103. »Wir sollten uns lieber nicht trennen.«

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Mit dieser eindrücklichen Warnung begann auch ich den Abstieg. Das Metall der Leiter war rau und rostig; ich musste höllisch aufpassen, um mir nicht die Hände aufzuscheuern. Die Lampe hatte ich mir an der Schnur, die daran befestigt war, um den Hals gelegt. Das schaukelnde Licht streifte immer mal wieder Connors Haarschopf.

Schweigend kletterten wir vier weiter und weiter, bis endlich Connor von unten verkündete: »Geschafft, Leute!« Ein leises Plätschern war zu hören, und als auch ich von der Leiter stieg, war mir klar wieso. Das hier musste das Tunnelsystem der Kanalisation sein. Im schwachen Schein der Taschenlampe konnte man die Tunneldecke etwa drei Meter über uns und den Schacht, durch den wir eingestiegen waren, erahnen.

Der Gang erstreckte sich in beide Richtungen in unendliche Schwärze. Unter unseren Füßen war eine wenige Zentimeter hohe Wasserschicht, die schwarz glitzerte. Am Rand des Tunnels war ein schmaler Weg, auf dem man trockenen Fußes weiter dem Kanal folgen konnte, was auch gar nicht so dumm war - ein paar Schritte weiter stieg der Wasserspiegel immer weiter. Dort musste der Boden immer weiter absinken.

Wahrscheinlich war nur wegen dem Zugang die Stelle hier so seicht. Schließlich standen wir alle vier im Wasser. Fennus überlegte kurz. »Wir sollten uns lieber nicht trennen. Das heißt, wir müssen uns jetzt für eine der beiden Richtungen entscheiden.« Ich leuchtete in beide Tunnelseiten, aber sie sahen absolut gleich aus: dunkel, voller Wasser und unendlich.

Es war Connor, der schlussendlich wieder den ersten Schritt machte und auf eine Seite zeigte. »Wie wär's damit?« Keiner erhob irgendwelche Einwände; wieso auch - bei zwei identischen Gängen. Im Gänsemarsch folgten wir dem schmalen Weg, Connor voraus, Fennus zuletzt und wir Mädchen dazwischen. Ich würde zu gern mit meinen Kräften ein paar Blitze vorausschicken, denn trotz Taschenlampe konnte man keine fünf Meter weit sehen.

Doch leider war ich machtlos, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Gang wurde schmaler und wenn ich mich nicht täuschte, war auch die Decke bald nur noch halb so hoch wie anfangs. Plötzlich blieb Connor stehen, sodass ich fast in ihn hineingerannt wäre. Genervt leuchtete ich nach vorn, um den Grund für unser Stoppen zu sehen. Eine schwarze Mauer beendete den Weg. Es gab kein Durchkommen.

Das war aber auch gar nicht nötig, denn vor der Mauer im Wasser glitzerten... »Flaschen! Da, unten im Wasser!« Al deutete wild auf die Stelle, auf die die Lampe gerade strahlte. Unter Wasser musste sich eine Art Kammer befinden, denn in dieser Kammer waren dunkle Schemen, die nur Schränke sein konnten. Und darauf standen Reihen von winzigen Flaschen, Phiolen und anderen Glasbehältern, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.

Während Fennus noch: »Wartet, das könnte eine Falle sein!«, rief, ging Al schon in die Hocke und machte Anstalten, ins Wasser zu klettern. »Also ich sehe hier nur Wasser«, gab Alecya patzig zurück und ließ sich mit den Beinen voraus ins mit Sicherheit eiskalte Wasser gleiten. »Das schulde ich ihr«, flüsterte sie noch, bevor sie abtauchte. Wie gebannt beobachtete ich, wie sie die Hände nach der obersten Regalreihe ausstreckte und die erstbesten Flaschen, die sie zu fassen bekam, griff.

Mit vollen Händen ruderte sie zurück in Richtung Wasseroberfläche. Ich dachte, sie würde auftauchen, aber kurz bevor sie die Luft erreichte, hielt sie inne. Ruderte wie wild mit den Armen, streckte die Finger nach oben, kämpfte gegen einen unsichtbaren Widerstand an. Es schien, als schaffe sie es nicht, aufzutauchen.

Ohne zu zögern ging ich in die Hocke und streckte ihr meine Hand entgegen, um sie herauszuziehen. Ich sah die Panik in ihren Augen, als sich unsere Blicke trafen. Sie öffnete den Mund, schrie offensichtlich etwas, was vom Wasser aber vollkommen verschluckt wurde. Ich fluchte und beugte mich noch weiter vor, bekam sie aber einfach nicht zu fassen.

Noch ein kleines Stückchen weiter, ein bisschen mehr strecken... »Pass auf, Connie!« Wasser überall. Beißende Kälte. Wo war unten und oben? Panik, Unverständnis. Keine Luft. Wild mit den Armen rudernd versuchte ich mich zu orientieren. Da, jetzt hatte ich mich wieder gefangen. Was für ein verdammter Mist! Ich war kopfüber ins Wasser gefallen, bei dem Versuch, Alecya herauszuziehen.

Die Kälte kroch mir bis in die Knochen und alles in mir schrie danach, sofort aus dem Wasser zu steigen. Neben mir nahm ich jetzt auch Alecya wahr. Ihr Gesicht war blass und in ihren Augen stand blanke Angst. Noch immer hatte ich nicht begriffen, was eigentlich das Problem war. Mit zittrigen Armschlägen schoss ich auf die Wasseroberfläche zu.

Mein Körper schrie geradezu nach Sauerstoff. Und dann verstand ich endlich. Das Wasser war nicht normal. Es war, als wäre die Wasseroberfläche ein Spiegel, oder bewegliches Glas, gegen das man mit Schwung knallte. Wir waren gefangen. Im Wasser. Und uns blieben nur Minuten, bis wir ertrinken würden...

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