POV Saja
Gegen Mittag hörte ich die Wohnungstür ins Schloss fallen. Scheinbar war Lola weg gegangen. Ich verließ mein Zimmer und fand einen Zettel in der Küche.
'Bin kurz in der Drogerie, brauch noch einen neuen Schreibblock. Ich hab dich lieb ❤️'
Sie war der einzige Mensch, dem ich die letzten Worte noch glauben konnte. Wären sie von Sam gekommen, hätte ich dir Glaubwürdigkeit sofort angezweifelt. Ich beschloss, mir einen Tee zu machen, bevor ich zurück in mein Schlafzimmer ging. Dort setzte ich mich auf mein Bett, stellte die Tasse auf mein Nachtkästchen und nahm den Laptop zur Hand. Nachdem er hochgefahren war, begann sofort der Hintergrund zu wechseln. Verdammte Diashow-Einstellung. Aus dem Bild einer pitschnassen Lola mit mürrischer Miene - das Bild war an dem Tag entstanden, an dem sie den Bus verpasst und ihr Handy keinen Akku mehr hatte, weswegen sie im strömenden Regen heim laufen musste - zu etwas, dass mich zerbrach. Eines meiner Lieblingsbild von Sam. Es zeigte sie, wie sie in einem blauen Pulli mit Kopfhörern in den Ohren auf dem Bett lag und in die Kamera grinste. Ich hörte förmlich das Brechen in meiner Brust. Mir fehlte diese Zeit. Aber solang Sam sich mir gegenüber distanziert verhielt...
*Woop*
Ich erschrak. Skype hatte sich geöffnet und ein guter Freund schrieb mir eine Nachricht. Als ich mich wieder gefangen hatte, chattete ich eine Weile mit ihm. Kaum war unser Gespräch beendet, klopfte es an meiner Tür. Lola wartete mein 'Herein' ab, ehe sie den Raum betrat. Sie sah mich besorgt an, setzte sich neben mich. Wortlos schlang sie ihre Arme um mich. Ich wollte bei dieser Berührung schreien. Doch ich schwieg, unterdrückte die aufsteigenden Tränen gekonnt. Fragend sah ich sie an.
"Ich mach mir Sorgen", meinte die gerade heraus.
Lola war viel zu fürsorglich, viel zu aufopferungsvoll, viel zu sehr wie ich. Zumindest auf meine Persönlichkeit vor den Geschehnissen mit Sam bezogen. Mittlerweile war ich kalt, emotionslos und zurückgezogen - viel zu sehr wie Sam.
"Kein Grund zur Sorge!", log ich mit einem gezwungenen Lächeln, "Ich bin nur ein bisschen überarbeitet. Spätestens heute Abend oder morgen Früh bin ich wieder fit!"
Sie wusste, dass ich log. Auch, dass ich nicht darüber reden wollte. Zwar war Lola der letzte Mensch auf diesem Planeten, dem ich noch irgendwie vertraut, doch ich wollte sie nicht belasten. Also bat ich sie, mich einfach ein bisschen allein zu lassen. Man merkte ihr an, wie unwohl ihr bei dem Gedanken war. Trotzdem kam sie meiner Bitte nach.Ungefähr zehn Minuten später saß ich mit physischen Schmerzen, echten Schmerz in der Brust da und versuchte, noch zu weinen. Aus irgendeinem Grund erinnerte ich mich an die Zeit, bevor ich hier lebte, bevor ich dieses Leben führte. Mein Verstand lief Amok und ich wusste, ich hatte keine andere Wahl. Ich warf meinem Kopf in den Nacken, schloss meine Augen. Okay, Hirn, zerstör' mich.
Flashback
Ein metallischer Geruch von Blut steigt in meine Nase. Altbekannt und vertraut. Dieser Geruch. Begleitete mich schon quasi mein ganzes Berufsleben. Blinzelnd öffnete ich die Augen. Vor mir eine geflieste, weiße Wand, Gerätschaften aus schwerem Metall, eine Waage auf einem Metalltisch. Meine Hände vergraben in einer roten Plastikkiste, welche mit Innereien gefüllt ist. Leber, Herz, einige Rinderbacken, ein zersägter Ochsenscchwanz. Die Quelle des Geruchs. Anfangs hatte mich sowohl die Materie, als auch die Tatsache, totes Tier zu verpacken, irgendwie gestört. Mittlerweile war es mir allerdings egal. Zu routiniert. Der Preis der Erfahrung. Meine Ekelgrenze war quasi nicht mehr existent.
"Hören Sie mir eigentlich zu?!", dröhnt es an meine Ohren.
Meine alte Senior-Chefin. Ach, einer dieser Tage also? Na schön, was hab ich angestellt?
Ich kann meine Antwort auf die Frage der Frau, deren Gesicht ein bisschen rabenhaft ist, nicht hören. Dafür erkennt man aber deutlich, wie ihr der Kiefer runterklappt und sie vor Entrüstung fast ihre Brille verliert.
Geschockt starrt sie mich an, als ich meine grauen Schürze ablegen und auf den Tisch lege. Danach verlasse ich den Raum, gehe die 21 Stufen - eigentlich 23, wenn man die zwei Zwischenstufen mitzählt - hinauf zur Umkleide, werfe meine restlichen Sachen in meinen Spind, wechsel zu meinen normalen Schuhen und verlasse den Betrieb.Es war der Tag, an dem ich letztendlich unter dem Mobbing einer Kollegin die Flucht ergriffen hatte, nachdem sie mich von morgens um 7 Uhr bis zu dem Moment, als meine Senior-Chefin mich ansprach, nur fertig gemacht hatte. Ich fuhr über einen riesen Umweg nach Hause, machte noch kurz bei meiner Mutter Halt, um auch ihr zu sagen, dass mir die ganze Scheiße, die meine Mitmenschen - sie inbegriffen - seit Monaten auf meine Kosten veranstalteten, schlichtweg den Rest gegeben hatte und keiner von ihnen mich jemals wieder sehen würde. Zuhause nahm ich die nötigsten Sachen, schmiss sie in einen Koffer und verließ meine Heimat. Dieses Mal aber entschied ich mich gegen die Stimme in meinem Herzen und fuhr stattdessen zu einem guten Freund. Als er mich ansah, vollkommen verblüfft über meinen Besuch, war es seine Frage, die mich in diesem Moment komplett zerbrechen ließ.
"Was machst du denn hier? Ah mit Koffer sogar! Sag bloß, du ziehst endlich zu Sam?!"
POV Lola
Es war bereits abends, als ich aus Saja's Zimmer leises weinen hörte. Ich klopfte nicht. Ich stürmte nicht durch ihre Tür. Ich saß lediglich davor und hörte ihr zu, während ich unbemerkt mit ihr litt. Sie weinte seit Stunden, doch langsam schien es, abzuebben. Zirka eine viertel Stunde später war es nur noch ein Wimmern, weitere fünf Minuten später herrschte Stille. Geräuschlos richtete ich mich auf und drückte die Klinke ihrer Tür langsam nach unten. Bemüht, weiterhin keinen Laut erklingen zu lassen, drückte ich die Türe auf. Meine kleinen Füße tapsten über den Boden zu ihrem Bett. Ihr Anblick ließ mein Herz ein bisschen brechen.
Sie lag da, den Laptop neben sich, zusammengerollt in einer Fötusposition und schlief - scheinbar vor Erschöpfung - während ihr weiter Tränen aus den Augen flossen. Vorsichtig deckte ich sie zu, nahm den Laptop, um selbigen auszuschalten, da grinste mir ein bekanntes Gesicht entgegen. Nun rollten mir erneut Tränen über die Wange.
"Ob sie dich hasst? Nein. Sie liebt dich immer noch mehr, als sie zugeben will. Und du fehlst ihr. Aber Scheiße verdammt, sie braucht ihre Antworten, Sam!", flüsterte ich dem Bildschirm entgegen.
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Souls
Teen FictionSich seelisch an jemanden zu binden kann das wertvollste Geschenk sein, dass man einem Menschen machen kann. Man gibt sich hin, liefert sich aus, enthüllt all seine Geheimnisse, Sorgen, Ängste und Hoffnungen. Man öffnet sich einer anderen Person au...