96. »Bin ganz deiner Meinung.«

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Die blasse, bereits schmal gewordene Sichel des Mondes war das Einzige, das einen Lichtschimmer erzeugte. Die Umgebung konnte man nur erahnen, aber es sah wie eine beinahe endlose Wiese aus, in der Ferne ein klobiges Monument und etwas, das ein Wald sein könnte. Winzige Punkte übersäten den wolkenlosen Himmel, kleine Sterne, fern und blass. »Auch wieder hier?«

Jason, eben noch mit dem Rücken zu mir, drehte sich um. Seine Arme hatte er auf der Brust verschränkt und in seinen Augen funkelte endlose Schwärze. »Siehst du doch.« Ich umschlang fröstelnd meinen Körper. Einen Moment lang ließ er einfach nur seinen Blick über mich schweifen, dann senkte er den Kopf. »Deine Aufgabe, erinnerst du dich? Er ist seit Stunden im Archiv, nicht gerade typisch für ihn. Am besten gehst du gleich los.«

Angesäuert verzog ich das Gesicht. »Dann geh doch einfach du und schau nach ihm. Dazu brauchst du mich doch nicht.« Jasons Augen bohrten sich in meine. »Genau. Sobald ich auftauche, wird er, sollte er etwas vor mir verbergen wollen, dies auch tun. Ganz einfach weil er weiß, dass ich da bin. Da ist es kein bisschen hilfreich, jemanden zu schicken, den er nicht bemerken kann. Bin ganz deiner Meinung.« Seine Stimme triefte vor Ironie.

Ich verdrehte die Augen. Es kam mir einfach so dämlich vor. Als wäre ich im Kindergarten und spielte Detektiv. Lächerlich. »Als Aufgabe würde ich das nicht bezeichnen!«, widersprach ich vehement und starrte aufgebracht zurück. »Eher als Gefallen. Also würde ich vorschlagen, dass du mich nicht so behandelst, als wäre ich dein Dienstbote.« Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern - vermutlich in die Richtung »Das bist du sehr wohl« -, hielt sich dann aber doch zurück und lächelte kalt.

Sein Verhalten machte mich aggressiv. Was hatte ich getan, dass er so mit mir umging? Nun ja, es war fast schon Strafe genug, dass er versuchen würde, mir Schwertkampf beizubringen. Da konnte ich auch mal etwas nachsichtig sein. »Also, dann viel Spaß beim Alleinsein im Nichts«, fuhr ich fort und stiefelte los, auf die Festung in der Ferne zu. Wenn ich Glück hatte, wachte ich auf, bevor ich ankam.

Aber das Glück mochte mich wohl immer noch nicht, denn nichts geschah, auch als ich durch die Tore ging. Jetzt, bei Nacht, herrschte Ruhe. Das Tor war zwar offen, aber kaum jemand war zu sehen, außer ein paar Leute, die Wache schoben. Was in meiner Situation eher weniger brachte, sie konnten mich ja nicht sehen. Zügig durchquerte ich die Eingangshalle und fand relativ schnell den Weg zum Archiv.

Es überraschte mich selbst, wie gut ich mich noch erinnern konnte, schließlich zählte Zurechtfinden nicht gerade zu meinen Stärken. Kurz blieb ich vor der Tür des Archivs stehen und atmete tief durch. Obwohl Jason gemeint hatte, niemand außer ihm könnte mich hören, wagte ich es nicht, ein Geräusch von mir zu geben.

Mit einer Gänsehaut im Nacken schlich ich mich in den großen Raum. Sofort umfing mich der Geruch nach Papier, den ich so liebte. Er erinnerte mich an all die Geschichten, die ich gelesen hatte. Wie ich mit den Charakteren gelitten und mitgefiebert hatte. Das Ganze hatte sich sogar so weit entwickelt, dass ich des Öfteren niedergeschlagen oder leicht reizbar war, wenn es gerade schlecht für meine Lieblingscharaktere lief.

In gewisser Weise waren Bücher für mich immer eine Reise in eine andere Welt gewesen. Bis ich mich in einen Drachen verwandelt hatte.
Ein Rascheln lenkte mich zum verwinkelteren Teil des Raumes, in den man von den meisten Stellen aus keinen Blick werfen konnte. Ich musste nah herangehen, wenn ich sehen wollte, was Acrain da las. Falls es wirklich Acrain war, den ich da hörte.

Er war es tatsächlich. Gerade hatte ich noch ein vollgestopftes Regal vor der Nase, dann machte dieses einen Knick und ich stand vielleicht zwei, drei Meter vor dem Mistkerl. Auf dem Boden lagen durcheinander beschriebene sowie leere Blätter Papier, aufgeschlagene Bücher und Kugelschreiber. Es sah absurd aus, wie ein solch neumodisches Produkt Seite an Seite zu einer uralten, halb zerfallenen Papyrusrolle lag.

Acrain selbst machte sich gerade Notizen auf einem weiteren Block, den er am Regal abstützte. Vorsichtig näherte ich mich weiter, in der Hoffnung, einen Blick auf den Block werfen zu können. Mit etwas Mühe konnte ich den Anfang entziffern:
Übertragung der Kräfte eines Drachenwandlers...
Was hatte das zu bedeuten? Wollte Acrain etwa jemandem die Kräfte stehlen?

Dragons-Magische VerwandlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt