Aufgegabelt

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Drei Wochen waren nun vergangen nach dem Gespräch zwischen den Bücherregalen. Das Gespräch bei dem ich mich mit Namjoon und Yoongi angefreundet hatte.

Es war nicht so, dass wir uns nicht wieder verabredet hätten, das hatten wir.
Aber ich war nicht gekommen. Da gab es etwas, was Mom, Claire und ich regeln mussten.

Erinnert sich noch einer an den sechzehnjährigen Möchtegern-Badboy, der sich verhalten sollte wie ein dreizehnjähriger? Der, der immer ein Jahr älter war, als alle anderen? Der Typ, mit dem Xena schrieb. Der, bei dessen Nachrichten ihr immer ein Lächeln auf dem Gesicht stand.

So harmlos, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, nach Claires Beschreibung, war er wohl doch nicht gewesen. In Wirklichkeit hatte er mit Drogen gehandelt. Nicht bloß mit Marihuana oder sowas, sondern mit weitaus schlimmeren Substanzen, von dessen Existenz ich nicht einmal etwas erahnen konnte.

Dieser Junge lag nun in einem kühlen Raum der Gerichtsmedizin und wurde nach weiteren Substanzen untersucht. So meine Vermutung zumindest. Das was wir aber alle wussten war, dass er tot war. Und es brach Xena schier das Herz.
Sie aß nicht mehr, sie redete nicht mehr, sie reagierte nicht mal mehr auf uns.

Ich konnte mir vorstellen, wie verheult und kaputt sie Tag ein, Tag aus aussehen musste.
Ich wusste noch, wie ich bei meinem ersten Liebeskummer ausgesehen hatte. Die schwarzen Haare ungewaschen und verknotet bis zum geht nicht mehr, die Augen geschwollen und schwarz umrandet, zum einen von den Augenringen, zum anderen von dem tagealten Mascara, den ich nicht abschminken konnte, so kraftlos war ich.

In Xenas Lage aber, wollte ich mich gar nicht hineinversetzen. Wie es ihr dabei ging, dass ihr erster, richtiger Freund ein Drogendealer war und nun an einer Überdosis seines eigenen Stoffs gestorben war. Solch ein Szenario passierte sonst in den schrecklichsten Tragödien, den dramatischsten Dramen, den herzzerreißendsten Geschichten.
Doch das war real.
So real, dass es schon wieder absurd unreal wirkte.

Mom, Claire und ich hatten viel damit zutun, Xena irgendwie aus ihrem Zimmer zu locken, sie zum reden zu bringen, sie wieder aufzubauen. Doch sie ließ nichts mit sich machen.
Insgeheim war ich froh, ihren zerstörten Blick nicht sehen zu müssen. Claire erklärte mir detailreich, wie sie eine gequälte Miene zog und dann wieder anfing zu schluchzen.
Doch die schlimmsten Tage waren die, an denen sie einfach ausdruckslos an die Decke starrte.

"Es ist nun schon zweieinhalb Wochen her. Der Junge war doch bloß eine Schwärmerei, warum macht es sie so traurig? Ich kann mir das überhaupt nicht erklären", meckerte Claire. Sie lief in meinem Zimmer hin und her, ich hörte ihren Rock rascheln und das knacken ihrer Fußgelenke.

"In dem Buch, das ich gerade lese, geht es um bedingungslose Liebe. Starke Liebe, die unaufhaltsam über einen herfällt und über den Tod hinausreicht. Xena ist zwar jung, aber der Protagonist dieses Buches ebenfalls. Vielleicht ...  vielleicht, also, Xena war schon immer viel emotionaler als wir. Sie fühlt viel stärker, als wir es uns vorstellen können. Ich finde es kaum verwunderlich, dass es sie so mitnimmt. Zumal, wer hätte erwartet, dass dieser Junge ein verfickter Drogendieler ist? Dass er sie auch noch angelogen hat, macht das ganze noch schlimmer, wir müssen einfach-"

"Was, Mika? Weiter abwarten? Wenn das so weiter geht, verhungert sie uns noch. Wir können uns glücklich schätzen, dass sie wenigstens etwas Wasser zu sich nehmen kann, ohne es sofort wieder auszukotzen", wütete Claire. Ich war still und zog mich in meinem Inneren zurück.

Claire ließ ihrem Frust freien Lauf, bis ich nicht mehr konnte und sie unterbrach.
"Hör auf, okay!? Es hat keinen Zweck, Xena die Schuld dafür zu geben, dass dieser Kerl nicht das war, was er zu sein zeigte. Und ihre Trauer ist nicht unsinnig oder unbegründet. Wenn man jemanden so sehr mag ... ach vergessen wir das, du kapierst es doch sowieso nicht", schrie ich zurück und nun war es an Claire, die ruhige und in sich gekehrte zu geben.

"Ich verpisse mich. Ich brauche jetzt mal einen Ort ohne Terror. Ohne Trauer und ohne Wut!"

Meine Füße trugen mich zum Park. Ich hörte wie Kinder schrien, während sie Fangen spielten oder einfach umher rannten. Sie waren wie kleine, runde Flummis, in meinem Sichtfeld. In knalligen Farben gekleidet und immer auf Zack.

Heute war ein nicht so schwüler Tag, weshalb ich die Sommerhitze auf meiner Haut genoss. Und den Geruch der blühenden Blumen, das Geräusch summender Bienen. Ich ging zu einer Reihe Bäume, die verschwommene, braune Striche für mich waren. Dort setzte ich mich nieder und lehnte mich an einen der Stämme an. Und dann schloss ich die Augen, steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren und versuchte alles um mich herum zu vergessen.
Alles Schlechte aber auch alles Gute.

Ich erschrak.
Irgendetwas piekte mir in die Seite und ich fühlte ein unangenehmes Stechen an der Stelle.
Ich öffnete die Augen, doch erkennen konnte ich so gut wie gar nichts. Es war bereits dabei dunkel zu werden. Die Gestalt vor mir war ein großer, schwarzer Schatten.
"Warum liegst du hier herum?", fragte Yoongis Stimme und ich merkte, wie sich mein angespannter Körper wieder entspannte.
Einer meiner Kopfhörer war aus meinem Ohr gefallen, den anderen entfernte ich selbst.
"Ich, ähm ... also ich-", stammelte ich noch leicht verwirrt. Zum einen durch die Müdigkeit, die mich umgab, zum anderen durch diese äußerst seltsame Situation.

"Ist das der Grund, warum du letztens nicht gekommen bist? Weil du jetzt auf der Straße lebst? Steh auf. Wir bringen dich nach Hause."
Yoongis Stimme klang leicht sarkastisch, aber angenehm, dunkel, kratzig und erstaunlich sanft.

"Wer ist Wir?"
"So viele Namen kannst du dir sicher nicht merken, Kleine", lachte Yoongi. Ich verdrehte die Augen.
"Worum willst du wetten, Yoongi?"
Ich hörte Schritte auf uns zukommen und Yoongis Hand schnappte sich einfach meinen Arm und er zog mich hoch.
"Wie lange brauchst du denn, Yoongi? Und wer ist dieses Mädchen?", fragte eine fremde Stimme. Sie erklang hell und niedlich.

"Das ist Mika. Mika, das ist Jimin", stellte Yoongi vor und ich speicherte sofort diese Stimme unter diesem Namen ein.
"Er hält dir die Hand hin", flüsterte Yoongi.
"Oh ... oh, tut mir leid. Hallo, Jimin", sagte ich überrumpelt und streckte die Hand aus.
Eine weiche Hand legte sich in meine, sie war kleiner als die von Yoongi oder Namjoon.

"Können wir jetzt los? Die anderen werden ungeduldig und ich ebenfalls. Außerdem haben wir schon Pizza bestellt, wir sollten also jetzt nach Hause gehen", sprach Jimin schnell und leise zu Yoongi. "Auf Wiedersehen, Mika. War nett, dich kennen zu lernen. Hoffe man sieht sich nochmal", sagte er dann an mich gewandt und ich musste unweigerlich auflachen. Es war bloß ein kurzer, hämischer Lacher, der gleich darauf wieder verstummte.
"Das mit dem Auf Wiedersehen wird schwer werden. Ich komme mit euch, wenn es euch nichts ausmacht, Pizza klingt gut. Habt ihr auch welche ohne Fleisch?"

Ich setzte mich in Bewegung, folgte ein paar männlichen Stimmen, die ich hörte, da ich vermutete, dass das die restlichen Jungs waren. Darunter sicherlich auch Namjoon.
"Hat sie sich gerade selbst eingeladen oder hast du sie vorhin gefragt, Hyung?", fragte Jimin leise hinter mir, doch Yoongi antwortete nicht.

"Oh Gott, was macht dieser Typ denn. Wo hat er bitte seine Cap verloren?"
"Ich muss sooo dringend. Ich halte es nicht mehr aus."
"Dann geh hinter den Busch oder so. Problem gelöst."
"Uh, da kommen sie. Und ... ein Mädchen?"
"Tja, Taehyung, dann kannst du wohl doch nicht hinter dem Busch verschwinden."

"Mika!"
Die einzige Stimme, die ich erkennen konnte war die von Namjoon. Er klang total erfreut und irgendwie verwundert. Ich konnte auch Erleichterung heraus hören.
"Keine Sorge, Taehyung. Wenn du so dringend musst, ich sehe nichts. Aber ich höre gut, also geh lieber weit weg", sagte ich frech, einfach in die Menge hinein, die ich bloß verschwommen wahrnahm.
Aber wenigstens sah ich ein paar Farben und nicht nur schwarz, wie bei Yoongi.

"Wer ist das? Du kennst sie, Namjoon?", fragte eine weitere weiche, helle Stimme.
"Ich erkläre es euch gleich, lasst uns erstmal nach Hause gehen und was essen", sagte Namjoons dunkle Stimme und alle schienen seinem Vorschlag nachzukommen.
"Wie ich sehe, schließt du dich uns an?", fragte er mich.
Ich nickte bloß.
"Gut, hake dich bei mir unter. Du musst uns auch noch so einiges erklären. Yoongi dachte schon, du hättest uns bloß verarscht und dich nun interessanterem gewidmet."

Wir liefen durch den warmen Abend, ich als Klette an Namjoon geklammert, da ich den Weg nicht kannte.
"Ich muss zugeben, die zweite Hälfte seiner Theorie stimmt", meinte ich verlegen, wurde dann aber ernster. "Aber es hatte wirklich einen triftigen Grund, warum ich nicht kommen konnte."

"Aber jetzt freue ich mich erst einmal auf eure Pizza!"



Bookshelf Conversations || kim namjoon / min yoongiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt