Ich hätte meine Kippen nicht wegschmeißen sollen, die hätten mich jetzt beruhigt. Stattdessen laufe ich mit zwei Pizzastücken in der Hand durch die Straßen. Auf dem Fußweg sehe ich von weiten einen Bettler. Vielleicht hat er ja eine Zigarette für mich? Aber wie spricht man so jemanden an? Ich beiße in eines der beiden Stücken und laufe geradewegs auf ihn zu.
"Entschuldigung" beginne ich und sehe mich kurz um, ob hier jemand rumläuft und das ganze beobachtet.
"Hast du zufälligerweise eine oder zwei Zigaretten für mich? Ich gebe ihnen auch genug Geld, wirklich" stelle ich dann meine Frage.
"Das Stück Pizza wäre mir lieber" murmelt der Mann. Er wirkt unterernährt, sieht im Gesicht richtig eingefallen aus. Nicht er trägt seine Kleidung, sondern die Kleidung trägt ihn. Sie ist ihm trotzdem viel zu kurz und kaputt. Seine Haare sind unordentlich, der Bart viel zu lang. All zu alt scheint er mir aber nicht zu sein.
"Natürlich, hier" antworte ich und gebe ihm das andere, noch unberührte Stück.
"Bist du immer hier?" frage ich weiter, während der Mann seine Zigarettenschachtel hinausholt.
"Meistens, hier laufen einige Menschen rum, die gern helfen" antwortet er und schenkt mir ein winziges Lächeln, während er mir letztendlich sogar drei Zigaretten hinhält. Hätte nicht gedacht, das ich mit ihm besser reden kann, als mit meinen Eltern. Ich beiße erneut von meinem Stück Pizza ab und stecke die Zigaretten ein.
"Und was suchst du hier? Bist du noch zu jung für Zigaretten und bekommst sie nirgendwo anders?"
"Darf ich?" frage ich und setze mich neben ihn. Er nickt und ich nehme neben ihm Platz.
"Ich habe eigentlich aufgehört neben meiner Freundin, aber ich muss runterkommen und das kann ich am besten durchs rauchen"
"Manchmal ist das einzige was man braucht seine Ruhe und eine Zigarette" erwidert der Mann darauf und gibt mir sein Feuerzeug, woraufhin ich mir die Zigarette anzünde.
"Und Essen" lache ich und halte den winzigen Teil meiner Pizza nach oben.
"Was ist deine Geschichte?" will ich dann von ihm wissen.
"Meine Geschichte?"
"Jeder hat doch eine Geschichte, was ist deine?" frage ich erneut.
"Ich hab keine Geschichte, jedenfalls keine, die man erzählen, geschweige denn hören will"
Auch er nimmt sich sein Pizzastück und beißt hinein.
"Na schön, dann fange ich eben mal an" sage ich nach einem kurzen Seufzer.
"Ich bin vor ein paar Monaten hier hergezogen, aus Spanien, da mein Vater hier ein gutes Jobangebot erhalten hat. Ich war nie der 'gute Junge', sondern eher ein Rebell. Ich hab in Spanien alles schleifen lassen. Hier wollte ich mich ändern..auch für dieses eine Mädchen. Es hat zwar gedauert mit uns, aber mittlerweile sind wir zusammen, aber erst nach Umwegen. Und diese Umwege bereiten mir gerade ziemliche Probleme und sorgen dafür das ich von der Schule suspendiert werde, meinen Job verliere und Krach mit meinen Eltern habe. Und jetzt sitze ich hier draußen und erzähle einem Fremden davon"
"Wie heißt du?" ist das erste was er fragt.
"Diego" antworte ich verwirrt.
"Lucio. Siehst du, jetzt hast du es niemand fremdes erzählt"
Ich lache und nehme wieder einen Zug vom Glimmstängel.
"Ich machs kurz, okay? Ich habe den falschen Menschen vertraut, Scheiße gebaut und dafür die Quittung bekommen. Jetzt lebe ich schon seit zwei Jahren so. Es ist hart, aber hey, ich habs überlebt"
"Was ist mit deiner Familie?"
"Die will nichts von mir wissen" schnaubt er verächtlich.
"Manchmal ist das vielleicht sogar besser so" sage ich und zucke mit den Schultern.
"Das stimmt"
"Wie lang bist du heute noch hier?"
"Den ganzen Abend, bis die Polizei wiederkommt und sagt ich darf hier nicht bleiben"
"Okay. Pass auf, ich bin in spätestens einer Stunde wieder zurück, also überleg es dir nicht anders, okay?"
"Ich werde hier sein"
So schnell es geht mache ich mich auf den Weg nach Hause, als mein Handy vibriert.
"Was ist?" frage ich und gehe mit schnellen Schritten über die Straße.
"Wo bist du? Ich suche dich wie ein Idiot!" fährt Ludmila mich an.
"Ich muss schnell was erledigen"
"Und was?!"
"Sei nicht so neugierig, ich erzähle es dir später"
"Und was soll ich jetzt machen? Ich habe deine Eltern total angesaut, ich kann mich jetzt schlecht wieder dort reinsetzen und so tun, als wäre nichts gewesen"
"Du kannst mir einen Gefallen tun, ich hole dich dann auch von dort ab"
"Und welchen?" stöhnt sie genervt.
"Bestell eine große Pizza Salami zum mitnehmen"
"Wie kannst du jetzt ans essen denken?"
Ich sehe sie gerade vor mir, wie sie ihre Augen verdreht und sich fragt, was ich denn für Probleme habe.
