Lola - I

17 0 0
                                    

Am nächsten Morgen wartete ich bereits mit dem Frühstück auf Saja. Innerlich fühlte ich mich schuldig, weil ich Sam und Leo, den sie gar nicht zu Gesicht bekommen hatte, wobei sie sich darüber wahrscheinlich sogar gefreut hätte, einfach reingelassen hatte, obwohl ich wusste, dass Saja nicht begeistert sein würde.
Der Kaffee stand bereits dampfend auf den Tisch, als sie endlich die Küche betrat. Okay, showtime! Ich setzte mein niedlichstes Grinsen auf, strahlte ihr entgegen und wünsche ihr einen guten Morgen. Schweigend nahm sie die Tasse, erkundigte sich danach, ob es schwarzer Kaffee sei oder ob ich bereits Milch, Sahne, Zucker, Süßstoff oder ähnliches hinzugegeben hätte.
"Schwarz. Wusste nicht, wie du ihn heute magst", flötete ich gezwungen fröhlich.
Sie trank einen Schluck, bevor sie auf die Uhr sah.
"Also dann, ich muss zur Arbeit-"
Ich unterbrach sie sofort. Auch, wenn sie echt viel arbeitete, aber ich kannte ihren Dienstplan und heute hatte sie definitiv frei. So protestierte ich, bis sie einwilligte, sich zu setzen. Gemeinsam saßen wir am Küchentisch, tranken unseren Kaffee. Von Sekunde zu Sekunde fühlte ich mich schuldiger. Sie war sauer, was ich ja auch noch verstand. Aber verdammt, war es so schlimm, dass ich einfach wieder unsere kleine Familie zusammenführen wollte?

Saja stellte ihre Tasse ab, Strich mit dem Daumen über das warme Porzellan. Sie sah so verdammt müde aus. Als hätte sie...
"Es tut-"
"Denk nicht daran, dich zu entschuldigen, Lola!", unterbrach sie mich und fuhr direkt vor, noch bevor ich erneut protestieren konnte, "Ich war gestern nicht begeistert, Sam zu sehen, dass weißt du. Aber es ist okay für mich. Ihr beiden seid Freunde. Eine Vorwarnung wäre nur schön gewesen."
Sie blickte zur Seite. Ernsthaft? Sie beschäftigt sich immer noch mit der Sache von damals? Stumm nickte ich. Dann beschloss ich, die unausgesprochenen Fragen zu beantworten, die in ihrem Kopf schwirrten. Saja war wie eine Schwester für mich, weswegen ich mir ungefähr ausmalen konnte, was in ihr vorging. Auch, wenn es für mich nicht immer Sinn ergab. Aber das lag wahrscheinlich einfach am Altersunterschied. Besorgt sah ich sie an. Ihr rundliches Gesicht wirkte gequält, ihre Augen um einiges dunkeler, als sonst. Immer wieder biss sie sich unbewusst auf ihre vollen Lippen. Nervosität, Stufe 1. Fuck.
"Die vierte Tasse war übrigens für Leo. Er lässt dich grüßen", sagte ich freundlich.
"Aha."
Ok, der Schuss ging nach hinten los.
"Ja, wir wollten was wegen dem Abi besprechen und da sind er und Sam-", weiter kam ich nicht.
Saja stand auf, stellte ihre Tasse ins Spülbecken. Sie bedankte sich für den Kaffee und wollte schon die Flucht ergreifen. Doch geistesgegenwärtig hielt ich sie am Arm fest und sah sie mit großen Augen an. Stumm formten meine Lippen ihren Namen.
"Ernsthaft? Nach all der Zeit?", fragte ich, wobei ich mich auf einen Vorfall vor einiger Zeit bezog, seit dem das Verhältnis zwischen Saja und Sam ziemlich kaputt ist.
"Immer", erwiderte Saja mit wässrigen Augen, "Ich kann vergeben. Ich kann so tun, als wäre nie was passiert. Aber ich kann nicht vergessen. Nicht, solang ich keine Antworten hab."
Sie entzog sich meinem Griff und ging in ihr Schlafzimmer, aus dem Sekunden später Musik zu hören war. Das alles war doch zum wahnsinnig werden!

Ich beschloss, ein wenig aufzuräumen, um mich abzulenken. Als ich gerade die Teebeutel vom Vorabend in den Müll befördern wollte, fiel mir ein zerrissener Umschlag auf, der ganz oben lag. Normalerweise achtete ich das Briefgeheimnis, doch nachdem Saja gestern mit einem Brief in der Hand in der Kälte auf ihrem Balkon stand und diesen beunruhigenden Gesichtsausdruck hatte, machte ich mir doch etwas Sorgen. Ich zog nur soviel Papierfetzen heraus, bis der Absender entzifferbar war. Ein Klos bildete sich in meinem Hals. Kein Wunder, dass sie schlechte Laune hatte. Der Brief war von ihrer ehemaligen besten Freundin, die ihr vor etwas über einem Jahr die Freundschaft gekündigt hatte. Nachdem beide fast ihr halbes Leben befreundet gewesen waren.
"Saja", murmelte ich, bevor ich die Schnipsel zurück in den Müll warf.
Würde ich sie alle herausholen und zusammenkleben, damit meine 'große Schwester' den Brief irgendwann doch noch lesen konnte, wenn sie es bereut hätte, ihn zerrissen zu haben, würde sie mich vermutlich eine Woche lang mit Schweigen strafen.

Plötzlich vibrierte mein Handy. Ich nahm es zur Hand und las die Nachricht.

Sie hasst mich, oder?

Oh Sam. Wenn ich dir das nur wüsste.

SoulsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt