31: Die Tücken der Einsamkeit - eine Versuchung

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Die Tage nach diesem verhängnisvollen Treffen mit Gideon hatte ich damit verbracht, Joshua und Ryan beim Trainieren zu beobachten. Ihre Stunden im Garten waren die einzigen Gelegenheiten, die Ryan mir bot, um ihn zu sehen oder ein Gespräch zu beginnen. Nicht, dass er mir antwortete, aber ich durfte ihn wenigstens ansprechen.

Seit der Fahrt vom Baumarkt zurück zu ihrem Haus im Wald ignorierte er mich so gut er konnte. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit, in der er mich wirklich aus tiefstem Herzen hasste und das nicht immer betonen musste, weil er es mir deutlich gezeigt hatte. Aber vor wenigen Tagen hatte ich die Hoffnung, dass wir uns annäherten. Nicht auf eine romantische Art und Weise, aber vielleicht mit einer Chance auf eine Freundschaft. Dieser Gedanke versetzte mir einen Stich.

Gestern hatte es geregnet und dennoch fühlte ich mich ausgetrocknet. Der Duft von nassem Rasen und den Tannen gab mir keine Kraft, sodass ich wie ein Sack Kartoffeln auf der reparierten Veranda saß und den Werwölfen beim Kampftraining zusah. Meine anfängliche Begeisterung schmälerte sich bei jeder weiteren Übung. Ryan schien sich in den letzten Tagen weniger Mühe mit Joshua zu geben, was vielleicht auch mir zu verdanken war. Scheinbar machte meine Anwesenheit ihn nervös oder wütend oder wer wusste schon, was ihn störte. Ich spürte es in meinem Inneren brodeln. Hitze stieg in mir auf und hinterließ ein Kribbeln auf meiner Haut. Wütend auf jemanden zu sein, gefiel mir ganz und gar nicht, doch ich konnte diese Emotion nicht einfach fortjagen.

Um meinen Kopf abzukühlen, lief ich eine Weile am Waldrand herum und zählte dabei eher unbewusst die großen, schön geformten Kiefern. Sie wuchsen nahe dem Haus noch nicht allzu dicht, wodurch die Sonne bis zum Waldboden reichte und die kleineren Sträucher dazu brachte, sich ihr entgegen zu recken. Bedeckt von braunen Nadelpaaren konnte man zwischen den Moosen hin und wieder ein paar Braunpilze finden. Ich mochte den Wald, wie er so still und unberührt vor mir lag. Manchmal stellte ich mir vor, ein Reh spränge vorbei oder ein Rotfuchs schlich zwischen den Farnen ums Haus herum. Aber leider war ich lediglich mit einem Dreiergespann schweigsamer Werwölfe gesegnet worden. Was so nicht stimmte, da Joshua mich pausenlos zutextete und beschäftigte, während Ryan zwar zu Hause, aber nicht ansprechbar und Damian jeden Tag unterwegs war.

Was meine Eltern wohl gerade machten? Ich verhielt mich ihnen gegenüber zwar zurecht sehr distanziert – als könnten sie mir die Geschichte mit den Werwölfen glauben –, aber dennoch sollte ich mich bei ihnen melden. Meine Mutter sagte mir oft genug, dass sie sich sorgte und meinem Vater erging es ebenso. Also lief ich ins Haus und schnappte mir das Telefon im Flur. Sie konnten mir unmöglich verbieten, meinen Eltern Bescheid zu geben, dass ich in Ordnung war und ... nicht mehr studierte? Ob sie bereits von irgendjemandem darüber informiert worden waren?

„Hallo?", meldete sich mein Vater, nachdem fünf Mal das dröhnende Signal ertönt war, offenbar verwirrt durch die unbekannte Nummer.

„Ich bin's, Kathleen", sagte ich so fröhlich wie möglich. Stille. „Papa? Alles klar bei dir? Ich wollte mich nur melden und ein bisschen reden."

„Ah, wir haben uns schon gefragt, warum du nicht auf unsere Nachrichten antwortest. Diese Nummer ..."

„Ja, ich musste von einem Freund aus anrufen, ich habe mein Handy ... verloren. Jedenfalls konnte ich es nicht finden und im Sekretariat der Uni hatte es auch niemand abgegeben."

„Puh, das erklärt Einiges. Sollen wir dir ein bisschen mehr Geld überweisen, damit du dir ein Neues kaufen kannst?"

„Nein, nein", winkte ich ab und schluckte. Wieso sollte ich kein neues Handy wollen? Ich brauchte es schließlich, besonders wenn ich mit meiner beinahe schrottreifen Karre eine weite Strecke zurücklegen wollte. Das wusste auch mein Vater, den ich enttäuscht seufzen hörte. „Ich meine, im Moment kann ich mir kein neues Handy leisten und will euch nicht anpumpen. Ich werde vielleicht ein bisschen jobben ... wobei wir auch schon beim eigentlichen Grund für meinen Anruf wären." Er schwieg und forderte mich somit auf, weiter zu sprechen. „Ich würde gerne eine Auszeit vom Studium nehmen."

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