Mit lauter Musik in den Ohren lag ich im Bett. Das war die Art von Lärm, die ich wirklich willkommen hieß.
Laute Schlagzeuge, fetzige Gitarren, coole, schnelle Beats.
Viel klangvoller als meine heulenden, meckernden und autoritär umher redenden Geschwister.Ich stand am nächsten Morgen früh auf. Noch vor Mom und meinem Stiefvater. Seinen französischen Akzent konnte ich an diesem Tag einfach nicht ertragen.
Ich rief eine Schulfreundin an und fragte, ob sie mich abholen konnte."Warum läufst du denn nicht nachher mit Claire? Ist sie wieder so schlimm, wie am Anfang?", fragte Juna, als sie mich vor meinem Haus einsammelte.
"Äh, stell dir vor, ein Modekrieg wäre ausgebrochen und Claires Seite ist dabei zu verlieren. So verhält sie sich gerade und ich bin diejenige, an der sie es auslässt. Mich kann sie ja am Besten bevormunden, bin ja blind", sagte ich und lehnte mich im Autositz zurück.
"Ach, so schlimm kann es doch nicht sein oder?"
"Sie steht kurz vor ihrer Prüfung, hat einen richtig guten Deal mit einem anderen Modedesigner am Laufen und hat riesige Angst es zu verkacken, obwohl sie es nicht wird, weil sie einfach alles kann. Außerdem gibt es da diesen Typen, den sie gerade kennengelernt hat. Sie steht auf ihn -obwohl er die seltsamste Stimme hat, die ich je gehört habe- traut sich aber nicht den nächsten Schritt zu gehen", sagte ich aufgebracht und Juna lachte eingeschüchtert."Oh, das klingt doch schlimmer, als ich es mir je hätte vorstellen können. Na, wenigstens hast du bis jetzt überlebt", spaßte sie.
"Fragt sich, wie lange ich es noch aushalte. Ich weiß jetzt schon, dass wenn ich heute nach Hause komme, sie mich erstmal irgendwo anketten wird, damit ich nie mehr irgendwohin verschwinden kann."
"Ach, ich bin doch da, dir passiert schon nichts, da kann sie von ausgehen."
"Eigentlich komme ich auch gut alleine klar", grummelte ich.Die Unterhaltung war beendet und an der Bibliothek blieb Juna stehen.
"Ich warte hier auf dich okay? Ich kann den Geruch da drin einfach nicht ab", sagte sie und ich hörte, wie sie ihren Schminkspiegel herausnahm.
Das Ploppen ihres Lippenstiftdeckels vernahm ich ebenfalls.
"Ich laufe nach Hause. Du kannst fahren", sagte ich und wollte die Tür schließen, hörte aber noch die letzten Worte meiner Freundin.
"Nichts da, du verrücktes Mädchen."Resigniert betrat ich die Bibliothek. Na, wenigstens ließ sie mich alleine dieses Gebäude betreten. Also was wollte ich mehr?
Die Frage war wohl eher, was von dem ganzen Tam Tam wollte ich weniger? Manchmal konnte es ganz von Vorteil sein. Wenn man überall hin kutschiert wurde, zum Beispiel. Aber es war für mich mehr anstrengend und belastend immer an irgendjemandem hängen zu müssen, als das es für mich von nutzen war.Ich lief langsam die Gänge entlang. Die Bibliothek war noch so gut wie leer. Ich roch viele Senioren. Mrs. Yang, die neunundachtzigjährige Bibliothekarin schob den alten, quietschenden Bücherwagen aus Holz und Metall herum, der mindestens so alt war wie sie, und verstaute zurückgegebene Bücher.
Ansonsten war alles still.
Und die Kälte hier drin ließ mich den Sommer dort draußen vergessen.Ich musste wieder an das Buch, Der Schneeflockensammler denken. Ob es hier auch eine Ausgabe in Blindenschrift gab? Aber ein Kinderbuch war erst einmal wichtiger.
Ich durchsuchte wieder die Teile des Regals, fand ein paar schöne Bücher, die sicherlich auch Stella gefielen. Und dann entdeckte ich Der Schneeflockensammler. Mein Herz machte einen erfreuten Satz, als ich das Buch herauszog. Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass es diese Lektüre auch für mich übersetzt gab.
Voller Stolz und Freude, presste ich das Buch an meine Brust und wusste gar nicht so wirklich, warum es mich so glücklich stimmte."Jetzt umarmst du auch schon diese seltsamen Blindenbücher? Hast du einen Fetisch?", fragte eine bekannte Stimme. Leicht rauchig und frech. Genervt. Und ziemlich spöttisch.
Sofort rappelte ich mich auf und sah in die Richtung, in der ich Yoongi vermutete. Heute war er nicht bloß ein Schatten. Er trug etwas helles, erkannte ich schwummrig. Vielleicht war es weiß, es konnte aber auch helles grau sein.
"Namjoon? Gibt es einen Bücherfetisch?", fragte Yoongi laut und störte somit die Stille in der gesamten Bibliothek.
Am liebsten hätte ich mir dabei die Ohren zugehalten."Was, wie kommst du darauf? Oh, hey, Mika", sagte Namjoon freundlich und ich klemmte das Buch unter meinen Arm.
"Sie hat das Buch beinahe eingeatmet", sagte Yoongi spöttisch und zischte seine Worte wieder. Wie eine Schlange.
"Immerhin bin ich nicht so faul wie du und erleichtere mir das Leben mit Hörbüchern. Ein wenig Mühe gehört zum Lesen schon dazu. Idiot", flüsterte ich letzteres und zog noch ein Buch heraus.
Ich hatte es vorher schon leicht herausgezogen, damit ich es wieder fand.Ich wollte an den beiden vorbei, doch ich wurde grob an der Schulter gepackt.
"Hey, lass sie los, Alter", forderte Namjoon.
Ich trat einen Schritt zurück und machte den Rücken gerade.
"Willst du dich prügeln? Kannst du gerne haben", sagte ich herausfordernd zu Yoongi, welcher nur lachte.
"Du kannst nicht blind sein. Ich sehe doch, wie klar deine Augen sind.", sagte er. Ich spürte, dass er mir sehr nah war. Er nahm mir sehr viel Licht weg, so dass seine helle Haut immer dunkler wurde.
"Na gut, dann bin ich eben nicht blind. Zufrieden? Es sieht jeder anders. Also ihr zumindest, ich eher weniger", scherzte ich, doch dieser Witz kam wohl nicht so gut an, denn keiner lachte mit mir. Ich räusperte mich."Wie viele Finger zeige ich?", fragte Namjoon und ich konnte schemenhaft erkennen, dass er nur eine Hand hob.
Ich zögerte, kniff die Augen zusammen. Ein Finger war zu einer Wahrscheinlichkeit von zwanzig Prozent möglich. Meistens wurden zwei Finger gezeigt, meinen persönlichen Erfahrungen zu folge. Aber ich glaubte, dass Namjoon nicht der Typ war, nur einen oder zwei Finger hochzuhalten. Dazu schien er mir zu entschlossen.
"Drei", sagte ich überzeugt. Es blieb kurz still, yes.
"Ich habe vier Finger gezeigt", sagte er belustigt. Ich biss mir auf die Unterlippe.
"Und ich war so überzeugt davon, dass es drei sind. Aber ganz ehrlich, einen oder zwei hättest du nie im Leben gezeigt oder?", fragte ich, da ich wenigstens damit richtig liegen wollte.
"Was? Ehm, mag schon sein, ja."
"Gut, das war das einzige, was ich wissen wollte", gab ich fröhlich von mir und versuchte ein weiteres mal an ihnen vorbeizulaufen, aber wieder hielt mich jemand an der Schulter zurück.
Es war wieder Yoongis Hand, das spürte ich ganz deutlich."Was denn noch?", fragte ich grummelnd und verschränkte die Arme vor den Büchern, die ich trug.
"Irgendwie kommt mir das immer noch seltsam vor. Immerhin gehst du alleine in eine riesige Bibliothek und du läufst hier herum, als kennst du das ganze Ding auswendig. Wie machst du das?"
Dieses Mal klang Yoongi ehrlich verblüfft."Nur weil ich nahezu nichts mehr sehen kann, heißt das nicht, dass ich überhaupt nichts mehr alleine schaffe."
Vielleicht hatte ich mich doch anfangs getäuscht. Sie schienen doch nicht zu verstehen, dass ich trotz meiner Blindheit nicht groß eingeschränkt war.
Ich drängte mich nun endgültig an ihnen vorbei und tastete mich an den Bücherregalen ab."Hey, Yoongi meinte das nicht so. Es ist nur, dass das schon echt cool ist. Als hättest du einen Sensor ... oder ein Super-Gehirn", rief Namjoons Stimme hinter mir her.
Ich blieb stehen. Drehte mich um.
"Als hättest du Superkräfte, die dich trotz deiner Blindheit weiterbringen. Vielleicht auch weiter als alle anderen."Namjoon schien ein ziemlich schlauer zu sein. Das gefiel mir.
"Wie wäre es, wenn wir uns übermorgen wieder hier treffen. Um halb fünf, passt euch das?", fragte ich einfach und war schon wieder dabei mich umzudrehen.
"Ja, wieso nicht? Wir kommen", sagte Namjoon und ich reckte den Daumen in die Luft.Vielleicht hatte ich ja noch mehr Superkräfte, die ich den Jungs zeigen konnte. Mir machte es auf jeden Fall Spaß zu zeigen, dass ich auch was drauf hatte und keine gewöhnliche Eingeschränkte war.
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Bookshelf Conversations || kim namjoon / min yoongi
FanfictionÜber ein Mädchen das etwas anders mit den Dingen des Lebens klarzukommen versucht als andere. Drei verschiedene Persönlichkeiten treffen in einer Stadtbibliothek aufeinander. Ein schnell reizbarer Provokateur, ein poetischer Bücherwurm und eine unte...