-Sommerferien-

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Es klingelte zum Schulschluss. Aber nicht nur das. Es war der letzte Schultag und ab heute waren Ferien. Praktisch jeder rannte lachend und glücklich zum Ausgang, konnte es kaum erwarten, die miefigen Linoleumflure der Highschool zu verlassen - Außer ich. Auch wenn man mich dafür schlagen könnte, ich wäre lieber weiter zur Schule gegangen, anstatt fünf Wochen im Buchladen meiner Mutter zu arbeiten. Langsam nahm ich meinen Rucksack und verließ das Klassenzimmer - Ich war die letzte. Ich spürte förmlich Mrs Mayers Blick auf mir, als ich den Flur betrat, der wie leer gefegt war.
Wahrscheinlich dachte sie, dass arme Mädchen, muss den ganzen Sommer über im stickigen New York bleiben. Jap, das musste ich.

Ich stieg draußen in den gelben Schulbus, der einer der letzten auf dem Schulparkplatz war und fuhr nach Hause. Die Luft über dem Asphalt flirrte, der Himmel war strahlend blau und die Sonne brannte erbarmungslos herab. Menschen mit Sonnenhüten und kurzen Hosen gingen die Straßen hinab. Sie wischten sich mit dem Saum ihres T-Shirts den Schweiß aus dem Gesicht. Dies würde einer der heißesten Sommer New Yorks seit langem werden. Gracie, meine beste Freundin, fuhr den Sommer über nach Los Angeles. Ihre Eltern waren, genau wie Mom, nicht die reichsten und hatten darum lange auf diesen Urlaub hingespart. Gracies Mom, Rebecca, arbeitete in einem kleinen Friseursalon am Rande New Yorks. Ihr Dad besaß eine Tankstelle, auf der er tagtäglich 24 Stunden war. Sie beiden arbeiteten hart und hatten Jahre lang auf ihren Urlaub verzichtet. Gracie hat schon vor einem Monat angefangen, sich im Internet über Los Angeles zu informieren und mir vorzuschwärmen, sie würde Ryan Gosling und Taylor Swift treffen. Ich hatte dann immer nur gelacht und gesagt, sie würden nur in ihren Villen sitzen, Cocktails schlürfen und sich den Wind ihrer Hightechklimaanlage um den Kopf wehen lassen. Von Touristen würden sie keine Notiz nehmen. Und dann meinte Gracie, sie würde ihre Adressen schon noch rausbekommen, schließlich war sie schon fast eine CIA-Agentin. Gracie hatte nämlich vor, nach ihrem Abschluss Agentin des CIA zu werden. Das wollte sie schon seit sie neun war. Und so ehrgeizig wie sie war, war ich der festen Überzeugung, dass sie es schaffen würde.
Der Bus hielt und ich stieg aus. Von hier aus waren nur etwa fünf Minuten bis zu der kleinen Wohnung, die Mom und ich bewohnten. Darunter befand sich gleich unser Buchladen. "Bennett's" war Moms Heiligtum. Sie verbrachte hier hunderte von Stunden und war sehr bemüht, es ihren Kunden so recht wie nur irgendwie möglich zu machen. Was diese auch meistens respektierten.
Als ich den Buchladen betrat, durch den man erst einmal gehen muss, wenn man zu uns wollte, war von Mom keine Spur zu sehen. Ich beschloss deshalb, erstmal nach oben zu gehen. Ich ging die kleine Wendeltreppe hoch, deren Stufen aus altem, ziemlich abgenutztem Holz waren. Sie quietschten bei jedem Schritt, was für manch einen sicherlich schrecklich war, für mich aber war es schön. Ich hatte mich schon längst daran gewöhnt, genau wie Mom. Oben stand man dann direkt in unserem Wohnzimmer, welches mit dem kleinen roten Sofa und dem uralten Fernseher, wie aus einer anderen Zeit wirkte. Genau wie der Buchladen. Ich trat durch den Vorhang aus Fäden, der das Wohnzimmer von der Küche trennte und stellte meinen Rucksack neben den Küchentisch unterm Fenster. Da wir unter dem Dach wohnten, gab es überall Schrägen und Dachfenster, auf die der Regen immer so schön pladderte.
Wenig später warf ich mich auf mein Bett. Auch mein Zimmer war, wie der Rest der Wohnung, ein bisschen veraltet. Das Bett war aus dunkelgrauen Gitterstäben und voller verschiedenfarbigen Kissen, auf dem Boden lag ein bunter Flickenteppich, auf dem Nachttisch stand eine alte Schirmlampe, überall hingen Lichterketten und vor den Fenstern hingen Traumfänger. Gracie meinte immer, mein Zimmer sei das schönste auf der Welt. Ich sagte dann immer: "Stimmt doch gar nicht!" Doch in Wirklichkeit sah ich das genauso. Es war zwar nicht modern oder besonders groß, aber gemütlich und ein bisschen verträumt. So wie ich.
Ich schaute gedankenverloren auf die Uhr. Es war halb vier und Gracie saß wohl gerade im Flugzeug. In ein paar Stunden würde sie in Los Angeles sein. Vielleicht traf sie ja zufällig Taylor Swift am Flughafen? Ich musste grinsen. Gracies Gesichtsausdruck wäre zu schön!

Unten rumste etwas und dann krachte etwas um. "Mist, verdammter Mist!", brüllte Mom.
Ich sprang auf. "Mom, alles okay?"
Hastig rannte ich die Treppe hinunter, die lauter zu quietschen schien als je zuvor. Man hörte erneutes Rumpeln aus der kleinen Kammer hinter der Kasse. Dort befand sich ein winziger Raum indem sich Bücher, Kisten und Staub nur so türmten. Als ich meinen Kopf durch den Türrahmen steckte, musste ich erst suchen, bevor ich Mom in dem Chaos entdeckte. Es musste wohl eine der großen Kisten ganz oben im Regal runtergefallen sein und dabei einen Stapel Bücher mit umgerissen haben. Meiner Mom eingeschlossen.
"Mom, was zur Hölle machst du hier drinnen?! Und was ist passiert?", rief ich entsetzt. Sonst fiel zwar auch gelegentlich etwas um, aber nicht in diesen Ausmaß!
"Ich...", sie schob ihren Kopf unter einem Buch hervor und rieb sich über die Stirn, auf der man bereits jetzt einen blauen Fleck erahnen konnte. "Ich wollte eigentlich nur ein Buch holen. Es lag unter der Kiste dort oben. Darum habe ich mir einen Hocker geholt und das Buch darunter hervorgezogen. Dann fiel die Kiste runter, riss den Stapel mit den neuen Büchern um und fiel dann auf mich und ich bin vom Hocker gefallen." Sie sah mich so merkwürdig an, dass ich lachen musste.
"Ach, Mom!" Ich reichte ihr meine Hand und zog sie aus dem Berg aus Büchern hervor.
Mom schaute sich um und nahm schließlich ein orangenes Buch. Als sie es kurz danach auf den Tresen legte, um das Preisschild darauf zu kleben, rutschte ein schneeweißer Brief vom Tresen und flatterte, wie ein bunter Drachen im Wind, auf den Boden. Wir bückten uns gleichzeitig danach, doch ich war schneller. Auf dem Brief stand unsere Anschrift und mein Name; Jacky Bennett. Ich schaute vom Brief zu Mom und wieder zurück. "Mom? Hast du mir irgendwas zu sagen?"

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