...Das Wasser rauscht. Es schwabt hin und her. Der leichte Wind weht durch meine Haare. Alles ist sonst still. Nur diese leichten Geräusche erfüllen meine Ohren. Nur dieses eine Mal ist es ruhig und entspannt. Ich kann meine Gedanken schweifen lassen. Sie über fallen mich nicht. Sie herrschen nicht über meine Gefühle. Das Meer hat eine unglaubliche Wirkung. Ich wusste nie wie es wirklich aussieht, dass der Mond in ihm glitzern kann und das Meer in einen Zauberwald verwandelt, indem man versinkt. Es gibt nichts was einen so beruhigen könnte. Auch der Sand passt sich mir an. Er ist so weich und körnig. Ich lege mich mit meinem Rücken nach hinten. Ich sinke leicht in den Sand ein. Er ist etwas kühl. Aber das ist schön. Seltsam so ein Wort zu benutzen. Mein Blick wandert in die tausende Sterne weit über mir. Nur der eine Stern leuchtet genau in der Mitte auf. Es wirkt als würde nur er am Himmel stehen, aber im Hintergrund erkennt man noch den blassen Schimmer aller anderen. Und im Nachhinein weiß man nicht mehr, dass es der eine war, der am hellsten strahlt. Weil es sich anfühlt, als hätte er alle anderen angesteckt.
Jemand lässt sich neben mir nieder. Ich blicke nicht herüber. Ich spüre bloß wie sich der Sand etwas bewegt. Eine Decke legt sich über mich. Meine Gedanken können sich einfach nicht von dem Stern lösen, sie binden mich ein und ich lasse es zu. So wundervoll und beruhigend sind sie mit dem plätschernden Wasser im Hintergrund.
,,Kannst du Mal wieder nicht schlafen?" Mein Blick schwank schließlich doch zu ihm hinüber. Auch wenn ich es nur sehr ungern mache. Jedoch nur ganz flüchtig. Trotzdem merke ich in diesem kurzen Moment die Verletzlichkeit und Trauer in seinem Gesicht. Aber auch wie jedes mal, was mich immer wieder verwundert, hat er Frieden und Glück in sich.
,,Du somit auch nicht. Was ist denn bei dir vorgefallen?" Fließt es leise aus meinen Lippen hervor. Es fühlt sich an, als würden die Sterne erlöschen wenn ich zu laut werden würde.
,,Der hoffentlich tote Mann, der jeden Tag jemand neues mitbringt zum Foltern. Ich schaue immer wieder zu und kann nichts dagegen machen. Mich Foltert er...jeden den ich kenne und...dich...ich bin machtlos."
,,Und wie foltert er mich?" Irgendwie interessiert es mich. Hoffentlich fange ich nicht jetzt schon an es zu vermissen. Nur nach ein paar kurzen wunderbaren Sekunden. Ich dachte ich habe noch ein paar Wochen Zeit, aber ich weiß, dass es kommen wird.
,,Er reißt dir die Fingernägel heraus und sticht mit einem Messer immer wieder in deinen Bauch. Du schreist. Aber nie wirst du körperlich verletzt. Deine Seele spaltet und verändert sich..."
,,Dann hört es sich ja wenigstens fast wahrheitsgemäß an, es ist nur noch etwas untertriben. Aber Schmerzen hatte ich wirklich irgendwann nicht mehr. Es war sogar irgendwann schön."
,,Was hat dich denn hier herausgebracht?" Fragt mich nun Kyle interessiert.
,,Das Foltern macht mir nichts mehr aus. Ich finde es eher amüsant. Bevor du mich aus diesem Haus geholt hast, hat mein Vorgesetzter noch all meine Erinnerungen preisgegeben und zurück in meinem Kopf gesteckt. Hört sich ziemlich abgespaced an, aber ich weiß noch wir ich das auch einmal bei jemand anderem machen sollte. Bevor er mich adoptiert hat nahm er mir sie. Jede Nacht erlebe ich mein eigenes Leben einmal komplett durch. Und zwar alles, ist irgendwie etwas komisch. Anders als es sein sollte. Aber irgendwie real. "
,,Würdest du mir davon erzählen?"
,,Von meinem Leben?"
,,Ja." Stille kehrt ein. Er sagt nichts mehr. Ich auch nicht. Sollte ich es ihm erzählen? Ich richte mich wieder auf. Die Decke fällt mir auf meinen Schoß. Mein Blick fällt kurz aufs Meer und dann zu ihm. Dieses Mal betrachte ich ihn genauer. Seine Haare wirken schwarz und seine Augen strahlen auch hier in der Dunkelheit ihre tiefe blaue Farbe aus. Er hat mich schon aus dem Loch heraus geholt, eigentlich kann ich ihm vertrauen oder? Mir fällt auf, dass er nur in seiner Boxershorts neben mir sitzt. Irgendwas erscheint mir komisch. Ich erinnere mich an sein Humpeln. Ich habe ihn nie darauf angesprochen. Ich dachte einfach, dass es nichts besonderes sei. Aber jetzt sehe ich es.
,,Du weißt, dass wir das ausbrennen müssen und vielleicht auch raus schneiden. Es sieht grauenhaft aus." Er schaut mich komisch an. Ich deute auf sein Bein. Genau dort hin wo die Boxershorts etwas hoch gerutscht ist.
,,Das verheilt schon wieder."
,,Du bekommst eine Blutvergiftung, wenn wir das nicht bald erledigen. Ich würde ja sagen du gehst ins Krankenhaus, aber denen müsstest du dann glaubhaft erklären von wo du eine so dramatische Wunde hast."
,,Du willst also behaupten du kannst sowas."
,,Als können würde ich es nicht bezeichnen, aber es funktioniert. Ich musste ja auch irgendwie überleben. Hättest du denn eine andere Wahl. Komm mit. Es muss erledigt werden, ob du es willst oder nicht, sonst kann man bald dein ganzes Bein abnehmen. Und warum hast du eigentlich nichts gesagt." Ich laufe ins Haus. Achte überhaupt nicht darauf ob er mir folgt oder nicht. Mein Weg führt mich direkt in die Küche. Ich nehme mir ein paar Handtücher und ein kleines aber scharfes Messer. Aus dem Badezimmer, in welchem ein kleiner Arztkasten hängt, nehme ich noch einen Verband und eine Nadel mit einem Faden heraus. Seine Wunde am Bein ist zu einem tief rotlilanem Fleck geworden.
Kyle sitzt am Esstisch.
,,Die Wunde ist nicht so dramatisch wie du denkst, sie verheilt schon."
,,Soll ich dich irgendwo festbinden?" Er schaut mich mit aufgerissenen Augen an, als wäre es total sinnlos und unverständlich warum ich das machen wollen würde.
,,Ich versuche dir gerade zu vermitteln, dass ich das nicht brauche."
,,Schau dir mal deine Wunde an! Also du hast mir das Leben gerettet, jetzt sollte ich wenigstens verhindern, dass du dich selbst umbringst. Du solltest dich nicht bewegen und deine Reflexe werden sich wahrscheinlich dagegen wehren wollen." Erkläre ich ihm mit hochgezogenen Augenbrauen. Er ist so wie es aussieht schlau genug um zu verstehen, dass es notwendig ist. Aber ich sehe die Angst dennoch in seinen Augen glänzen. Aber als würde er dies zugeben. Jedoch wäre es bei mir nicht anders.
,,Es steht doch noch gar nicht fest, dass ich es mache. Und ich glaube ich weiß warum ich dir davon nichts erzählt habe. Wenn du mein Leben retten willst, dann nur, wenn du mir von deinem Leben erzählst. Ich meine von den schlimmen Sachen. Die, die er mit dir gemacht hat. Damit ich dich vollkommen retten kann." Er steht nun direkt vor mir und schaut in meine Augen hinunter. Eine Angespanntheit durchfährt mich. Und er bringt mich in eine Situation in der ich nicht stecken will. Also muss ich irgendeinen Weg raus finden.
,,Das willst du nicht hören. Sowas würde keiner hören wollen. Aber bei dir muss es heilen können, deine Wunde." Ich weiche seinem Blick aus. Schiebe ihn mit einer Hand in Richtung Tisch zurück. Mein Blick bleibt auf dem Boden.
,,Wer weiß ob ich es gerne hören will, aber du brauchst jemanden mit dem du darüber reden kannst. Und zwar genauso dringend wie ich diese Wunde loswerden muss. Und ein kleines Geheimnis verrate ich dir: Ich will es wissen." Mit einem Zwinkern bringt er diese Worte heraus. Ich sehe ihm an, dass er von dieser Idee nicht mehr los kommen wird. Aber ich kann ihm doch nie all das erzählen. Ich gehe wieder in die Küche. Ich erwärme das Messer. Ich lass es mit der Zeit glühen. Während ich mir dieses reine Metall anschaue, kommt mir langsam der Gedanke, dass ich vielleicht auch gereinigt werden müsste. Aber den verdränge ich genau so schnell wie er sich in mir einnisten will...
,,Leg dich auf den Tisch." Ich stehe vor Kyle mit Schnüren in der Hand. Er schluckt. Er ist bestimmt nicht davon ausgegangen, dass ich ihm zustimme. Aber so genau hab ich das auch nicht gemacht. Außerdem vielleicht sieht es etwas gewaltvoller aus, als es wirklich ist. Aber wie soll ich eine so aufquellende Wunde sonst reinigen. Es war vielleicht nur ein Scherz von ihm. Aber jetzt kann er keinen Rückzieher mehr machen. Egal wie nervös und Angst erfüllt er ist. Tatsächlich. Kyle legt sich auf den Tisch.
,,Also ein Ja. Du wirst es mir erzählen. " Drückt er mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem halben Lächeln aus. Ich sehe jetzt schon wie sich Schweißbällchen auf seiner Stirn bilden. Aber sein Ausdruck bleibt hart. Ich binde seine Beine und seinen Oberkörper am Tisch fest. Ich will ja nicht, dass seine Reflexe dazwischen funken. Ich muss ihm das keine bisschen verfaulte Stück Fleisch raus schneiden, die Wunde zu nähen und dann ausbrennen. Ich bereite mir alles vor, lege alles vor mich hin, nur das Messer zum Ausbrennen erwärmt sich noch weiter in der Küche, es sollte ja nicht abkühlen.
,,Ich fange jetzt an." Gebe ich Kyle bescheid. Er schaut mich nur mit einem ernsten Gesichtsausdruck an, das mit einem aufgesetzten Lächeln geschmückt ist und sagt:
,,Mach einfach." Wie auf seinen Befehl fange ich an. Ich setze das kalte spitze Messer an seinem Bein an. Er zuckt kurz zusammen. Lockert sich aber wieder. Ich steche ein. Ein lauter Schrei. Kyles Finger heften sich an den Tisch. Ich versuche nicht auf ihn zu achten. Mit einer Hand halte ich sein Bein weitgehend fest und schneide mit der anderen weiter. Seine Reflexe mischen sich ein und drücken immer mehr dagegen. Leider gibt es hier kein Betäubungsmittel, somit muss es einfach klassisch gemacht werden. Blut taucht fast alles vor mir ein. Immer mehr davon verrint. Kyle bricht beinahe mit seinen Fingern den Tisch auseinander. Sein Atem ist unregelmäßig. Das Fleisch ist grauenhaft. Immer wieder muss ich das Blut weg wischen. Nach 3 oder vielleicht 5 Minuten habe ich alles raus geschnitten. Ich nehme schnell die Nadel mit dem Faden zur Hand und versuche so gut wie möglich, alles zusammen zu nähen. Solange ich erkenne was Haut und was nur Blut ist. Ich drücke mit meiner ganzen Hand die Haut aneinander. Ich füge Kyle die schlimmsten Schmerzen zu, zumindest deutet sein Gesicht darauf hin, zu welchem ich ab und zu mal herüber blicke. Aber das stört mich kaum. Jedoch mehr als sonst.
