-Lügen über Lügen-

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Tat ich natürlich nicht. Beim Abendessen saß ich nur stumm daneben und hörte meinem Onkel und meiner Tante mit halben Ohr zu wie sie über den bevorstehenden Herbsturlaub in Kalifornien sprachen.
"Das Gespräch ist furchtbar langweilig, oder?", flüsterte Maddie mir plötzlich zu.
Ich riss den Kopf überrascht herum. "Nein", log ich. "Sei froh, dass ihr jede Ferien wegfahrt!" Unbeholfenen lächelte ich.
Madison lächelte bedauernd, aber zickig zurück. "Oh, stimmt ja. Du bist ja immer im verstaubten Buchladen deiner alleinstehenden Mutter. Hast du nicht schon längst eine Stauballergie?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, noch nicht." Worauf wollte sie hinaus?
Sie nickte. Damit war unsere etwa einminütige Unterhaltung fertig.

Den restlichen Abend verbrachte ich in meinem Zimmer. Maddie konnte mich aus irgendeinem Grund nicht ausstehen. Sie hasste mich! Nur wieso? Weil ich zwar auch wie sie ein durchgeplantes Leben habe, aber damit klar komme? Ich Shane habe, der mich liebt? Gut, er kennt mein wahres Ich nicht so wirklich... Ich stöhnte und schaute in die Sterne. Nur noch eine Woche und dann war die Zeit um und ich flog zurück nach New York. Ich ging zum Nachttisch und holte mein Handy heraus. Dann schrieb ich Gracie: Hi! Wie gehts dir? Seid ihr schon wieder zu Hause?
Sie antwortete: Morgen geht unser Flug. Und ich habe natürlich keinen Star gesehen. War ja klar... Sag mal, wie geht es dir und Shane? :)
Ich lächelte matt und tippte: Geht so. Madison steht irgendwie zwischen uns.
Sie antwortete: Wie meinst du das?
Ich schrieb: Sie will ihn mir wegnehmen und merkwürdigerweise ist ihr das noch nicht gelungen. Ich meine Shane ist echt süß und ich? Was habe ich schon zu bieten?
Gracie antwortete: Vielleicht liebt er dich einfach? Schon mal daran gedacht??
Ich runzelte die Stirn. Ich weiß nicht so recht... Warum sollte er auf mich stehen?! Na ja, wir haben eh nur noch die eine Woche. Dann gehts nach Hause.
Sie schrieb: Genieß es, Baby! :) Bis dann!
Ich schrieb daraufhin: Bye!
Dann fiel ich in einen unruhigen Schlaf.

Am nächsten Morgen beim Frühstück begegnete ich Shane am Buffet.
"Hi!", sagte er und küsste mich zur Begrüßung auf die Wange.
Ich würde natürlich prompt rot. Wie ich mich dafür hasste! "Hallo!"
"Hast du Lust heute mit mir an den Strand zu gehen? Das Wetter ist herrlich und meine Eltern wollten heute einen Shoppingtag machen."
"Dein Vater etwa auch?", fragte ich ungläubig.
"Gut, meine Mutter wollte shoppen gehen und sie hat meinen Vater gezwungen mitzugehen."
Ich lachte. "Das passt schon eher. Klar komme ich mit!"
"Cool!" Er streckte mir beide Daumen hoch entgegen. "Wir treffen uns um halb elf an der Bushaltestelle, okay?"
Ich nickte und wand mich zum Gehen. "Okay. Bis dann!"
"Bye!" Er winkte mir zu und verschwand an seinen Tisch.
Als ich an meinen zurückkehrte starrte mich Maddie mit hassverzerrtem Gesichtsausdruck an. Ich setzte mich mit klopfendem Herzen ihr gegenüber. Das Brötchen was ich mir genommen hatte erschien mir ungenießbar. Kein Wunder, wenn einen hasserfüllte Augen anstarren und jeden Blick und jede Geste beobachten.

An der Bushaltestelle stand bereits Shane als ich um die Ecke bog. Er trug ein weißes Polohemd und Jeansshorts. Ich hatte ein dunkelgrünes T-Shirt und eine weiße Shorts an. Beides war ziemlich ausgewaschen, doch Shane sah mich an, als hätte ich ein edelsteinbesetztes 5000$ Kleid an.
"Wow!", rief er aus. "Du siehst klasse aus!"
Ich errötete. "Du übertreibst! Ich hab dich bloß diese alten Sachen an!"
"Ich finde, es steht dir!" Klar, ich hatte ja auch zwei Jahre lang Zeit sie zu tragen...
"Da kommt der Bus!", wechselte ich gekonnt das Thema. "Lass uns einsteigen!"
Im Bus setzten wir uns auf die letzten noch verbliebenen freien Plätze. Ich rückte ein Stück von ihm ab, obwohl ich ihm gleichzeitig nah sein wollte. Ergab das Sinn?
"Was arbeiten deine Eltern eigentlich?", fragte er mich.
Fast hätte ich "Meine Mutter ist Buchhändlerin!", gesagt. Zum Glück konnte ich es noch verhindern und sagte stattdessen: "Mom arbeitet in New Yorks bester Boutique und... Dad arbeitet bei der New York Times."
"Cool. Meine Eltern sind beide Ärzte." Er kratzte sich am Kopf.
"Und willst du auch Arzt werden?" Ich musterte ihn.
"Ich weiß nicht. Ich interessiere mich auch für Psychologie...", antwortete Shane.
"Psychologie, interessant.", murmelte ich.
Er lachte. "Na ja, ich soll die Praxis meiner Eltern übernehmen, also wird es wohl nur ein ungelebter Traum bleiben."
Ich lächelte ihn traurig an. "Ja, ich werde wahrscheinlich auch den Laden meiner Mutter übernehmen." Hiermit meinte ich den Buchladen meiner Mutter. Sie hatte es zwar nicht ausdrücklich gesagt, dass ich ihn übernehmen sollte, aber ich wollte es so. Ich wusste, dass Mum glücklich sein würde, wenn ich ihn übernahm. Das "Bennett's" bedeutete ihr alles. Da Mom wollte, dass ich studierte, würde ich Germanistik und Kunst studieren. Das konnte ich für den Buchladen gebrauchen.
"Du sollst die Boutique übernehmen?" Shane holte mich zurück in die Gegenwart.
"Nein... äh, Ja! Ja, das soll ich.", haspelte ich.
"Und deine Schwester Madison? Was macht sie, wenn du die Boutique übernimmst?", fragte er. Gute Frage!
Ich wickelte nachdenklich eine Haarsträhne um meinen Finger. Tja, was machte sie dann...? Hatte sie nicht letztens gesagt was ihre Eltern von ihr verlangten? "Sie soll such Journalistin werden."
"Ah, will sie das?" Seine Fragerei machte mich misstrauisch. Warum interessierte er sich so für Maddie?
"Ähm, nein. Sie will lieber in der Gegenwart leben anstatt sich auf die Zukunft zu konzentrieren.", antwortete ich.
"Und willst du die Boutique führen?", fragte er dann.
Ich antwortete so, als hätte er gefragt, ob ich den Buchladen führen wollte. "Ja. Ich finde es nicht schlimm, sich auf die Zukunft zu fixieren. Ich plane gerne vor. Ich würde sogar fast sagen, ich lebe mehr in der Zukunft als in der Gegenwart."
Er nickte. "Da seid ihr also ziemlich verschieden."
Endlich hielt der Bus am Strand und ich war von der quälenden Lügnerei erlöst. Am Strand bezahlten wir einen Sonnenschirm und zwei Liegen und legten uns darauf. Die Sonne stand hoch und es waren 37° Celsius. Ich schwitzte und hätte am liebsten gebrüllt wer ich wirklich war. Ja, einfach in den Wind. Oder in Shanes Ohr. Ich bin Jacky Bennett! Ich komme aus New York und ich werde Buchhändlerin genau wie meine Mutter. Ich bin übrigens Einzelkind und habe keinen Vater mehr! Und Madison, Jessica und Daniel sind meine Cousine, Tante und Onkel!! Doch das sagte ich nicht. Würde ich es überhaupt je sagen können? Ich atmete tief durch und lehnte mich auf meiner Liege zurück. Das Leben war nicht leicht.

Cool kids don't lieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt