"Wow, ich hätte nicht erwartet, dass du mich so schnell anrufst."
Ich hatte mein Tastenhandy aus der Schublade gekramt. Mom hatte es mir besorgt, nachdem ich nicht mehr sonderlich gut sehen konnte.
Ich hatte es anfangs bei mir getragen, für den Notfall. Da ich es aber nie brauchte, hatte ich es schnell in die Schublade verbannt.Nun hatte ich es an das Ladegerät gesteckt und legte mich quer über das Bett, während ich Namjoons Stimme lauschte.
"Es ist keiner mehr wach gewesen außer Claire. Und dadurch, dass alle schlafen, konnte sie mich auch nicht zusammenstauchen.
Mir ist langweilig", jammerte ich und dachte daran, was ich noch mit den anderen hätte machen können.Taehyung war so verpeilt, dass es schon wieder total süß war.
Hoseoks Lächeln war beinahe durchgehend zu hören. Ich musste ihn nicht sehen können, um sein Lächeln zu sehen.
Jungkook war zurückhaltend und schüchtern. Viel hatte er nicht gesagt, während ich dort gewesen war.
Jimin war frech, aber es war erfrischend.
Und Jin, er sorgte gut für die Jungs, war autoritär aber liebevoll.Yoongi, der Teilzeit Miesepeter, war manchmal ein wenig vorlaut, und dann wieder so schweigsam. Aber das machte ihn zu Yoongi.
Und Namjoon, er war klug, schien für jeden einen Rat zu haben und interessierte sich für andere.
Insbesondere für mich, obwohl er mich nicht einmal richtig kannte.
Und ich kannte ihn ebenso wenig."Du rufst also aus Langeweile meine Nummer an?", klang seine tiefe, melodische Stimme durch den Hörer und ich sank tiefer in mein Kissen.
"Vielleicht. Du hast mir angeboten, dass wenn ich jemanden zum Reden brauche, ich dich jederzeit anrufen kann.""Eigentlich hatte ich das etwas anders gemeint."
Ja, ich wusste, was er gemeint hatte, aber etwas erzählen konnte ich trotzdem nicht.
Das war nichts, das er regeln konnte."Aber gut, wenn du Langeweile hast ... Schlag was vor." Er klang etwas unsicher.
Wusste er etwa nicht mit Langeweile umzugehen? War er einer dieser Menschen, die dieses Wort nie gebrauchten, die nie Langeweile verspürten?"Erzähl mir eine Geschichte", forderte ich und drehte mich auf den Bauch.
Ich schloss die Augen und hörte, wie Namjoon leise ein und aus atmete.
"Eine Geschichte? Welcher Art?"
"Denk dir was aus. Dir fällt schon was ein."Kurze Zeit war es still. Und als ich das nächste mal Namjoons Stimme vernahm, schrak ich auf, da ich gerade dabei war einzudämmern.
"Bereit, Mika?"
"Mhm!"Die Geschichte, die Namjoon mir erzählte kam mir seltsam bekannt vor.
Sogar sehr. Die hatte aber nicht er sich ausgedacht.
"Hey, das ist geklaut. Du hast bloß die Namen umgeändert, Namjoon!", sagte ich lachend und drehte mich auf die Seite.Namjoon hatte abrupt aufgehört zu erzählen und nun fing er an sich zu rechtfertigen.
Ich schmunzelte und provozierte ihn weiter, bis ich in ein langes Gähnen verfiel und mich streckte.Ich betätigte den Knopf meiner Armbanduhr. Sie sagte, es sei bereits halb drei morgens.
"Oh nein, jetzt habe ich dich so lange wachgehalten. Es tut mir leid", sagte ich aufgebracht und setzte mich auf."Kein Problem, habe an diesem Tag nichts zu tun und kann ausschlafen", sagte Namjoon beruhigend und ich stellte mir vor, wie er die Hände hob und diese Geste machte, wenn man jemanden dazu bringen wollte, etwas runterzufahren.
"Warum kann ich mir nicht vorstellen, dass du das tun würdest?", fragte ich skeptisch."Hey, ich kann auch relaxen."
"Hah, relaxen, Claire würde jetzt sagen, dass dieses Wort sowas von aus der Mode ist."
"Versuchst du mich jetzt so zu provozieren, wie du es mit Yoongi tust? Sorry, aber das zieht bei mir nicht", sagte Namjoon.
Irgendwie war diese Unterhaltung die seltsamste, die ich mit ihm je geführt hatte. Dabei hatten wir noch nicht allzu viele Gelegenheiten gehabt, miteinander zu sprechen."Lass uns lieber wieder reden wie ... gebildete Menschen. Jugendsprache steht dir nicht, Namjoon."
"Meinst du etwa, zu dir passt diese Art zu reden gut?", fragte er herausfordernd und ich kicherte leise.
"Das hört sich schon etwas mehr nach einem Satz von dir an", antwortete ich und kuschelte mich wieder in mein Kissen."Ich wünschte, ich könnte dich sehen", murmelte ich. "Euch alle", fügte ich noch hinzu, damit es nicht allzu seltsam klang.
Namjoon schien hellhörig zu werden. Ich hörte etwas zu Boden fallen und dann seine besorgte Stimme.
"Wie meinst du das? Du siehst doch alles von uns. Unsere Stimmen, unsere Meinungen, unsere Gefühle. Ich glaube sogar, du siehst sie besser als jeder andere. Das ist wie eine Begabung", beeilte er sich zu sagen.Ich legte auf.
Drehte mich um.
Und schloss die Augen, nicht auf meinen Klingelton oder die heißen Tränen achtend, die meine Wangen hinunterliefen.Auch wenn ich das alles sah, auch wenn es für ihn wie eine Begabung schien ... für mich war es nicht genug.
Manchmal auch eher wie eine kleine Zelle, in der ich steckte.Ich wollte wieder sehen. Nicht dieses Scheinsehen von Gefühlen und des Inneren eines Menschen. Das konnte man alles nur erahnen und erraten.
Ich mochte ganz gut darin sein, aber mir fehlte der Sinn zu sehen.Nein, mir fehlte, die Reize um mich herum mit dem Auge wahrzunehmen.
Könnte ich es, würde ich die Gefühle meiner Geschwister besser nachempfinden können. Ich würde bereis sehen, dass etwas nicht stimmte, ehe ich es hörte oder erriet.
Ich könnte viel schneller und effizienter für andere da sein.Der Morgen war die reinste Qual. Xena schrie, Claire schrie zurück, Mom schrie dazwischen.
Hugo und Stella hatten sich in meinem Zimmer verkrochen.
Der kleine Hosenscheißer verteilte wahrscheinlich gerade überall eine riesige Ladung Spucke, indem er mein Zeug anfasste und meine Schwester malte auf dem Boden - ich hörte das kratzige Schaben, wenn sie mit dem Stift hin und her streifte - und sang nebenbei, um den Lärm irgendwie zu verdrängen."Hugo, das ist kein Spielzeug, nimm das aus dem Mund!", schimpfte Stella. Es hörte sich eher danach an, wenn man jemanden tröstete, der Hingefallen war.
"Hugo, du kleiner Rabauke, setz dich zu Stella und mal auch was schönes", sagte ich etwas harscher und ich hörte ein lautes Plumpsen.
Kurz darauf begann er zu heulen."Okay. Wisst ihr was, ich versuche einen Freund zu erreichen und dann unternehmen wir was schönes. Ja, Hugo?"
Hugos Schluchzer verstummten und ich hörte, wie er wieder aufstand.
"Blumen?", fragte er bettelnd und ich nahm mein Handy zur Hand.
"Klar können wir uns wieder Blumen anschauen, Kleiner."Ich hörte ein leises Rumgehüpfe und den lustigen Kleinkinderkeucheatem meines Bruders. Dann wählte ich die Nummer.
"Namjoon, ich wollte nicht einfach auflegen. Können wir uns treffen?", fragte ich sofort und erntete erstmal ein Räuspern des anderen.
"Auch dir einen schönen guten Morgen, Mika. Ich müsste noch schnell unter die Dusche und dann würde ich sofort kommen", sagte er und ich atmete erleichtert aus."Vergiss die Dusche, ich sehe deinen verschwitzen Körper und die fettigen Haare sowieso nicht."
"Aber du könntest es riechen. Ich gehe Duschen und dann bin ich sofort da."
"Na gut. Beeil dich, ich warte an der Bäckerei von letztens."
"Okay, bis gleich.""Danke", sagte ich noch, doch er legte genau in diesem Moment auf.
"Okay Kiddies, zieht euch an und wir machen uns auf den Weg. Na gut, Stella, zieh dich an und hilf mir Hugo anzuziehen", befahl ich und wurde gleich darauf umklammert. Einmal um die Hüfte und einmal am linken Bein.
"Na los jetzt ihr beiden, aber wir müssen leise sein, wir sind jetzt Geheimagenten, okay?"
"Jaaa!", schrie Stella erfreut und Hugo stimmte mit ein.
"Was habe ich gesagt?", flüsterte ich.
"Jaaa", flüsterten beide zurück und meine Schwester tapste aus dem Raum, um kurz darauf wieder zu erscheinen, für beide Kinder Wechselsachen in den Händen.
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Bookshelf Conversations || kim namjoon / min yoongi
FanfictionÜber ein Mädchen das etwas anders mit den Dingen des Lebens klarzukommen versucht als andere. Drei verschiedene Persönlichkeiten treffen in einer Stadtbibliothek aufeinander. Ein schnell reizbarer Provokateur, ein poetischer Bücherwurm und eine unte...