Das heiße oder besser gesagt glühende Messer wird von meiner Hand gehalten. Ich lasse es auf die Wunde herab. Ich habe Kyle noch nie so laut schreien gehört. Zum Glück wohnen die Nachbarn nicht direkt neben uns. Ich nehme schnellstmöglich die Creme die Kyle mitgenommen hat, von meinem Vorgesetzten, heraus und streiche so viel wie nötig auf die Wunde. Warum hat er sie eigentlich nicht schon vorher benutzt? Nun ist sie zu mindestens leer. Bei seinen anderen Wunden muss sie drauf gewesen sein. Nachdem ich das Bein verbunden habe mit gefühlt drei Verbänden, gehe ich in die Küche um alles zu säubern. Die Nadel. Die Messer. Alles ist Blutgetränkt. Auch er.
Nachdem ich den Boden und alle Gegenstände gewaschen habe, schaue ich mir nochmal Kyle an. Natürlich hab ich das auch zwischendurch kurz gemacht. Er starrt an die Decke. Schweißtropfen bilden sich auf seiner Haut und offenbar geht es ihm nicht so gut. Bei der Menge Blut, die er verloren hat, ist das aber auch klar. Ich binde die Seile, die ihn festgehalten haben, ab. Nun braucht er sie nicht mehr. Sie haben an ihm bemerkbare Spuren hinterlassen, aber morgen sind sie sicherlich schon wieder weg. Ich bleibe für ein paar Sekunden neben ihm stehen und blicke in sein Gesicht. Wie stark er doch ist. Jeder normale Mensch wäre vor mir weg gerannt, aber er ist noch hier. Wie kann er bloß mit den Schmerzen umgehen und mich nicht hassen. Wie konnte er mich nur hier her bringen. Er hätte mich ins Gefängnis stecken können. Wieso hat er sich nicht dafür entschieden? Ich werde nur noch alles was von ihm übrig ist komplett zerstören... Sein Blick wendet sich auch zu mir, doch da bin ich schon längst wieder verschwunden. Ich hole ein nasses Tuch aus der Küche und wische damit seine Stirn ab und lege es nach dem Auswaschen erneut auf seiner Stirn ab. Ich gehe und dusche mich kurz ab. Er muss sich eh ausruhen und ob ich die 5 Minuten da bin oder nicht macht ja keinen Unterschied. Ich wasche das getrocknete Blut von mir ab, vor allem das was auf meinen Körper gespritzt ist.
Die Dusche wird mir irgendwann zu warm, also mache ich sie aus, trete heraus, trocken mich ab und ziehe zum Schlafen eine Hose und ein neues Top an. Ich schaue nochmal nach Kyle. Eigentlich sollte ich ihn ins Bett legen, doch ich bezweifel, dass ich ihn sauber dort hin bekomme. Aber dort liegen lassen kann ich ihn natürlich auch nicht. Es scheint als würde er schlafen, aber ich bin mir da nicht so sicher. Er zittert am kompletten Körper. Er müsste mindestens mithelfen. Auch wenn jede Bewegung ihm Schmerzen verleihen würde. Seine Mine ist verzogen. Als er seinen Kopf plötzlich zu mir dreht. Das Tuch auf seiner Stirn ist warm geworden. Ich nehme es weg und hole ihm ein neues. Als ich es ihm auf die Stirn lege zuckt sein Körper, wegen der Kälte, kurz zusammen und seine Augen öffnen sich erneut. Er schaut mich leidend an.
,,Du solltest rüber ins Bett." Mit einem kleinen Nicken und einem darauf folgenden Schlucken antwortet er mir.
Ich richte ihn auf und schon hier kneift er seine Augen zusammen. Meinen einen Arm lege ich ihm unter die Schulter. Als er sein Bein bewegt und auf dem Boden aufsetzt entfernt sich ein kleiner aber sicherer Schrei aus seinem Mund. Ich bin mir noch nicht so sicher, ob das so meine beste Idee war. Die nächsten Schritte machen wir langsam. Ziemlich langsam. Und wenn ich sein Bein nicht von dem Blut befreit hätte wäre sicherlich der ganze Boden schon längst voll. Wahrscheinlich sind sie für ihn sehr schmerzhaft, also die Schritte, aber trotzdem macht er weiter. Während ich ihn, am Bett angekommen, noch mit einer Hand stütze, werfe ich mit der anderen die Bettdecke auf die andere Bettseite. Als ich ihn abgelegt habe und in seine Augen schaue erblicke ich glänzende Augen, die sich mit Wasser gesammelt haben. Es ist immer noch dunkel draußen. Ich werde noch einen kurzen Blick auf sein Bein um zu schauen, ob die Wunde nicht wieder aufgeplatzt ist, durch den Druck beim Laufen. Sein Muskel wird eine Zeit brauchen um sich wieder zu regenerieren. Eine Narbe wird er jedenfalls behalten müssen. So wie mich ein paar für immer schmücken werden. Gerade als ich mich umdrehen wollte, ertönt seine Stimme. Sie ist kratzig und zittrig.
,,Willst du nicht hier bleiben?" Du musst mir noch deine Geschichte erzählen, schon vergessen?" Schlagartig bleibe ich stehen. Ich wollte es vergessen. Habe gehofft, dass es ihm nicht mehr einfällt.
,,Was ich sage muss ich dann schließlich auch halten. Aber du willst doch nicht ernsthaft alles über mein Leben erfahren?" Sage ich zu ihm mit einer hochgezogenen Augenbraue. Und einem künstlichen Lächeln.
,,Doch natürlich." Sagt er zu mir mit seiner nun leisen Stimme. Ich schaue ihn dann doch noch leicht verwundert an, vielleicht auch erstaunt. Ich wollte es ihm nie erzählen und ich werde ihm auch nicht alles erzählen. Da bin ich mir sicher. Manches darf er nicht wissen. Aber ziemlich interessant, dass er überhaupt etwas darüber wissen will. Aber was erzähle ich ihm bloß. Es wird wahrscheinlich genau das sein, was ich ihm nicht erzähle, was alles zerstören wird. Genau das was erklärt warum ich so bin wie ich bin. Ich setze mich ihm gegenüber aufs Bett, also besser gesagt neben ihm. Ich schaue an den Punkt gegenüber von mir. Dort hängt ein Bild, eins von einem Fluss. Er ist stark und mächtig und doch wird er von den Bäumen eingegrenzt, sie weichen nicht von der Seite. Mein Blick ist auf den breitesten Baum gerichtet. Er gibt mir Mut wieder zurück zu denken. Zumindestens denke ich das, obwohl es eher der Zwang ist welcher mich reden lässt. Als erstes an meine Nacht und dann wieder an den echten Moment in meinem Leben. Ich lasse mein Blick kurz zu Kyle rüber schweifen. Er schaut verwundert zu dem Punkt an den ich vorhin noch gestarrt habe.
,,Ich war zwei Jahre alt." Sein Blick schwenkt plötzlich zu mir herüber. Ich weiche ihm sofort aus, erzähle aber weiter. Habe es schließlich abgemacht.
,,Es ist meine erste Erinnerung. Meine Eltern kannte ich noch. Meine Mutter war wunderschön und mein Vater war unglaublich stark. Ich habe beide geliebt. Ich kann mich nur an zwei Momente mit ihnen erinnern. Also wieder erinnern. In den letzten 8 bis 10 Jahren hatte ich sie vergessen oder wahrscheinlich einfach verdrängt. Und keine Ahnung wie ER es geschafft hat... Das hier ist der erste Moment. Meine Mutter sang mir ein Lied. Mein Vater hat mich in den Armen gehalten und mich in die Luft geschmissen. Wir waren wahrscheinlich Glücklich. Bin mir gar nicht sicher ob ich es so nennen kann. Aber es ist das selbe Gefühl, wie wenn ich jemanden ein Messer über die Brust ziehe und dann mit meinen Fingern dort hinein greife und ihn schreien höre.
