Herzensoffenbarung

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Mein Gefühl behielt recht, so aufgewühlt es auch war.
Es war ein angenehmer, schöner Abend gewesen.
Namjoon führte mich durch den ganzen Park und beschrieb mir das bunte Treiben, welches ich verschwommen mit meinen Augen, aber umso klarer in meinem Kopf sehen konnte.

Wir aßen Softeis und kühlten unsere warmen Hände im Wasser des kleinen Springbrunnens der im Zentrum des Parks zu finden war.
Dabei redeten wir durchgängig. Über dies und das. Vor allem über Gedanken, die uns zu diesem Zeitpunkt durch unsere Köpfe gingen.

Oft bezogen wir auch Geschichten aus Büchern, Gedichte und Metaphern mit ein, um unsere Gedanken zu untermalen oder zu erklären. Es machte mir Spaß, auf diese Art mit ihm zu reden. Nicht immer nur auf diese Art nachzudenken, alleine, sondern das alles einer anderen Person anvertrauen zu können.

"Lass uns zum See hinüber. Bald fängt das Feuerwerk an", sagte ich ruhig, doch laut genug, dass meine Stimme den Trubel um uns herum übertönte.
"Das dauert noch eine volle Stunde, willst du nicht vorher noch etwas anderes machen?", fragte Namjoon erstaunt und wir erhoben uns von dem warmen Stein.

Ich überlegte, was könnte hier für mich noch von Interesse sein?
"Hast du noch irgendetwas, das du gerne machen würdest?", fragte ich zurück, um auch Namjoon zu berücksichtigen. Es war immerhin unser Date, nicht nur meins.

"Ja, da gäbe es schon etwas."
Er zog mich mit sich, wir liefen ziemlich eilig durch die Massen. Es kam nicht selten vor, dass ich ausversehen gegen jemanden stieß, oder einen Fuß unter meinem spürte.
Bei jeder Gelegenheit ging mir eine Entschuldigung über die Lippen.

Als wir angekommen waren, legte Namjoon meine Hand auf einen kalten Untergrund. Er bestand aus Metall und man fühlte kleine, eckige Formen, die hervor stachen.
"Fünf mal, bitte", sagte Namjoon freundlich und ich hörte ein Klicken.
Waren wir gerade ehrlich an einem Schießstand?

Bevor ich irgendetwas sagen konnte, stellte sich Namjoon dicht hinter mich. Er leitete meinen linken Arm zum Abzug des Gewehrs und meinen rechten etwas höher. Seine Hände überdeckten meine beinahe komplett und mein Herz pochte lauter denn je, als er auch noch seinen Kopf auf meine Schulter legte.

"Ich führe, du schießt, okay?", fragte er dicht an meinem Ohr und seine Haare kitzelten meine Wange.
Ich nickte zaghaft und schluckte. Hoffentlich hatte er das nicht gehört.

Namjoon bewegte das Gewehr und kam ganz langsam ins Stoppen.
"Jetzt", forderte er und beinahe sofort reagierte ich. Und es war ein lautes knallen zu hören, was mich erschrecken ließ. Namjoon glitt behutsam mit seinem Daumen über meine rechte Hand.

Das wiederholten wir ganze fünf mal und ich hatte ebenfalls meinen Spaß daran. Die bunten Farben, die in der hell erleuchteten Schießbude umhertanzten, Namjoon ganz dicht bei mir, das, was wir durch unser Teamwork erreichten.
"Ihr habt fünf mal getroffen, Herzlichen Glückwunsch", sagte der Besitzer und kurz darauf wurde mir etwas plüschiges, weiches in die Hand gedrückt. Namjoon musste es ausgewählt haben.

"Ein Löwe, weil du mich manchmal an eine Raubkatze erinnerst. Anmutig und stark", sagte Namjoon und wir setzten unseren Weg fort. Ich tastete weiter das weiche Fell ab, bemerkte, dass das Plüschtier eigentlich nur ein rundes etwas war, mit riesigen Augen.
"Meine Augen nehmen aber niemals den Platz meines halben Körpers ein", sagte ich gespielt vorwurfsvoll und lachte laut. Ein wenig zu laut.

"Nein, du hast recht. Sie nehmen sogar noch viel mehr Platz ein", antwortete Namjoon in einem ernsten, aber sanften und bewundernden Ton.
Ich schüttelte den Kopf über seine Aussage und die Ernsthaftigkeit, die er darin mitschwingen ließ. Er brachte mich immer wieder zum Lächeln.

Wir ließen uns auf einer hölzernen Parkbank nieder. Der Plüschlöwe fand auf meinem Schoß platz und Namjoon ließ keine Lücke zwischen uns beiden frei, so dicht saß er bei mir.
Meine anfänglichen Befürchtungen, solch ein Date einzugehen, waren längst wie weggeblasen. Ich würde mich immer wieder dafür entscheiden, wenn ich nochmal vor die Wahl gestellt werden müsste.
Jedes mal für ihn.

Die vorherige Sorge, das alles etwas zu schnell anzugehen, erschien mir nun wie ein Witz. Mir konnte es gerade nicht schnell genug gehen und so lehnte ich mich an seine Schulter an und schloss die Augen.

"Vor knapp drei Monaten wart ihr beiden noch zwei seltsame Jungs für mich, die ein Hörspiel in einer Bibliothek gesucht haben. Wie absurd sich das anhört. Aber ich fand euch von Anfang an interessant. Und ihr wart eine Chance für mich", fing ich an, aus dem Nichts heraus zu erklären.
"Eine Chance?", fragte Namjoon leise nach und ich fühlte, wie er seinen Kopf in meine Richtung drehte.

Mit den Fingerspitzen glitt ich über den Plüschlöwen und schmunzelte.
"Ja, eine Chance meine Freiheit wiederzuerlangen. Endlich hatte ich einen triftigen Grund auszureißen, eine gute Erklärung. Dabei hätte ich nie gedacht, dass ich meine Erlösung finde. In dir."
Ich richtete mich wieder auf und wandte mich Namjoon zu. Ich saß nun schräg auf der Bank und blickte die verschwommene Silhouette vor mir an. Er strahlte sicherlich unter dem Licht der Laterne, die diesen Platz erleuchtete.

"Niemals hätte ich gedacht, dass ich jemals wieder jemanden so klar sehen kann. Doch ich tue es, mehr und mehr und ich bekomme nicht genug davon.
Ich habe immer so getan, als würde ich gut damit klarkommen, dass mein Augenlicht so eingeschränkt ist, habe immer versucht das beste daraus zu machen und das ohne jede Unterstützung. Aber durch dich fällt es mir leicht es hinzunehmen, es nicht mehr als Ballast zu sehen, sondern als einen anderen Weg.
Du hast mir geholfen wieder zu sehen. Dich zu sehen, mich zu sehen, alles schöne dieser Welt. Und ich möchte das nicht mehr missen."

Ich legte meine Hand an seine Wange, lehnte mich zu ihm vor und küsste sie. Sanft, langsam, liebevoll.

"Ich sehe dich, Namjoon."

"Und ich sehe dich, Mika."

~'Sehen' bedeutet nicht unbedingt, jemandem in die Augen zu schauen. Seine äußere Schönheit zu betrachten und zu genießen. Viel eher bedeutet 'Sehen', jemandem ins Herz zu schauen, in seine Gefühlswelt. Und zu verstehen, was diesen Menschen ausmacht. Was ihn prägte, was er verehrte, für was er sein Leben gab. Seinen Charakter wahrzunehmen und vor allem ernst zu nehmen.

Ich war froh, das mir meine Augen verschlossen wurden, denn nur so konnte mir das bewusster werden denn je. Äußerlichkeiten können schön sein, aber auch ablenken. Sie sind nichts schlechtes, aber sie sind bloß eine Hülle, die die wahre Seele eines Menschen umgeben.~



Bookshelf Conversations || kim namjoon / min yoongiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt