29: Aus Traum wird Alptraum

5.4K 429 133
                                    

Von draußen tönten ununterbrochen die Schläge eines Hammers zu mir ins Zimmer. Die ersten Nägel verschwanden scheinbar mühelos im Holz. Zwei bis drei Schläge, dann eine Pause. Ich mochte den gedämpften Widerhall, wenn der Hammer auf das Holz donnerte und den Nagel hinein trieb.

Die unablässige Geräuschkulisse machte mein übermüdetes Ich verrückt. Ich wälze mich von der einen auf die andere Seite, überlegte, ob ich Hunger verspürte oder mein Magenkurren der Nervosität geschuldet war. Obwohl der gestrige Tag nach seinem anfänglichen Durcheinander ruhig endete, konnte ich meine innere Unruhe nur schwer unterdrücken. Zu viele Gedanken. Unnütze Gedanken über Dinge, die ich nicht oder noch nicht ändern konnte.

Seufzend richtete ich mich auf, streckte meine Glieder und strampelte die Decke von meinen Beinen. Sogleich erfasste die Kälte des Raumes meine Füße. Das Fenster über meinem Bett stand einen Spalt offen, weil ich gehofft hatte, die frische Luft würde meinem Kopf gut tun und mich schneller in den Schlaf wiegen. Meine Kopfschmerzen hatten sich zwar verabschiedet, aber die Kälte wirkte sich wenig förderlich auf das Aufstehen an sich aus.

Mit meiner Hand fuhr ich über meinen Knöchel, der erstaunlich belastbar schien. Ich stand auf, probierte erst die Hälfte meines Gewichtes auf ihn zu verteilen, dann zwei Drittel und stellte fest, dass mein Fuß beinahe ganz einsatzfähig war. Lächelnd huschte ich quer durchs Zimmer, hinaus auf den Flur und ins Badezimmer. Die Dusche weckte mich endgültig auf und für einen Moment verdrängte ich die monotonen Geräusche des Hammers, der krachend das Haus bearbeitete. Ryan werkelte sicher an dem zerstörten Eingang herum, den er selbst zu verschulden hatte. Ich trug allerdings eine Teilschuld daran.

In einen dicken Pullover gehüllt und mit noch klammen Haaren hangelte ich mich die Treppe herunter, um Ryan behilflich zu sein. Nun ja, soweit es mir möglich war. Gemeinsam mit meinem Vater hatte ich vor Jahren ein Vogelhäuschen und den Stall meiner ersten Kaninchen gebaut. Viel weiter reichten meine handwerklichen Fähigkeiten nicht, weshalb ich mich im Studium auch weitestgehend aus den Skulpturen- und Architektur-Projekten heraushielt.

Ein Stechen zuckte durch meinen Körper und ich schlug mir die flache Hand gegen den Kopf. Mein Studium! Wie konnte ich das vollkommen vergessen haben?

Kurz vor dem Esszimmer hielt ich inne und suchte automatisch nach meinem Handy, das ich seit meiner Entführung durch Utopia nicht mehr gesehen hatte. Nicht einmal mein Handy und das Internet hatten mir in den vergangenen Stunden, Tagen gefehlt. Aber wo hatte ich es verloren? Wer hatte es jetzt?

Die Küche, das Ess- und Wohnzimmer waren allesamt leer. Ich spähte um die Ecken, wollte erstmal sicher gehen, mit wem ich mich hätte unterhalten müssen, wenn jemand anwesend gewesen wäre. Doch nur Ryan schien hier zu sein und reparierte den Schaden am Haus. Ich verdrängte den imaginären Widerstand in meinem Herzen und ging zu ihm herüber.

„Guten Morgen", begrüßte ich ihn leise und wollte vermeiden ihn zu erschrecken, solange er einen Hammer in der Hand hielt. Meine Mühen waren jedoch umsonst, weil er mich nicht beachtete, sondern nur mit einem gegrummelten Wort antwortete. „Kann ich dir irgendwie helfen?"

Ich schaute bedacht auf den Überhang des Daches, der offenbar auch etwas abbekommen hatte. Einige der Ziegel lagen zerbrochen auf dem Boden herum, der Großteil auf einem zusammengekehrten Haufen. Die Scherben der Fenster hatte er bereits beseitigt. An einer der unbeschädigten Wände lehnten die reparierten Fensterrahmen, jedoch ohne Glasscheibe.

Da Ryan mir nicht antwortete, manövrierte ich mich durch den restlichen Schutt und betrachtete die Rahmen genauer. Der Lack war spröde, bröckelte an einigen Stellen ab. Das mussten alte, wenn auch neu zusammengesetzte Stücke sein. Vielleicht von einem ehemaligen Gartenzaun, den sie nicht mehr brauchten und dessen Teile damit einen neunen Verwendungszweck bekamen. Sachte legte ich meine Hand auf das Holz.

Paws on GlassWo Geschichten leben. Entdecke jetzt