemanden zu binden kann das wertvollste Geschenk sein, dass man einem Menschen machen kann. Man gibt sich hin, liefert sich aus, enthüllt all seine Geheimnisse, Sorgen, Ängste und Hoffnungen. Man öffnet sich einer anderen Person au...