Zwischenspiel: der Zirkel

156 4 1
                                    

Seacouver Metroplex, Terra, Terranische Hegemonie, 15. September 2677 - acht Monate vor Beginn von Operation "Avenger"

Das Treffen fand unter strengster Geheimhaltung in einer hermetisch abgeschirmten Anlage tief unter der Erde statt. In der Mitte des quadratischen Raums mit je 20 m Länge befand sich ein ovaler Konferenztisch, in den Hightech in Millionenhöhe integriert war. Ein Ebene-III Sicherheitskraftfeld umgab den Raum, der vollständig mit Kirschholz verkleidet war - ein unerhörter Luxus auf einer Welt, die nach über sieben Jahrhunderten massiven Raubbaus an der Natur kaum noch über intakte Waldbestände verfügte. In Nordamerika und Eurasien gab es immer noch Regionen um die großen Metroplexe, die eher an Wüstenzonen erinnerten. 

Die Hegemonie hatte Unsummen in die Regeneration der Heimatwelt der Menschheit investiert. Es würde aber noch mindestens ein Jahrhundert vergehen, bevor der Zustand sich signifikant verbessern würde. Und es war fraglich, ob die Erde jemals wieder wie zur Zeit vor den großen Klimakriegen im späten 22. Jahrhundert aussehen würde, als ganze Nationen im Kampf um Ressourcen wie sauberes Wasser und sichere Siedlungsräume untergingen. Während der 3. Weltkrieg noch ein Kampf um die Vorherrschaft zwischen der Atlantischen Allianz und dem Westpazifischen Commonwealth gewesen war, war der 4. Weltkrieg  nicht mehr als ein Kampf der wenigen noch intakten Staaten um die letzten verbliebenen "grünen" Territorien gewesen.

Doch keiner der sieben Konferenzteilnehmer machte sich besondere Sorgen um die Zukunft der Erde oder der Menschheit im Allgemeinen. Jeder der fünf Männer und zwei Frauen im Raum hatte es durch individuelle Fähigkeiten, Glück und auch Skrupellosigkeit an die Spitze interstellarer Megakonzerne geschafft. Anders als noch zur Zeit der korrupten Erdföderation, waren sie nicht dank Verbindungen zu Reichtum und Einfluss gekommen, aber sie waren ebenso wie die Oligarchen jener Zeit bestrebt, ihre Spitzenposition in der Terranischen Hegemonie zu behaupten.

Simon Cheng, CEO von Terran Deep Space Trade, leitete die informelle Sitzung des sogenannten Zirkels, die schon drei Stunden andauerte. "Ladies and Gentlemen, wir müssen langsam zu einer Entscheidung kommen. Unser Zeitfenster ist begrenzt. Die einzig entscheidende Frage ist, ob wir Plan Omega ausführen oder riskieren noch mehr Zeit zu verlieren."

Ciaran Harlech, CEO von Rawls-Wright-Interstellar und der jüngste Teilnehmer, schüttelte nur den Kopf. "Wenn wir die Dinge überstürzen, riskieren wir weit mehr. Denken sie doch nach! Wenn das NSB aufmerksam wird, werden wir alle verhaftet und als Verräter gehängt. Die Hegemonie mag nicht die alte Föderation sein, aber das National Security Bureau ist nicht für seine zarten Verhörmethoden bekannt. Wenn Sanders auch nur ahnt, was wir hier planen, wird er nicht zögern, unsere Unternehmen zu zerschlagen. Die Notstandsgesetze geben ihm dafür jedes Recht."

Cheng musste sich zusammenreißen, Harlech nicht angewidert anzuschauen. Das Zirkel brauchte Rawls-Wright-Interstellar für seine Pläne, aber Harlech war schon immer ein schwieriger Partner gewesen. Die übrigen sechs Mitglieder hatten ihn mit hohen Beträgen gelockt und sich seine weitere Loyalität durch Drohungen gesichert.