Doch der andere Moment war der letzte Tag, als ich sie gesehen habe. Er war ganz anders. Ich glaube ich war vielleicht 4. Ich habe geschlafen. Dann hörte ich einen Schrei. Ich musste selber schreien. Bin aber trotzdem zu meiner Mutter hin gerannt. Denn sie hatte geschrieben. Mein Vater kam auch. Meine Mutter war an einem Stuhl gefesselt. Drei Männer standen um sie herum. Ihr Gesicht hat geblutet. Ich weiß nicht wie lange das schon ging. Ich hatte ja geschlafen. Aber als mein Vater all das erblickte ging er auf die Männer zu. Wahrscheinlich wollte er sie befreien. Aber er saß dann neben ihr auf dem Stuhl. Und dann plötzlich kam ich ins Spiel. Meine Eltern haben nicht daran gedacht mich zu beschützen. Sie waren nur gegenseitig wichtig für einander. Meine Eltern starben an dem Abend. Deine Mutter hat beiden jeweils einen Spieß in jedes Auge gesteckt und dann den Hals durchgeschnitten. Mich hat sie einfach nur mitgenommen. Eigentlich ist es ganz normal. Also das was deine Mutter gemacht hat. Ich mache so was ja auch. Eigentlich sind meine Eltern auch nur irgendwelche Menschen, die ich vielleicht 3 Jahre lang kannte. Also nichts so besonderes, ich bin nur dank ihnen auf der Welt." Kyle dreht mich zu ihm um und schaut mich entsetzt an. Ich höre auf zu reden. Bin still und beobachte ihn einfach nur verwirrt. Er bekommt aber kein Wort heraus. Irgendwann kann er sich dann aber doch wieder fassen, bevor ich weiter reden will. Und dann fasst er doch vor mir das Wort.
,,Es ist immer schlimm, wenn man anderen Weh tut. Egal welche Beziehung man zu ihnen hatte. Deine Eltern sollten dir nicht egal sein. Aber natürlich auch keine anderen Menschen." Versucht er mir ganz ruhig zu erklären, er sagt es nur ausgeschlossen selbstbewusst, was mich verwundert.
,,Aber warum? Vor allem wieso sagst du so etwas? Meine Eltern könnten ja noch gut sein, aber deine Mum ist doch auch ein Monster." Ich verstehe nicht was es bedeuten soll. Es sind doch alles nur Gefühle und ob Glück oder Trauer oder Schmerz. Es sind Hormone oder Nerven die durch den Körper huschen. Also warum sollte es wichtiger sein die einen Hormone im Überfluss zu haben, als andere? Und warum soll Schmerz denn schlecht sein? Ist es nicht wunderschön und hilft bei so vielen Sachen. Zum Beispiel wenn man verletzt ist und schmerzen hat, zeigt der Körper damit dass etwas kaputt ist und so zerstört man es nicht noch mehr. Es ist so hilfreich und das macht es irgendwo so schön.
,,Was bezeichnest du denn als Gut oder Böse?"
,,Ich weiß nicht, ob es so etwas überhaupt gibt."
,,Was ist denn der Grund dafür warum du so oft versucht hast bei IHM auszubrechen? Du wolltest weg von dort, weil es dir nicht gefallen hat und weil es dir schlecht ging. Oder? Du wolltest keine negativen Gefühle mehr spüren. Und jetzt frage ich dich warum du sie nicht mehr spüren wolltest, wenn es doch nur Hormone sind und sie Gut sein sollten?" Wie könnte ich darauf antworten? Warum treiben mich negative Gefühle von Sachen weg und halten mich nicht dort? Ich kann ihm nichts antworten. Genau das hat er auch erkannt.
,,Deine negativen Gefühle sind ein Schutzfaktor deines eigenen Körpers, sie versuchen dir zu zeigen, dass wenn du so weiter machst Schäden erleiden wirst...Und wenn du anderen Schmerzen zufügst oder ihnen einfach nur weh tust, stoßt du sie von dir weg und sie dich. Wenn du Menschen wegstoßen willst, dann ist es eine Möglichkeit, aber wenn du jemanden behalten willst und deine Eltern würdest du doch gerne behalten, dann stoße sie nicht weg." Er hat mir grade erzählt warum meine Gefühle keine Einwirkung auf mich haben. Sie können mich vor nichts mehr schützen. Ich habe schon alles erlebt was es geben könnte, mich kann man vor nichts mehr schützen. Die Gefühle verändern mich nicht mehr. Sie haben keinen Sinn mehr. Ich habe es nicht geschafft meinen Gefühlen zu folgen und auf sie zu hören.
,, Aber ich bezweifle, dass ich meine Eltern bei mir haben will. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass es gut war, was er mit mir angestellt hat und es mir hilft. Vielleicht hat er das alles ja nur getan, weil er mich liebt und will, dass ich stärker werde. Und meine Eltern wollten mich ja noch nicht mal beschützen." Ich betrachte weiter das Bild und finde immer mehr kleine aber interessante Details. In meinem Kopf vergeht eine Ewigkeit, aber bestimmt ist erst eine Sekunde vergangen, als ich meinen Kopf auf Kyles Bein senke. Die Wunde sieht ziemlich schmerzhaft aus und es ist echt erstaunlich, dass Kyle so gut damit umgeht. Ganz cool. Zu mindestens hat er aufgehört zu zittern. Er dreht meinen Kopf in seine Richtung und schaut mich ernst an.
,,Nein. Auf gar keinen Fall hat er etwas aus Liebe getan! Er wollte dich nur leiden lassen und es hat ihn erfreut. Er hat alles nur aus egoistischen Gründen getan. Bitte glaub mir das...Nichts an dem was er getan hat ist gut und sollte so sein. Vielleicht ist es möglich, dass daraus etwas Gutes entsteht, aber es sollte nie so laufen wie er es getan hat. Du bist doch froh darüber nicht mehr dort zu sein, sondern hier, oder? Und vielleicht hatten deine Eltern alles mögliche getan um dich zu beschützen." Er schaut mir direkt in die Augen. Sie leuchten und zwar nicht einfach so sondern ziemlich krass und im einem satten Ton. Es fühlt sich an als könnte er mir in die Seele schauen. Ich versuche meinen Kopf und meinen Blick zu senken, aber er hält ihn mit seinen zwei Fingern fest.
,,Ich bin natürlich froh hier zu sein, aber auf einer bestimmten Art und Weise wäre ich gerne dort. Schmerzen zu bekommen. Weiter zu kämpfen und einfach zu wissen, dass es nicht zu Ende ist. Dass man stark genug ist nicht zerstört zu werden und jeden Tag neu aufwacht. Hier ist es egal, ob ich aufwache oder nicht. Es sind meine Gedanken, die mich quälen und dort haben die körperlichen Schmerzen es verhindern können."
,,Höre mir mal genau zu. Deine Gedanken werden dich vielleicht jetzt noch etwas weiter quälen, aber so hast du die Möglichkeiten gegen sie zu kämpfen und musst es nicht einfach hinnehmen. Und ja es ist einfacher gegen körperliche Sachen zu kämpfen, als gegen seelische. Aber ich weiß du wirst auch diesen Kampf gewinnen." Wie sollte ich denn bloß gegen meine Gedanken ankämpfen. So was ist doch unmöglich.,,Ich glaube du solltest schlafen. Falls etwas ist, bin ich neben dir." Ich rutsche unbewusst immer tiefer in das Bett hinein. Gehe stückweise das Gespräch noch einmal durch. Ziehe die Decke hoch zu meinem Hals und versuche das Schließen meiner Augen zu verhindern und blicke teilweise Kyle in die Augen, welcher seinen Blick nicht von mir nimmt, obwohl ich so viel Unheil in mir hab und schlimmere Sachen getan habe, als man sich denken könnte. Warum macht es ihm aber trotzdem nichts aus hier bei mir zu sein. Ich drehe mich in die andere Richtung. Sein Blick und seine Ausstrahlung ist irgendwie zu viel für mich. Wie könnte es auch möglich sein, dass jemand ernsthaft für mich da ist. Aber langsam wird doch wieder alles schwarz um mich herum. Ich glaube ich will wieder fühlen...auch wenn ich es nie können werde. Ich werde nie wieder ein Mensch sein. Aber warum will ich das? Ohne Gefühle ist das Leben einfacher.
,,Ich werde dir beibringen wieder zu fühlen." Höre ich eine ganz leise Stimme im Hintergrund oder auch meine Gedanken?...
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My cold inside
PertualanganHattest du Momente in deinem Leben in welchen du dir gewünscht hättest es würde anderst laufen? Mein Ganzes Leben verlief so...vielleicht könnte man auch sagen, dass es sich im letzten Jahr geändert hat. Ich würde dir gerne zeigen, dass es immer ein...