Für eine noble Sache

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Darwin Hall, New Haven, Pacifica, Allied Commonwealth, Hegemonie-Invasionszone, 25. Juni 2678


Sherin Park war müde und genervt. Seit Tagen wurde sie nun schon in Darwin Hall im Westen New Havens gefangengehalten. Nachdem die Terraner New Haven eingenommen hatten, wurden zahlreiche Personen hier interniert. Sie waren die ersten Tage nicht isoliert worden, so dass Sherin sich ein gutes Bild machen konnte. Es handelte sich um Wissenschaftler, aber auch mehr oder weniger bekannte Künstler, einflussreiche Geschäftsleute, Gewerkschaftler und einige Politiker. Sie waren alle gut behandelt worden - sie konnten die Sportanlagen nutzen, die Unterhaltungsangebote der Einrichtung und sich innerhalb bestimmter Bereiche frei bewegen. Man hatte ihnen Holovids vorgespielt, in denen sie zu neuen Bürgern der Terranischen Hegemonie erklärt wurden und in denen die Geschichte der Hegemonie und deren Ziele in den hellsten Farben gezeichnet worden war. Sherin war skeptisch genug, um dies nur mit Vorsicht zu genießen.

Vor fünf Tagen jedoch hatte man begonnen, die internierten Personen stärker zu separieren. Einige waren zu Gesprächen mitgenommen worden und anschließend nicht wieder aufgetaucht. Sherin war seit etwa zwei Tagen in einen Wohnraum eingesperrt worden, hatte Nahrung, aber keine Informationen bekommen. Sie fragte sich ohnehin, was die Terraner von ihr wollten. Sie war doch nur eine junge Lehrkraft an der Universität und spielte nicht in der gleichen Liga wie die meisten anderen hier internierten Personen.

Die Tür glitt auf und zwei Soldaten in dunkelgrünen Kampfanzügen erschienen. Sie wusste inzwischen genug, um zu erkennen, dass dies keine terranischen Marines, sondern Angehörige der Terranischen Garde waren, einer Eliteeinheit, die auch die Sicherung des Komplexes übernommen hatte. Sie wurde durch lange, verlassene Korridore zu einem Nebengebäude der Anlage geführt. Dort ging es per Gravlift in die Tiefe, dann durch Plastabetongänge zu einem Raum, in dem sich nur ein am Boden verschraubter Metalltisch und zwei gegenüberstehende Plastikstühle befanden. Sie wurde in einen gesetzt, dann gingen die beiden Soldaten wieder hinaus.

Während Sherin allein in dem nur schwach beleuchteten Raum saß, gingen ihr zahlreiche Gedanken durch den Kopf, was man wohl mit ihr vor hatte - und keine dieser Überlegungen war besonders erfreulich. Sie konnte sich einfach keinen Reim darauf machen, was sie hier in Darwin Hall und nun speziell in diesem Kellerraum zu suchen hatte. Ihr gingen Bilder von Folter und Misshandlungen durch den Kopf, doch sie bemühte sich, weiterhin logisch zu denken. Logik war stets ihre Stärke gewesen.

Misshandlungen konnten auch an anderen Orten geschehen, warum sollte man sie also extra hierhin bringen? Folter war eher wahrscheinlich, isoliert genug war der Raum. Aber warum sie und warum jetzt? Sie kannte keine militärischen Geheimnisse und ihre Fähigkeiten hinsichtlich des Neuronetworking waren außergewöhnlich, aber keinesfalls einzigartig. Warum also...

Die Tür ging wieder auf und herein kam ein Mann in einem schwarzen Militäranzug. Er war jung, vielleicht 25, hatte kurzes, dunkelblondes Haar und graue Augen, die irgendwie nicht zu dem jungendlichen Gesicht und dem leichten Lächeln passen wollten, das er Sherin zeigte. Die Augen wirkten eher so, als würden sie zu einem älteren Mann gehören, so als ob er schon viel zu viel gesehen hatte, was eher unerfreulich gewesen ist.

Der Mann sprach in Föderationsstandard, hatte aber einen leichten, Sherin unbekannten Akzent.

"Willkommen, Ms. Park. Ich muss mich entschuldigen für die Behandlung. Sie waren sicherlich erschrocken, als man sie hierher brachte - man kann da diese Tage auf die schlimmsten Gedanken kommen."

Er lächelte Sherin entwaffnend an, aber die Augen wirkten weiterhin hart. Da erkannte Sherin, dass selbst dieses offensichtliche Theater nur einen Zweck gehabt hatte. Man hatte mit ihren Ängsten gespielt, wohl wissend, dass sie selbst es durchschauen würde. Aber anscheinend war das dem Mann gleichgültig. Sieh her, schien er mit dem Lächeln zu signalisieren. Klar können wir mit dir machen, was wir wollen, oder auch nicht. Aber was willst du schon dagegen tun?

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