Auf dem Weg zur Bibliothek schloss Namjoon meine Hand sanft in seine. Dankbar lächelte ich und überlegte, welchen Blick er mir wohl schenkte. Ob er mich überhaupt ansah in diesem Moment?
Bei unserem zügigen Tempo hatten wir schnell das alte Gebäude erreicht, welches wir angestrebt hatten. Ich hatte Namjoon darum gebeten, dass wir etwas schneller laufen, denn ich wollte so schnell wie möglich weg.
Weglaufen."Jetzt hör bitte auf die ganze Zeit dieses bedrückte Gesicht zu ziehen."
"Wieso, bekommst du Mitleid mit mir?", fragte ich herausfordernd und lächelte nun süffisant.
"So ist es schon besser. Und nein, Mitleid wäre die falsche Herangehensweise."
"Und was wäre deiner Meinung die richtige?"
"Verständnis."Namjoon brachte mich zum Überlegen. Verständnis ... ja, er hatte schon recht. Dadurch, dass er mich einfach getröstet hatte und nicht weiter nachhakte oder mir irgendwelche Ratschläge reindrückte, hatte ich mich ziemlich schnell wieder beruhigt. Einfach dadurch, dass er für mich da war und einfach nur verstand, dass diese Situation keine ist, über die ich bereits mit ihm reden konnte.
In der Bibliothek ließ ich von Namjoons Hand ab und tastete mir meinen Weg durch die Gänge. Dabei achtete ich ebenfalls auf die Umrisse, die ich sah und die Geräusche, die mich umgaben.
"Ah, shit!", hörte ich dann, als ich am letzten Regal angekommen war.
Es war nur ein ganz leises Fluchen, doch ich erkannte diese Stimme sofort."Yoongi?", fragte ich und lief um die Ecke.
Ich tastete mit der Hand das Regal mit den Hörspielen ab und berührte dann etwas warmes, weiches. Seine Hand?
"Sorry", sagte ich und zog meine Hand sofort weg.
"Was macht ihr denn hier? Namjoon, ich habe dich verdammt nochmal gesucht! Alarmstufe: Liebesromane! Ich blicke da nicht durch.""Uhm, was meint er?", fragte ich an Namjoon gewandt und runzelte die Stirn.
Yoongi klang aufgebracht, er ließ häufig ein Seufzen von sich hören und es klapperte ständig im Regal.
"Sie hat mir eine Reihe Bücher vorgeschlagen, über die wir reden könnten. Ich habe drei drittel der Titel noch nie gehört", meckerte Yoongi und das Wühlen im Regal wurde impulsiver. "Wie soll ich die alle durchlesen bis Freitag?"Er hatte aufgehört wild herum zu suchen, stattdessen setzte er sich auf den Marmorboden.
"Drei drittel ...", wiederholte ich schmunzelnd. "Wenn du mir sagst, um welche Bücher es sich handelt, kann ich dir vielleicht helfen."Ich hörte ein Rascheln und gleich darauf nannte er mir die Buchtitel. Ein paar der Bücher kannte ich wirklich, andere waren mir völlig fremd.
"Ich kann dir eine kurze Zusammenfassung der ersten beiden und der beiden vorletzten Bücher geben. Wenn du willst."Yoongi schnaufte. Ich setzte mich an das Regal gegenüber der Hörspiele und spürte kurz darauf, wie sich Namjoon dicht neben mich setzte.
"Du willst doch irgendwas dafür, hab ich recht?", fragte er misstrauisch. Ich schüttelte den Kopf.
"Nein, eigentlich nichts. Was sollte ich schon dafür von dir wollen?""Was ist eigentlich mit euch beiden? Habe ich irgendetwas verpasst seit gestern?", fragte Yoongi und ich spürte förmlich, wie sein Blick zwischen Namjoon und mir hin und her glitt.
Ich wand mich hin und her, versteckte meine Hände unter den Beinen und biss mir auf die Unterlippe.
"Es ist gar nichts", sagten Namjoon und ich wie aus einem Mund.
Daraufhin begannen wir beide zu lachen."Ah ja, ich sehe schon", sagte Yoongi noch und stand dann auf.
Er wusste doch gar nicht was Sache war, sollte er doch denken, was er wollte."Namjoon, solltest du nicht eigentlich nach einem neuen Buch suchen?", fragte Yoongi.
"Mh?" Namjoon klang überrascht, ich spürte, wie er sich aufrichtete.
"Na, für den bescheuerten Buchclub. Du hast irgendetwas von Literatur geschwafelt."
"Poetische Literatur. Ah, ich habe das total vergessen. Bin sofort wieder da!", sagte Namjoon und weg war er."Wow, du weißt wohl, wie man Leute los wird", sagte ich belustigt und ließ den Kopf in den Nacken fallen.
"Kann ich nur zurückgeben. Mich bist du auch gleich los, wenn du weiter so redest."
Yoongi klang desinteressiert, doch ich hörte, wie er auf mich zu kam und dann direkt vor mir wieder niederließ.Lange Zeit sagte er nichts, also hielt ich auch die Klappe. Doch dann wurde es mir doch zu seltsam.
"Ist was?"
"Ich habe nur versucht aus dir zu lesen."
"Hey! Bin ich ein Buch oder was? Konzentriere dich lieber auf die Bücher, die du brauchst, um dieses Mädchen weiter zu belügen."Yoongi schnaufte. "Fängst du schon wieder damit an? Es ist nur eine kleine Notlüge."
"Bis sie es erfährt ... Sag ihr doch einfach, dass du sie magst", schlug ich vor und versuchte meine Stimme in einen sanfteren Ton umzuschlagen. Sie klang eher nach Verzweiflung, als nach Zuversicht."Kann ich nicht."
"Wieso? Bist du zu feige? Ach komm schon, was ist denn schon dabei?"Ich hörte, wie Yoongi zu einer Antwort ansetzte, doch sofort wurde er von einer hysterischen Stimme unterbrochen.
"Mika! Du miese, kleine ..."Schnell rappelte ich mich auf und wurde so gleich gegen das Bücheregal gedrückt. Sie drückte mir ihre langen Fingernägel in die Haut meiner Schultern und ich zog scharf die Luft ein.
Jetzt ruhig bleiben, ermahnte ich mich selbst."Claire, lass mich los", forderte ich leise, doch ihr Griff verstärkte sich nur.
Ich hörte ihr Schluchzen und spürte ihren warmen Atem in meinem Gesicht.
"Hey, lass sie los!", ertönte Yoongis Stimme nun ebenfalls. Er hörte sich wütend und überrascht zugleich an.Nun fing meine Schwester an mich zu schütteln und so krachte ich immer wieder gegen das Regal hinter mir.
"Hör endlich auf, so ein Idiot zu sein und hilf uns! Mom kann nicht mehr, sie weiß nicht, wie sie das alles noch bestreiten soll. Es bleibt alles an mir hängen!", heulte sie und ich konnte es einfach nicht fassen.
Ich war kurz davor überzulaufen."Jetzt hör mir mal zu! Jedes mal macht ihr euch sorgen darum, dass ich blind bin wie ein Maulwurf, immer drängt ihr mir eure Hilfe auf, obwohl sie nicht gebraucht wird. Und jetzt, jetzt wo ihr mit Xena nicht mehr weiter wisst, da wollt ihr mich einziehen wie einen Soldaten? Das ist unlogisch! Warum sucht ihr bei mir nach Hilfe? Für euch bin ich doch nur eine Behinderte. Nicht mit mir, Claire!", schrie ich sie nun an.
Meine Stimme hallte durch die ganze Bibliothek."Hör auf, so einen Unsinn zu labern und komm mit!"
"Warum? Damit ich mir wieder euer Rumgeschreie anhören kann? Damit ich fühlen muss, wie unsere jüngsten Geschwister darunter leiden müssen? Habt ihr überhaupt einmal überlegt, warum ich mit den beiden kleinen für ein paar Stunden verschwunden bin?"Claires Hände ließen von mir ab und ihr Schluchzen wurde lauter. Ich lehnte mich an das Regal hinter mir und lauschte ihrem unkontrollierten Atem.
"Sei doch wenigstens ein bisschen loyal gegenüber uns."
Loyal war ich euch gegenüber schon immer. Auch wenn es keiner gesehen hatte. Auch wenn ich es manchmal bereut hatte.
Aber wann wart ihr in letzter Zeit loyal gegenüber mir?
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Bookshelf Conversations || kim namjoon / min yoongi
FanficÜber ein Mädchen das etwas anders mit den Dingen des Lebens klarzukommen versucht als andere. Drei verschiedene Persönlichkeiten treffen in einer Stadtbibliothek aufeinander. Ein schnell reizbarer Provokateur, ein poetischer Bücherwurm und eine unte...