Zwischenspiel: drei Minuten

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THS Vanguard, terranischer Flottensammelpunkt Delta, 0.2 Lichtjahre entfernt vom Edensystem, 15. Juli 2678

Der Agent hatte lange auf seinen Einsatz gewartet. Sein Auftrag hatte gelautet, sich absolut unauffällig zu verhalten und er hatte keine Schwierigkeiten damit gehabt. In diesem Gewerbe musste man sich in Geduld üben, aber gleichzeitig stets aufmerksam sein. Das galt besonders bei einem Langzeitauftrag.

Er hatte das vereinbarte Signal vor weniger als zwei Stunden erhalten, als die Hera zum Verband sprang und Captain Tully eine Nachricht übermittelte. Unbemerkt war eine zweite Nachricht abgegeben worden, die von einem Schläfer auf der Hera stammte. Der Attentäter wusste nicht, um wen es sich handelte - genauso wenig kannte der Kontakt auf der Hera die Identität des Agenten auf der Vanguard. Es war eine alte Methode, aber sie funktionierte.

Die Nachricht bestand aus wenigen Zeilen eines alphanumerischen Codes, doch sie war das Signal für den Attentäter, nun aktiv zu werden. Aufgrund der Position an Bord konnte er sich frei bewegen. Der schwierigste Teil der Mission hatte darin bestanden, den hochentwickelten Computervirus in die Systeme der Schiffe des Geschwaders zu schleusen.

Der Virus bestand aus zwei Teilen. Der eine war passiv, fast harmlos und sorgte nur für eine Blendung der internen Sensoren zum richtigen Zeitpunkt. Der zweite Teil hingegen war weitaus komplexer, eine Meisterleistung der Programmierung. Er sorgte für eine Schnellabschaltung der Eindämmungsfelder für den massiven Rawls-Wright 7900 Fusionsreaktor des Schiffes, sobald bestimmte vorgegebene Faktoren eintraten. Der Agent bereute es, den zweiten Virus erst so spät eingeschleust zu haben, doch noch im Pacificasystem hatte Vizeadmiral Reyes eine vollständige Reinigung des Hauptspeichers aller Schiffe des Geschwaders befohlen; eine Routinemaßnahme, aber zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Als Folge davon hatte der Agent nur wenige Stunden vor dem Aufbruch von Pacifica Zeit gehabt, den Virus auf wenigstens zwei der Kreuzer wieder einzuschleusen. Auf der Vanguard hatte der Agent es ohnehin nicht vorgehabt - er war kein Fanatiker, sondern ein Profi und hing an seiner Existenz.

Doch das alles spielte nun keine Rolle mehr. Der Agent hatte nur noch seine Hauptmission zu erledigen. Die entsprechenden Anweisungen waren ebenfalls in der Nachricht versteckt und sie waren recht überraschend gewesen. Für einen kurzen Augenblick hatte der Agent sogar etwas Reue verspürt, aber das war ein Luxus, den man sich in diesem Gewerbe nicht leisten konnte.

Der Agent begab sich per Lift auf Deck 5 und nahm dann den Weg durch die Leiterkanäle des Schiffes. Er brauchte nur kurze Zeit, um Deck 3 zu erreichen. Per Neurolink wurde der Phantombefehl eingegeben, der die internen Sensoren für die nächsten drei Minuten blenden würde.

Er wartete noch einen Augenblick und stellte sicher, dass niemand im Korridor anwesend war. Dann aktivierte er das Programm und trat durch die nun entriegelte Tür in die Suite des Captains ein. Captain Tully saß an seinem Arbeitstisch und studierte einige Daten auf dem Holoschirm vor ihm, als er die Anwesenheit des Agenten bemerkte.

Tully blickte den Agenten verwirrt an. "Wie sind sie denn hier hereingekommen? Hat sie etwa Commander Aris geschickt? Ich weiß ja, ich bin etwas spät dran, aber das ist doch kein Grund..." Tully stockte, als er die Pistole in der Hand des Agenten bemerkte. "Was soll dieser Unsinn? Sind sie wahnsinnig geworden, Lt.?"

Der Lt. schüttelte den Kopf. "Nein, absolut nicht. Ich möchte ihnen nur sagen, dass dies nichts persönliches ist. Das ist kein Trost, schon klar, aber ich wollte es ihnen dennoch sagen." Tully erstarrte, bevor seine linke Hand fast unmerklich nach unten glitt. Der Agent lächelte ihn humorlos an. "Sorry, Captain. Der Alarm ist deaktiviert und ihr Neurolink wird geblockt. Ich würde wirklich noch gerne mit ihnen plaudern, aber ich habe ein knappes Zeitfenster."

Plötzlich erklang der Schiffsalarm und der Agent verzog das Gesicht. "Und das scheint gerade noch kleiner zu werden. Also, zurück zum Geschäft." Bevor Tully etwas unternehmen konnte, schoss der Agent. Das magnetisch beschleunigte Projektil trat in Tullys Stirn ein; es war ein guter Schuss, der Captain war sofort tot.

Der Attentäter beeilte sich nun. Er dockte einen Codebreaker an den Port des Tischcomputers an. Innerhalb von 20 Sekunden hatte das hochentwickelte Programm die gesuchten Dateien gefunden, sie kopiert und vom Computer des Captains gelöscht, einschließlich aller zurückverfolgbaren Protokolle. Dann deaktivierte er den Computer und schaltete das Display aus.

Der Agent verließ die Suite und begab sich nun zum nächsten Lift. Es war ein Vabanquespiel, da das Risiko bestand, dass er entdeckt würde, doch es herrschte hektischer Betrieb, da Besatzungsmitglieder zu ihren Stationen eilten. Der Lift hielt auf Deck 17, wo sich der Agent zum Reaktorraum begab, um dort den Dienst anzutreten. Nur zehn Minuten später war das Gefecht beendet. Ob nun gewonnen oder nicht, der Agent hatte die Mission abgeschlossen - und das war für ihn als Profi ein gutes Gefühl.


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