Cheng räusperte sich und blickte Harlech direkt an. "Wir alle kennen das Risiko, doch es ist nun zu spät für grundlegende Änderungen. Und das wissen sie auch, nicht wahr Ciaran?" Harlech würde sie nie verraten, dazu hatte Cheng zu viel brisantes Material gesammelt. Und Raphael Sanders, seit 15 Jahren der "Erste Bürger" und damit Staatschef der Hegemonie, war niemand, der Verrat vergeben würde. Entweder sie waren erfolgreich oder sie waren alle zusammen erledigt. 

Harlech lehnte sich unruhig zurück und blickte sich zu den anderen fünf Mitgliedern um. "Noch haben wir aber die Wahl, wie weit wir gehen wollen. Unsere Geschäfte mit dem Kartell in den äußeren Welten oder einigen Warlords sind das eine. Aber wenn wir wirklich Plan Omega starten, gehen wir ein kaum kalkulierbares Risiko ein."

Rana Perez, Präsidentin von SunTrust, dem größten Kreditinstitut der Hegemonie, lächelte Ciaran flirtend zu. "Ciaran, Darling, Risiken gehören zu unserem alltäglichen Geschäft. Und der zu erwartende Gewinn ist mehr als lohnend. Vergessen wir nicht, dass es Sanders war, der uns mit seinem Projekt Wiedervereinigung die Pistole auf die Brust setzte. Sollte er Erfolg haben, werden unsere lukrativen geheimen Geschäfte mit den Warlords enden. Die Konzerne der ehemaligen Commonwealthwelten würden mit uns konkurrieren und hätten vor Ort einen Startvorteil. Schlimmer noch: jeder von uns weiß, dass neue Regulierungen geplant sind, die unsere Geschäfte einengen würden - so, als sei der wirtschaftliche Aufschwung der letzten 50 Jahre nicht einige Monopolbildungen Wert."

Letzteres quittierte jeder am Tisch mit einem leichten Lächeln. Tatsächlich wusste jeder von ihnen, dass die Regierung über manches hinweg gesehen hatte, solange die neu errungenen Arbeitsrechte nicht zu sehr gedehnt wurden. Die wirtschaftliche Stagnation der Föderationszeit war in den ersten Jahrzehnten der Hegemonie einem Innovationsschub gewichen, doch gerade auf den Feldern des interstellaren Handels, der Hochtechnologie und der Hochfinanz war es bald zu Ballungen gekommen, die man toleriert hatte. Mit der Wiedervereinigung, neuen Märkten, Rohstoffen und neuen Konkurrenten würde sich das ändern, ja, ändern müssen, wollte die Hegemonie nicht ebenfalls stagnieren. Doch keiner der Mitglieder des Zirkels wollte die nun errungenen Vorteile verlieren.

David Abulafia von Mars Arms meldete sich zu Wort. "Ich bin für eine Abstimmung. Wir müssen bedenken, dass unsere Kriegsschiffe in Safe Port in spätestens sechs Monaten an Warlord Mathias übergeben werden müssen. Ansonsten kann Phase zwei von Plan Omega nicht umgesetzt werden. Unsere Schläfer im Militär müssen ebenfalls noch instruiert werden. Außerdem werden unsere anderen Kontakte im Militär unruhig, wenn wir ihnen nicht bald Bescheid geben." Abulafia hatte in seiner Jugend in der Terranischen Garde gedient und erinnerte die anderen Mitglieder gerne an seine Militärerfahrung - als wenn sie nicht über genügend Experten in ihrer kleinen, aber gut ausgebildeten Söldnertruppe verfügten, die sich im geheimen Stützpunkt Safe Port im äußeren Rand bereit hielt, in Aktion zu treten.

Perez nickte zustimmend. "David hat Recht. Unsere... Partner im Militär haben klar gemacht, dass sie nur aktiv werden, wenn die Expeditionsgruppe ausgeschaltet wird und Sanders somit an Rückhalt verliert. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Expeditionsstreitmacht und die Truppen des Commonwealths sich gegenseitig ausbluten. Nur dann kann die finale Phase Erfolg haben."

Schließlich stimmten alle Mitglieder des Zirkels zu. Vier Tage später setzten sich zwei Kurierschiffe von der Erde aus in Bewegung. Eines reiste nach Safe Port, ein anderes weiter ins Commonwealth. Plan Omega war in seine erste Phase getreten.

Schöne neue WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt