-Einsamkeit-

38 7 0
                                    

Nach dem Mittagessen, wonach mir übrigens schlecht von den sechs Gängen war, legten die West's sich für eine Weile hin. Sie wollten "nur mal kurz ruhen", wie Mrs West mir sagte. Ich ging währenddessen aus der Hotelanlage raus und zur nahegelegenen Bushaltestelle. Ich hatte meinen iPod in den Ohren und hörte Summertime Sadness von Lana Del Rey. Dieses Lied zeigte mir wie traurig dieser Sommer war. Und gleichzeitig so schön.

Als der Bus am Strand hielt, schien mir die warme Sommersonne ins Gesicht. Ich schloss die Augen und sah orangenes Licht. Grillen zirpten und der heiße Sand unter meinen Füßen grub sich in meine Zehen. Schnell schlüpfte ich aus Shorts und Shirt und rannte in das türkisfarbene Wasser, das warm meine Beine umspülte. Ich schwamm und schwamm und schwamm. Es tat gut allein zu sein. Ich war wirklich gerne allein. Man musste sich nicht verstecken oder verstellen und konnte ganz für sich sein. Es gab nichts als mich, die Sonne, das Meer und meinen Arm- und Beinschlag. Bis ich bei einer der roten Bojen ankam. Ich drehte mich um und sah zum Strand zurück. Die Menschen dort waren klein wie Ameisen und ich war weit vom Strand entfernt. Sehr weit. Leichte Panik machte sich in mir breit. Ich meine, wer kennt nicht diese Geschichten in denen Leute weit draußen von Haien angegriffen werden oder nicht mehr zurück schwimmen können und jämmerlich ertrinken. Ich kraulte los. Versuchte einen gleichmäßigen Rhythmus beizubehalten, um nicht schlapp zu werden. Tatsächlich schaffte ich es. Prustend und keuchend, einen Krampf im Fuß habend, kam ich aus dem Wasser und schmiss mich in den Sand. Meine Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Es war mir egal, ob er mir überall am Körper klebte. Ich wollte bloß da liegen und mich ausruhen.

Als ich später mit dem Bus wieder beim Hotel ankam, war es etwa drei Uhr nachmittags und die Sonne brannte erbarmungslos auf mich herab. Mein Gesicht war heiß und glühte. Sicher hatte ich einen heftigen Sonnenbrand! Der Pool war gut gefüllt. Besser gesagt, der Rand des Pools, dort wo die Liegen standen, war gut gefüllt. Käsehäutige Frauen versuchten sich so auf die Liege zu platzieren, dass ihr Kopf im Schatten und der restliche Teil in der prallen Sonne lag, um auch ja braun zu werden. Ich verdrehte die Augen. Da fiel mir allerdings ein, dass ich meinen Zimmerschlüssel gar nicht dabei hatte. Er war in unserem Appartement, zusammen mit den schlafenden West's. Da ich sie nicht wecken oder stören wollte, setzte ich mich auf die Treppen vor einer Tür in den Schatten. Von hier aus hatte man einen guten Blick auf dem Pool. In meinem ausgeblichenen blauen T-Shirt und der Shorts, die ich schon drei Jahren hatte und die mir deshalb etwas zu klein war, kam ich mir ziemlich fehl am Platz vor. Denn alle anderen vorbeischlendernden Leute trugen edle Tuniken oder strahlend saubere Polohemden. Mir fiel eine Familie auf. Die Mutter lag mit ihrem goldgelben Bikini auf der Liege, der Vater las daneben in der Zeitung und der Sohn kam gerade aus dem Pool. Er war, zusammen mit einer alten Frau, der einzige, der sich traute in den Pool zu gehen. Er stützte sich mit seinen muskulösen Armen am Rand ab und zog sich aus dem Becken. Am Rand blieb er sitzen und rubbelte sich die nassen Haare mit dem Handtuch trocken, dass seine Mutter ihm gab. Er sah zum Sterben gut aus; braune Haare (an den Seiten kurz oben etwas länger), braune Augen und gebräunte Haut. Ich war völlig hingerissen und sah ihm wie hypnotisiert an, als mir jemand plötzlich auf die Schulter fasste. Ich zuckte heftig zusammen und stieß eine leisen Schrei aus. Als ich herumwirbelte, stand Maddie vor mir. "Hi, Jacky!" Sie hatte einen Jungen bei sich. Er hatte hellbraune kurze Haare und war ebenfalls sehr muskulös. "Das ist Logan", antwortete sie auf meinen fragenden Blick. "Ich habe ihn eben kennengelernt. Ist er nicht süß?"
Ich nickte nur abwesend. Madison konnte nachdenklich sein, so wie heute morgen am Pool, als sie liebend gerne schwimmen gegangen wäre, sie konnte aber auch leicht zuhaben und heiß sein - wie jetzt.
"Logan und ich gehen etwas spazieren. Du kannst mitkommen, wenn du magst?" Sie sah dabei nicht mich, sondern Logan an. Es stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, wie verknallt sie war. Ihm stand es förmlich ins Gesicht geschrieben, wie heiß er sie fand.
Ich schüttelte den Kopf. Es war eh eine rhetorische Frage gewesen. "Nein, geht ihr ruhig allein."
"Okay." Sie lächelte hoheitsvoll. "Bis dann!" Winkend gingen die beiden davon, und ich blieb allein zurück. Nicht dass ich besonders neidisch war, nein, ich sehnte mich nur danach auch jemanden zu haben. Aber das war völlig absurd. Mich, das unscheinbare arme Mauerblümchen, würde sowieso niemand wahrnehmen. Nicht, wenn er all die hübschen reichen Girls haben konnte, so wie Maddie.
Als ich zurück zum Pool schaute, war der hübsche Junge weg. Ich beschloss zurück zur Wohnung zu gehen. Wenn mich hier jemand sitzen sah, in den alten Sachen und einsam und allein, würde er eh nur den Kopf schütteln. Die laue Abendluft umhüllte mich.
Auf dem Weg zum Appartement, der durch eine gepflegte Gartenanlage führte, wählte ich Moms Nummer. Es tutete. Dann ertönte: "Hallo, hier ist die Buchhandlung Bennett. Ich bin wahrscheinlich gerade mit den Büchern zugange. Rufen sie doch zurück! Tschüss!" Beim Klang von Moms Stimme wurde ich nur noch trauriger. Obwohl das total merkwürdig war. Ich war auf der wunderbaren Mittelmeerinsel Mallorca, es waren Sommerferien und ich war mit einer stinkreichen Familie hier und erlebte den Urlaub, den ich sonst nie kriegen würde. Trotzdem wünschte ich mir, in meinem stickigen Zimmer in New York City zu sein, den Traumfängern zuzuschauen, wie sie im Wind schwebten, unten Mom im Buchladen zuzuhören... Ich unterdrückte meine Tränen. Dann legte ich auf und klingelte an der Tür zu unserer Wohnung.

Cool kids don't lieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt