Es war irgendwas um sechs Uhr morgens. Ich wachte noch vor meinem Wecker auf. Mein erster Griff ging zu meinem Handy. Nach wie vor keine Nachricht von Saja. Seit einer Woche herrschte eine seltsame Funkstille. Mir wurde weder auf Nachrichten noch auf Anrufe geantwortet und ihre Wohnung wirkte wie verlassen. Auch auf der Arbeit fehlte Saja über den selben Zeitraum. Ich machte mir Sorgen. Ernsthafte Sorgen.
"Hallo?", holte mich Sam aus meinen Gedanken, wobei sie das 'o' am Schluss ziemlich on die Länge zog, "Was ist denn los, Lola?"
Mit gespieltem Lächeln erklärte ich ihr, dass alles in Ordnung sei. Zum Glück war Sam äußerst leichtgläubig. Ich hatte gerade andere Probleme, als mich mit ihr auseinander zu setzen. Aber war nicht sie ein Teil des Problems? Saja würde mich für solche Gedanken mit Kontaktabbruch strafen, doch nachdem sie momentan eh mehr oder weniger unauffindbar war...
"Lola? Man, krieg' ich mal ne Antwort?"
Man konnte fast hören, wie sie den Augen rollte, weil ich noch nicht geantwortet hatte - auf was auch immer sie gerade gesagt hatte. Ich bat sie, zu wiederholen und das tat sie auch. Sie wollte wissen, ob ich nach der Schule noch Zeit hätte, mit ihr in die Stadt gehen wollen würde, was ich verneinte.
"Ich weiß, dass du das nicht verstehst, aber ich geh' nach dem Unterricht bei Saja vorbei. Sie hat sich seit 'ner Woche komplett in Luft aufgelöst und ich mach' mir Sorgen", erläuterte ich selbstbewusst.
Sam's Augen verengten sich zu Schlitzen. Ihr Mund war nur noch ein dünner, blasser Strich auf ihrem hellhäutigen Gesicht. Genervt fuhr sie sich mit einer Hand durch die kurzen blonden Haare, was mir einen Stich versetzte. Kaum merklich schüttelte ich den Kopf und somit meine Gedanken ab. Noch bevor Sam sagen konnte, was ihr merklich auf der Zunge lag, ertönte der Gong zum Unterrichtsende. Schnell packte ich all meine Sachen und ließ Sam zum ersten Mal, seit wir uns kannten, stehen.Ich saß in der Bahn auf dem Weg zu Saja, als ich Samy dann doch kurz schrieb, sie solle mir nicht böse sein und dass ich sie wirklich lieb hätte. Anschließend konzentrierte ich mich darauf, nicht vor Nervosität umzukommen. Was, wenn Saja immer noch nicht zu Hause wäre? Was, wenn sie zu Hause sein würde?
Gedanklich überflog ich jede mögliche Reaktion, sowohl von ihr, als auch von mir. Egal, wie ich es drehte, es kam nichts Gutes dabei heraus. Das Ganze stresste mich ungemein.
Endlich war ich an meiner Endstation angekommen. Ich sprang aus der Bahn, machte mich auf dem schnellsten Weg auf zu Saja's Wohnung. Meine Gedanken schwirrten unaufhörlich hin und her. Ein Mix aus Sorge, Angst und Wut hatte sich in mir ausgebreitet. Ich wollte unbedingt wissen, was passiert ist! Ich wollte Saja unbedingt sehen - was ich auch tat, als ich um die Ecke bog und vor lauter Verwunderung vergaß, weiterzulaufen.
Saja stand vor der Haustür, ein junger Mann direkt neben ihr. Plötzlich lief ein junges Mädchen, höchstens Anfang bis Mitte zwanzig, zu den beiden und legte einen Arm um Saja. Wer zum Teufel waren diese Leute? Noch bevor ich realisieren konnte, was ich da tat, ging ich auf das Dreier-Grüppchen zu und begann heulend, Saja anzuzicken.
"Ach, sich eine ganze Woche nicht melden und nirgendwo auffindbar sein, aber dann mit zwei völlig fremden Menschen plötzlich deine Wohnung betreten wollen?", mir liefen die Tränen in Bächen über die Wange, als Saja sich umdrehte.
Ihr Gesicht war an manchen Stellen aufgeschrammt, um nicht zu sagen aufgeplatzt. Ihre Haut wirkte grau, während ihre Augen tief schwarz zu sein schienen. Wie benommen löste sie sich aus dem Griff des Mädchens, das sie hielt und stolperte mir entgegen. Noch ehe sie einen Ton sagen konnte, klappten ihre Lider zu, sie verlor das Gleichgewicht und plumpste unsanft gegen mich. Jetzt spürte ich auch, wie ausgehungert sie sein musste. Ich schloss behutsam meine Arme um sie, drückte sie an mich, weinte.
"Shhhh. Tut mir leid, dass ich solange weg war. Dachte, mich würde sowieso niemand vermissen", krähte eine heisere Stimme leise an meinem Ohr, wobei mein Herz kurz aussetzte.
"Ahm, Saja, wir sollten rein. Du musst dich hinlegen", meinte der Kerl hinter ihr plötzlich.
"Ich weiß. Aber Lola kommt mit."
Die beiden Fremden nickten, ehe sie uns hinauf in die Wohnung begleiteten, wo Saja sofort ins Bett befördert wurde. Die junge Frau hatte ihren Begleiter und mich aus dem Schlafzimmer verbannt, da sie in Ruhe nach Saja's Verletzungen sehen wollte. Währenddessen erklärte dieser mir, was überhaupt passiert war.
"... Und dann sind wir her gekommen", endete der junge Mann, der auf den Namen Marc hörte, als die Türe vom Schlafzimmer geöffnet und sofort wieder geschlossen wurde.
"So, sie ist versorgt", sagte sie mit ruhiger Stimme, "Ach, übrigens, bist du Sam?"
Erschrocken schüttelte ich den Kopf, stellte mich ihr vor. Sie hätte doch unten mitbekommen müssen, wie mein Name war. Saja hatte es dich erwähnt gehabt.
"Test bestanden. Ach ja, ich bin Kaya!", streckte sie mir ihre Hand entgegen.
Kurz starrte ich sie an, bevor ich unüberlegt fragte, was mir in diesem Augenblick sofort durch den Kopf schoss.
"DIE Kaya? Ihre kleine Cousine x-ten Grades, mit der sie seit Jahren nicht mehr geredet hat? DIESE Kaya?"
Das Mädchen vor mir nickte. Besorgt wanderte mein Blick zur Schlafzimmertür. Diese ganze Situation bedeutete mächtigen Ärger und zwar für uns alle.
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Souls
Teen FictionSich seelisch an jemanden zu binden kann das wertvollste Geschenk sein, dass man einem Menschen machen kann. Man gibt sich hin, liefert sich aus, enthüllt all seine Geheimnisse, Sorgen, Ängste und Hoffnungen. Man öffnet sich einer anderen Person au...