15: Ungeahnte Seiten und aufregende Begegnungen

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Dass er mich weiterhin anschwieg, störte mich schon ein wenig. Wem machte ich etwas vor, es war unheimlich befremdlich, selbst für Ryans Verhältnisse. Ich wagte es nicht, ihn zu provozieren, damit er sein Schweigen brach. Dafür fürchtete ich mich einerseits zu sehr vor ihm, andererseits mehrte sich mein Respekt ihm gegenüber, nachdem er mir geholfen hatte.

Jedoch – und daran konnte ich aufgrund meiner eigenen Neugierde nichts ändern – schweifte mein Blick von der bekannten Umgebung außerhalb des Autos immer wieder zu dem Mann neben mir. Er musste mit den Zähnen knirschen, denn sein Unterkiefer sah angespannt aus und schob sich von links nach rechts. Ich zügelte mein Starren in dem Wissen, dass es ihn nur wieder ausfällig werden lassen würde. Eine Sache, die ich nachvollziehen konnte. Wenn ich auch nur im Glauben war, jemand könnte mich von der Seite beobachten, machte ich alle möglichen, komischen Dinge: stolperte auf freier Fläche und konnte mich nicht mehr konzentrieren. Vielleicht erging es ihm ähnlich.

Ich spielte mit meinen Finger, presste die Daumen gegeneinander. Allmählich begann ich mich in seiner Nähe sicher zu fühlen. Unerwünscht und ängstlich, etwas Falsches zu sagen, aber sicher vor so ziemlich allem anderen. Denn wer könnte jemandem wie Ryan schon gefährlich werden?

Die Außenwände meines Wohnhauses kamen zwischen den kleinen Bäumen in Sicht, wie ein Nagel, der in ein Holzbrett geschlagen worden war. Ich hatte mich oft gefragt, wieso man so einen Betonklotz inmitten von Einfamilienhäusern gesetzt hatte, wo er das Gesamtbild eines idyllischen Lebens im Grünen doch zerstörte. So hässlich dieses Gebilde von außen aussah, die Wohnungen darin waren geräumig und lichtdurchflutet. Außerdem gab es eine große Hofeinfahrt und Parkplätze, die nicht extra bezahlt werden mussten. Geradezu perfekt für eine Studentin wie mich.

Genau noch eine Parkbucht war frei. Zwei der stehenden Autos kannte ich nicht. Die Nachbarn hatten wahrscheinlich Besuch. Was für ein Wochentag war heute überhaupt? Ich ging die Tage im Kopf durch, falls ich keinen vergessen hatte, sollte zumindest Wochenende sein. Die vergangenen Tage hatten ein ganz schönes Durcheinander in meinem Kopf hinterlassen.

Dieses Mal versuchte ich, selbstständig aus dem Jeep zu klettern und verhakte meine Krücken dabei, weil ich zu übervorsichtig war. Für meinen Begleiter und Aufpasser musste das sehr unbeholfen ausgesehen haben und zu allem Überfluss hatte ich mir auch noch meinen verletzten Fuß an der Türverkleidung des Autos gestoßen. Wie ein Welpe mit zu großen Füßen polterte ich gegen jeden Gegenstand, der sich in meiner umliegenden Nähe befand. Die Schmerzen überspielte ich gekonnt. Darin besaß ich ausreichend Übung, so oft wie ich bereits gegen Schränke und Tische gelaufen war.

Als Ryan mir seufzend seine Hand anbot, konnte ich nicht ablehnen. Ich brauchte seine Hilfe, ansonsten würde ich in diesem Wagen versauern. Außerdem gab ich es auf, meinen Stolz zu wahren, denn mit den Krücken stellte ich mich nicht nur im Auto, sondern auch auf dem Hof ungeschickt an. Aber das war wohl normal, wenn man das erste Mal zum Großteil seine Arme zum Laufen benutzte, statt seiner Beine und Füße.

"Hier", grummelte er und nahm meine Hand grob in seine.

Etwas Kaltes fiel auf meine Haut, als er seine Hand wegzog und sie an seiner Hose abstreifte. Ich öffnete meine Finger weiter und starrte auf den silbrigen Gegenstand. Verdutzt sah ich zu ihm auf, aber er hatte sich bereits von mir abgewandt.

"Mein Schlüssel?", fragte ich ihn dennoch, auch wenn er mir wahrscheinlich nicht mehr zuhörte. "Woher hast du den denn?"

Aber Ryan antwortete nicht auf meine Fragen, sondern lief weiter und geradezu unaufhaltsam zum Hauseingang. Ich beließ es dabei, weil ich nicht im Stande war, gegen seine Ignoranz anzukämpfen und weil ich ihn nicht wieder wütend machen wollte.

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