Ich packte nach Claires Arm und zog sie wieder auf die Beine.
"Hör auf, dich so zu benehmen. Schalt mal bitte für einen kurzen Moment dein Ich-Denken aus und denk über andere nach."
Ich ließ von Claire ab und tastete nach meinen brennenden Schultern. Als ich die frischen, kleinen Wunden berührte, ging ein leichtes Brennen durch meinen Körper."Ich denke immer nur an euch."
"Wenn du das tun würdest, würdest du Xena nicht dauernd anbrüllen und sie auffordern wieder normal zu sein. Hättest du ein richtiges Herz, könntest du dir vorstellen, was sie gerade durchmacht."Im nächsten Augenblick brannte meine Wange. Claire hatte mir einfach eine gescheuert.
Lustig, nicht wahr? Wenn man sich nicht darauf vorbereiten, geschweige denn sich wehren konnte."Wenn du so weiter machst, schmeiße ich dich eigenhändig raus!", sagte nun Yoongi. Er versuchte gelassen zu klingen, doch ich hörte raus, wie er die Zähne zusammengebissen hatte.
"Kläre das wie ein vernünftiger Mensch, du bist doch keine Schlägerin oder?"Claire grummelte. Ich spürte einen Lufthauch und ein leises Klatschen. Hatte sie Yoongi gerade auch eine verpasst?
Zu allem Überfluss hörte ich auch noch Schritte näher kommen. Sicherlich war das die Bibliothekarin, die uns vor die Tür setzen und uns lebenslängliches Hausverbot erteilen würde.
Aber statt eine wütende, alte Frau zu hören, spürte ich, wie sich ein warmer Arm um mich legte."Was ist hier los?", fragte Namjoon leise und ich spürte seine Finger an meiner Schulter. Ich streifte sie sanft ab.
"Warum hält Yoongi deine Schwester am Boden fest? Hat sie dir das da zugefügt?", seine Stimme klang immer noch ruhig und tief.
Das war wie Balsam für meine Seele und meine Atmung beruhigte sich beinahe sofort.Ich zuckte mit den Schultern. Am liebsten wäre ich wo anders hingegangen, aber dann wäre ich ein weiteres Mal geflüchtet, so wie ich es den ganzen Tag schon tat.
"Claire. Lass uns normal miteinander reden", sagte ich ernst. "Lasst ihr uns kurz alleine, Jungs?", fragte ich und Namjoon strich mir kurz über den Rücken.Warum brachten mich meine bescheuerten Situationen ihm nur umso näher?
"Mika, es tut mir so leid", heulte Claire und ich spürte ihre kalten Finger an meinen Wangen.
Ich befreite mich sofort aus ihren Klauen.
"Warum machst du das?"
"Wie meinst du das? Ich ... ich will doch nur, dass alles wieder ist, wie es vorher war!"
"Wenn du weiter so unsensibel bist, wird nichts mehr so sein wie vorher."
"Und was ist mit dir? Du bist ständig weg und alle machen sich sorgen.""Ich weiß", gab ich zu.
Lange Zeit sprachen wir kein Wort. Es waren nur das unregelmäßige Atmen von Claire und die quietschenden Schuhe der Jungs auf dem glatten Boden zu hören. Sonst war es beunruhigend leise.
Ein betäubender Kontrast zu dem Geschreie, das noch vor ein paar Minuten geherrscht hatte."Lass Xena Zeit, wenn du willst, dass sie redet. Und Mom ist sehr speziell, was manche Dinge angeht, das weißt du. Lass sie, sie kriegt sich von alleine wieder ein", begann ich.
Claire lies ein Seufzen hören.
"Stella und Hugo sind die beiden, die am schlimmsten darunter zu leiden haben. Stella ist klug und weiß immer ziemlich genau, worum es geht, doch ich habe das Gefühl, ihr geht es doch sehr nahe. Und Hugo ... der kleine hängt nur noch bei uns rum. Wo ist Mom, wo ist sein Dad? Wissen die beiden überhaupt noch, dass sie auch noch die beiden haben?"Meine Schwester blieb still.
"Und was sollen wir machen, wenn du wieder zur Uni gehst?"
"Das heißt ... du gibst jetzt Mom und Louis die Schuld für das ganze?"
"Nein! Nein, nur wo sind die beiden denn bitte die ganze Zeit? Der Kerl ist den ganzen Tag nur am Arbeiten und wenn Mom nicht bei der Arbeit ist, ist sie oft bei Freunden oder der Nachbarin. Such nicht nur bei uns die Schuld für dieses ganze Durcheinander, sie hängen genauso mit drin.""Jetzt mal ganz ehrlich, warum redet ihr die ganze Zeit von Schuld?", mischte sich plötzlich Namjoon ein und ich musste leicht Schmunzeln.
Er klang so verwundert und ich musste mir einfach ein Stirnrunzeln vorstellen.Ich atmete tief ein und hielt dann inne. Ja genau, warum redeten wie eigentlich von Schuld? Hier gab es doch nicht einmal einen Schuldigen.
Xena war traurig, weil ihre erste Liebe verstorben war, Claire wusste nicht, wie sie mit ihrem Trauerzustand umgehen sollte und ich konnte das ganze nicht aushalten.Die beiden Erwachsenen und die kleinsten ließ ich raus, denn irgendwie hing es doch schon größtenteils mit uns dreien zusammen. Aber gleichzeitig hatte auch keiner richtig Schuld an diesem Zustand. Es geht die ganze Zeit nur um Gefühle.
Und um Verständnis und Toleranz."Namjoon, du bist ein Genie."
"Also eigentlich Yoongi. Er hatte mich erst dazu gebracht auch mitzuhören, als er wütend über eure Gedankengänge gemurmelt hat."
Ich spürte Claires Hand und wie sie an meinem Arm rüttelte.
"Und was bedeutet das jetzt?""Ich möchte einmal richtig mit Xena reden, während dessen redest du mit Mom. Reib ihr nicht gleich unter die Nase, dass sie sich zu wenig mit den Kindern beschäftigt, aber spreche es bitte an. Wenn wir schon dabei sind die eine Sache zu klären, können wir die andere gleich mit in Angriff nehmen", schlug ich vor und rappelte mich ein weiteres mal auf.
"Namjoon, ich rufe dich an!", sagte ich noch schnell und tastete mir dann meinen Weg die Bibliothek entlang.
Bevor ich den Ausgang erreichen konnte, wurde ich sanft festgehalten und jemand stellte sich vor mich.
Eine warme, weiche Hand strich über meine Wange und verweilte kurz dort.
"Bitte kümmere dich aber nicht nur um die anderen, sondern auch um dich", sagte Namjoon und ich nickte.Ein wohliger Schauer lief durch meinen Körper und er ließ wieder von mir ab. In anderen Momenten hätte ich mich gefragt, was das gewesen war. Aber in diesem hatte ich es hingenommen und dankte ihm.
Dafür, dass er an mich dachte.
Als ich mit Claire Zuhause ankam war es ziemlich ruhig. Meine Schwester flüsterte mir erstaunt zu, dass Mom mit Hugo im Arm auf dem Sofa schlief.
War das die wohl bekannte Ruhe vor dem Sturm? Vor einem weiteren Sturm?"Hey Xena", sagte ich ruhig, als ich zu ihr ins Zimmer trat.
Ich wurde gleich umklammert. Stella?
"Xena und ich haben gerade ein Bild gemalt. Und sie hat beinahe den halben Kühlschrank leer gegessen, das war echt lustig."Bis auf das Überlebensnotwendigste hatte Xena doch das Essen vermieden. Was war hier los?
"Stella hat mir wohl den Appetit zurück gebracht", sagte Xena und ich hörte sogar ein schwaches Lächeln in ihrer Stimme.Ich umklammerte das Mädchen, welches sich an mich geschmissen hatte und winkte Xena zu mir rüber, dachte gar nicht darüber nach, in welcher Richtung sie saß.
Als sie zu uns stieß, schloss ich sie mit in meine Arme und atmete erleichtert ein und wieder aus.Stella war mir eine. Wie sie das alles einfach ohne Probleme und ohne es richtig mitzubekommen wieder richtete.
Für ein solch kleines Mädchen, war sie eine ganz schön große Persönlichkeit.Ich war furchtbar stolz auf sie.
Aber auch auf Xena, die wohl langsam aus ihrem tiefen, schwarzen Loch klettern konnte.
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Bookshelf Conversations || kim namjoon / min yoongi
FanfictionÜber ein Mädchen das etwas anders mit den Dingen des Lebens klarzukommen versucht als andere. Drei verschiedene Persönlichkeiten treffen in einer Stadtbibliothek aufeinander. Ein schnell reizbarer Provokateur, ein poetischer Bücherwurm und eine unte...