"Nicht für mich. Ich kläre dich später auf, ich muss jetzt auflegen. Bis später"
Ehe sie was erwidern kann lege ich auf, nehme meine Beine in die Hand und flitze los.---
Mit dem Taxi komme ich vierzig Minuten nachdem ich los bin vor der Pizzeria wieder an. Das laufen wäre jetzt eindeutig zu anstrengend gewesen, mit meiner Raucherlunge. Ich bezahle den Fahrer und steige aus.
"Da bist du ja endlich, das nächste mal nimmst du meine An-" will sie mich schon wieder ankeifen, doch ich drücke meine Lippen einfach auf ihre, sodass sie den Mund hält. Ich löse mich von ihr und schenke ihr eins meiner Lächeln, was sie sowieso schwach werden lässt.
"Hast du die Pizza?" frage ich und sie hält mir den Karton unter die Nase.
"Was willst du mit dem Rucksack und der Tasche?" fragt sie mich dann.
"Komm mit und ich zeige es dir" sage ich, lege den Karton in die Tasche und nehme Ludmilas Hand in meine.
"Du wirst mir nicht verraten was wir machen oder wohin es geht, habe ich recht?"
"Da hast du völlig recht" grinse ich und wir gehen die Straßen entlang, bis ich Lucio sehe.
"Diego, was machen wir?" fragt Ludmi und will stehen bleiben.
"Ich möchte nur jemanden helfen" erwidere ich und laufe weiter, sodass die Blondine gezwungen wird hinterherzulaufen.
"Hier bin ich wieder" begrüße ich ihn, stelle Tasche und Rucksack ab.
"Und wie ich sehe, sogar mit Besuch"
"Lucio, das ist Ludmila. Ludmila, Lucio" stelle ich die beiden einander vor. Ludmila denkt bestimmt ich verarsche sie gerade, das sagt zumindest ihr Gesicht.
"Willst du umziehen?" fragt er mich dann, mit Blick auf die Sachen.
"Nein, ich habe etwas für dich" antworte ich und hole den Karton aus der Tasche.
"Ich dachte mir, du hast bestimmt noch Hunger, ein Stück macht nicht unbedingt satt. Ist zwar nicht mehr so heiß, aber noch immer genießbar"
"Wow, dankeschön. Willst du noch ein paar Zigaretten dafür?" fragt er und nimmt glücklich die Pizza entgegen.
"Du hast Zigaretten von ihm?" schnauzt Lu mich jetzt an.
"Nur ein paar, ich brauchte was zur Beruhigung" rechtfertige ich mich.
"Du bist unglaublich!" entgegnet sie aufgebracht. Übertreiben kann sie perfekt, genauso wie Drama machen aus allem. Ich erwidere nichts auf ihre Worte, sondern widme mich wieder dem Bettler.
"Das alles hier ist auch für dich" sage ich und stelle ihm Tasche und Rucksack vor die Füße.
"Es sind zwar nur Klamotten, aber sie sind gut erhalten und passen dir bestimmt"
"Das kann ich nicht annehmen"
"Doch. Bitte. Tu mir den Gefallen und nimm die Sachen. Ich brauche sie nicht mehr, du schon" beharre ich auf meiner Entscheidung. Er schluckt und schaut kurz auf den Boden, ehe er mich wieder direkt ansieht.
"Dankeschön, das bedeutet mir gerade wirklich viel"
"Immer wieder gern. Und hey, vielleicht komme ich demnächst mal wieder vorbei, dann essen wir wieder eine Pizza" schlage ich ihm vor.
"Ich werde hier sein"
Wir geben uns die Hände und ich stehe auf.
"Ciao" verabschiede ich mich, was er mit einem Winken erwidert. Wir machen uns gerade auf den Weg, als er meinen Namen ruft.
"Was ist mit dem Umschlag?" will er von mir wissen.
"Den kannst du behalten" rufe ich zurück und wir gehen weiter.
"Das war ja eine richtige Heldentat...aber sage mal bist du doof? Du kannst ihm doch nicht deinen halben Kleiderschrank schenken"
"Ich brauche nichts Materielles, er schon. Ich will nur helfen und wenn ich das mit Klamotten, Essen und Geld schaffe ist ja alles gut"
"Geld?"
"Ich hab ihm Geld in den Umschlag gelegt"
"Wie viel?"
"Etwas von meinem Ersparten"
"Dir ist wirklich nicht mehr zu helfen. Schön und gut, dass du nett sein willst, aber man kann es auch übertreiben"
"Man kann nie genug helfen und ich mache das gern, wirklich gern"
"Du bist eindeutig die gute Seele von uns beiden"
"Was dachtest du denn?"
"Ich dachte immer, ich wäre die gute Seele"
"Davon träumst du wohl Nachts Supernova" necke ich sie und wir laufen Richtung Zuhause. Es stimmt, eine gute Tat am Tag kann die Laune erheblich heben.Diego ist eindeutig eine gute Seele ^-^
Vollbringt ihr auch oft gute Taten? Ich muss zugeben, ich mache das nur bei Mc Donalds. Wenn ich Kleingeld habe, werfe ich das in die Spendenkasse. :D

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El Mismo Sol
FanfictionKeine Adressen, keine Handynummer, keine Nachnamen. Nichts. Das spielt für die Bungalow Nachbarn Ludmila und Diego keine Rolle, als sie sich im Urlaub immer näher kommen. Allerdings ist ihre gemeinsame Reisezeit begrenzt und beide kehren zurück nach...